Mittwoch, 14. November 2007

Ein Winzer im Reich der Mitte # 3

2005 fuhr ich nach Shanghai. Der Grund war Neugierde und die ideale Gelegenheit, die sich darbot, als J. ihren dort arbeitenden Bruder M. besuchen wollte und ich der auserwählte Reisepartner war. Das Tagebuch dieser Reise kann man jetzt auf diesem Blog nachlesen.


2.8.2005

Wieder eher spätes Aufstehen (kurz nach 10). Dann ab zum Oriental Pearl Tower und hinauf das Ding. Es bietet sich ein prächtiger Ausblick auf das wuchernde Stadtmonster. Große Hochhäuser erscheinen von dem Giganten aus wie kleine Häuslein. Die Suche nach dem Aufgang zu einer weiteren Plattform droht zu einer Odyssee ohne Happy-End zu werden, bis sich eine freundliche Putzfrau unserer annimmt.

Unter dem Tower gibts im schön gestalteten Museum für Stadtgeschichte einiges zu sehen. Wir halten allerdings im ersten Raum mangels ersichtlicher Beschreibungen die dort ausgestellten mittelalterlichen Arbeitsgeräte für Produkte der Fitnessgeräteindustrie aus dem Homeshopping-Kanal. Sodann suchen wir ein Restaurant aus unserem Reiseführer, das aber, wie sich herausstellt, mittlerweile in Schutt und Asche liegt, da es dem nächsten Großprojekt weichen muss.

Stattdessen landen wir in der "Super Brand Shopping Mall", einem Konsumtempel von Petersdomartiger Gigantomanie, der auch eine ganze Etage mit Gastronomieeinrichtungen enthält. Als Konsequenz unseres mutigen Ansinnens, einmal "richtig" chinesisch essen zu gehen (das Buffet am Vortag mal nicht mitgerechnet) verschlägt es uns in jenes wohl "gute" Restaurant, das meinen Magennerven das Waterloo ihrer bisherigen Existenz zufügt. Wir bestellen in völliger Ahnungslosigkeit aufgrund der Fotografien auf der (rein chinesischen) Speisekarte. J. weigert sich von vornherein, das von ihr Georderte in größerem Umfang zu verdrücken und vor meinen Bestellungen graut ihr noch mehr. Also bleibt der Verzehr der Köstlichkeiten an mir hängen. Es ist ein harter Kampf und mithilfe von gut 3/4-Liter Tsingtao-Bier und der Anfeuerungsrufe von J. ("Mir wird schon schlecht, wenn ich mir das anschaue!", "Da schauen noch die Haxn ´raus, aus dem Huhn!") gelingt es mir, einen beträchtlichen Teil der aufgetürmten Nahrungsmittelarmee zu vernichten. Nachher schwöre ich einen heiligen Eid, fortan in Indien als Hungerasket zu leben.

Das Essen bestand aus:

1.) Tee, der laut J. wie das Wasser schmeckt, das bei uns aus der Dusche kommt,
2.) Reis, der allerdings ausgezeichnet ist (Reis ist in China immer ausgezeichnet),
3.) etwas akzeptablem Vegetarischem mit unbekanntem Namen (Speisen 2. und 3. wurden von J. verzehrt!),
4.) in Sojasauce ertränktem Rindfleisch,
5.) Fleischbällchen unbekannter Herkunft mit fettsoßigen Ananasstückchen,
6.) furchtbaren "Chicken" (so bezeichnete es zumindest der Kellner),
7.) Ekel erregenden, grauenvollen grauen Bällchen (Spitzname "Panda-Bällchen") + geleeartigem Zeug mit süsslichem Geschmack (Spitzname: "Ratten-Embryos").

Ich habe schließlich vor den letzten grauen Bällchen und einem Großteil des so genannten "chicken" kapituliert. J. hat mir zugeschaut und Tränen gelacht, zeitweise unterbrochen von dem dringenden Bedürfnis, rasch den Tisch zu verlassen.

Doch damit nicht genug. Am Heimweg packt J. das Gelüst, noch ein ganz bestimmtes Gericht mit einem mir nicht mehr geläufigen chinesischen Namen zu verspeisen (Gott weiss warum, eben war ihr noch übel - andererseits hat sie an dem Tag ja praktisch noch nichts gegessen). Nach langwieriger Verhandlung mit einer Kellnerin vor einem Lokal in der Nähe unserer Wohnung stellt sich heraus, dass es dort angeblich so etwas ähnlich Lautendes gibt (komischerweise mit dem Zusatz "japanisches"..). J. bestellt es, ich ordere eine Kiwisaft. Ich weiss aber noch nicht, dass ich eine Kiwisaft bestellt habe, da ich zu dem Zeitpunkt die englische Bezeichnung dafür nicht kenne und auf gut Glück gewählt habe. Was der Kellner dann bringt, ist nicht das, was J. erwartet hat, es handelt sich um Törtchen, diese sind aber okay. In der Folge stellt der Kellner plötzlich eine heiße Misosuppe auf den Tisch, darin schwimmen Teigtäschchen. J. behauptet steif und fest, es handele sich hier um meinen Drink. Für mich sieht es verdammt nach Suppe aus, da ich aber keine Ahnung habe, dass man mir eigentlich einen Kiwisaft bringen sollte, füge ich mich. In Wahrheit ist es natürlich J´s Hauptspeise, die Törtchen wären die Vorspeise gewesen. Da der Misosuppengeschmack nach all dem bereits Hinuntergewürgtem meinem Magen nicht ganz wohl erscheint, schmeisse ich im Affekt ein Päckchen Zucker hinein. Dies lässt den Brechreiz beim Genuss allerdings tatsächlich abklingen.

Dann kommt der Kiwisaft.

Man kann die Ereignisse dieses tages in meinem Magen vielleicht am besten in einem Witz fassen:
"Trifft der Ratten-Embryo die gezuckerte Misosuppe: ´Was machst du denn hier?´ Antwortet die gezuckerte Misosuppe: ´Ich weiss es nicht, frag doch den Kiwisaft, der da grad kommt..´"

Ach ja, im tollen Shanghaier Aquarium waren wir auch. Das war zwischen dem Stadtmuseum und dem lukullischen Festmahl. Dort haben wir die - Achtung Kalauer!- Shanghaie bewundert, die über unseren Köpfen schwammen und ich habe eine Fischspezies entdeckt, die das Gesicht von Marlon Brando trägt. Cool!

Am Abend haben wir uns dann die "Rocky Horror Picture - Show" auf DVD angeschaut. Die hat mich nach den Begegnungen mit der chinesischen Küche dieses Tages nicht mehr schrecken können.



Der Oriental Pearl Tower.

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