Dienstag, 12. Februar 2008

Videohitparade # 2, Teil 1

Ein Outing

Jeder kennt sie. Diese Musikstücke, die Freude bereiten, wenn man sie hört, zu denen man aber - aus welchen Gründen auch immer - irgendwie nicht wirklich stehen will. Die Gründe hierfür können unterschiedlich sein, meist liegt es aber daran, dass man ganz genau weiß, dass sie einem eigentlich nicht gefallen sollten, dies, weil sie in irgendeiner Hinsicht - sei es nun in originär musikalischer oder auch in sonstiger ästhetischer oder aufgrund von ihrem Kontext - Ingredienzien enthalten, die einem sonst (zumindest heutzutage) gegen den Strich gehen und bei denen man annimmt, dass dies mit gutem Grund geschieht. Und dennoch, diese "heimlich-peinlichen" Nummern sagen vielleicht oft mehr über uns aus, als die durch soziale Zugehörigkeit und Selbstverortung mitgeprägten sonstigen Faibles. Hier kommen meine 5 "peinlichsten" Lieblingssongs:

  • fünf
Bryan Adams-(Everything I Do) I Do It For You

Meine erste Begegnung mit diesem Lied erfolgte im Jahr seines Entstehens, 1991, in einem Haus in dem Londoner Stadtteil Richmond, wo wir uns mit einer befreundeten Familie aufhielten. Wir hatten gerade stundenlang weiß gekleideten Männern dabei zugesehen, einem sonderbaren Sport zu frönen, der entfernt dem amerikanischen Baseball ähnelte, jedoch überhaupt keinen Sinn zu ergeben schien, als wir schließlich entnervt umschalteten und uns plötzlich in einem mittelalterlichen Wald wiederfanden, in dem ein junger Rockbarde ein wundersames Lied vor sich hin schmachtete. Einer der Söhne der befreundeten Familie meinte sogleich, dass das nicht schlecht sei, aber ich war skeptisch eingestellt. Schließlich hatten wir gerade erst einen Tag zuvor eine recht lebhafte Diskussion geführt, in der ich allen Ernstes die Auffassung vertreten hatte, dass die Popmusik seit den 60er Jahren und den Beatles nichts wirklich Nennenswertes mehr hervorgebracht hätte und insbesondere gewisse gegenwärtig groß im Gespräch befindlichen Bands namens R.E.M., U2 und Nirvana nichts anderes wären als düstere Langeweiler, die das Erbe der großen Pop-Vergangenheit in kläglicher Weise auswaideten. Diese kleine Kontroverse beschreibt meinen damaligen Status betreffend populärer Musik ganz gut. Im Grunde hatte ich in den Jahren zuvor klassische Musik und alte Countrymusik gehört, sowie jene Popmusik, die sich in der Plattensammlung meiner Eltern befand, also hauptsächlich die heilige Dreifaltigkeit der British Invasion: Beatles-Stones-Kinks. Die Pop- und Rockmusik der Zeitgenossen hingegen war mir ein Buch mit sieben Siegeln. Sie war für mich die Musik düster dreinblickender, sonderbar gekleideter Adoleszenter, auf deren T-Shirts unfassbare Dinge abgebildet waren. Damit wollte ich nichts zu tun haben. Immerhin, so sah dieses Balladenbubi nicht aus, und außerdem hatte er sich mit Kevin Costner alias Robin Hood verbündet, dem Beschützer der Witwen und Waisen, den ich erst kurz zuvor in einer Schultheateraufführung gespielt hatte (Robin Hood, nicht Kevin Costner). Trotzdem blieb ich zunächst misstrauisch.

Ich fuhr zurück nach Österreich und das sonderbare Lied blieb in meinem Kopf hängen. Ich hatte gerade erst seit kurzer Zeit wieder den Kontinent unter den Füßen, da tauchte der blasse Typ samt Wald auch schon wieder auf, diesmal im heimischen TV und den heimischen Charts. Und er blieb dort und in den Hitparaden aller anderen bekannten Länder und Territorien, wie auf dem ersten Platz festgenagelt, Woche für Woche und wieder Woche für Woche. Es gab kein Entrinnen. Schließlich resignierte ich und beschaffte mir eine dieser BRAVO-Jahrescompilations, auf denen 95% Schrott waren, die man aber dann doch wegen dem einen Lied gekauft hat. Auf dieser Compilation war auch eine Nummer dieser amerikanischen Band mit dem seltsamen Namen, R.E.M. Ich fand es natürlich zunächst richtig schlecht, aber in der Folge begann sich das langsam, ganz langsam zu ändern.

Derweil rutschte ich aber immer tiefer in das Bryan Adams-Ding hinein. Ich hielt ihm tatsächlich über eine ganze Reihe von Platten die Treue. Als erstes erwarb ich "So Far So Good", eine Anthologie seines Frühwerks und stellte mit Überraschung und leichtem Gruseln fest, dass dieser Kanadier nicht nur folkig-poppig vor sich hinschmachtete, sondern auch eine ganz andere Seite hatte, ein dunkle: Er machte die Musik der finsteren T-Shirt-Träger - ROCK! Die Scheibe bretterte gleich mit "Summer of 69" los (eine Nummer, die ich schon allein wegen der Anekdote immer lieben werde, wonach der US-amerikanische Roots-Rocker Ryan Adams, der regelmäßig von betrunkenen Konzertbesuchern lautstark aufgefordert wird, diesen Song zu spielen, einmal von der Bühne gesprungen ist und sich mit einem dieser Scherzbolde eine wilde Schlägerei geliefert hat) und mir war klar: wenn dieser Schnulzenbursche ein wilder Rocker sein kann, dann kann ich das auch. So leistete dieser kanadische Romanticrocker einen nicht zu verachtenden Beitrag zu meiner musikalischen Sozialisation. Als Mister Adams 1996 mit "18 Till I Die" sein (neben der MTV Unplugged-Session) bestes Album ablieferte und dabei angestrengt versuchte, sich den Hauch eines zeitgemäßen 90er-Jahre AltRock-Anstriches zu geben (er machte diesen Richtungswechsel im Übrigen nachher wieder rückgängig, offensichtlich waren seine Fans nicht mitgezogen), war ich bereits im Begriff, in eine ganz andere Richtung zu driften.

to be continued...


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