Sonntag, 21. November 2010

Kreationismus an der Uni Linz: Der Vortrag von Phillip Bell

Am Montag, den 8.11.2010 war auf der Linzer Johannes Kepler-Universität ein Vortragender zu Gast, der versucht hat, die dortige akademische Gemeinde vom Konzept des "Intelligent Design" zu überzeugen. Meine Freundin Sarah war unter den ZuhörerInnen. In weiterer Folge ihr Bericht.


Am Montag hatte ich das Vergnügen, einen Vortrag eines waschechten Kreationisten, Philip Bell, an der Uni Linz zu hören. Mal abgesehen davon, dass ich mich darüber geärgert habe, dass religiöse Pseudowissenschaftler an der Uni vortragen können, hab ich doch versucht, so objektiv an die Sache heranzugehen wie möglich.

Leider war meine Objektivität sofort beim Teufel, als Herr Bell gleich am Anfang auf einer Folie Richard Dawkins schlicht und einfach aus dem Zusammenhang falsch zitiert hat und diesen so hingestellt hat, als würde er als Atheist und Evolutionsbiologe nicht nur nicht an Götter glauben, sondern auch das Christentum für gefährlicher für als alle anderen Religionen halten. Das war sein Eingangszitat, obwohl er immer wieder betont hat, dass er aus wissenschaftlichen, nicht aus religiösen Gründen von Intelligent Design überzeugt ist.

Das war generell im späteren Vortrag immer wieder direkt oder indirekt zu hören. Ein "echter" Christ darf nicht an die Evolutionstheorie "glauben", ehrenhafte Christen und ehrenhafte Wissenschaftler glauben an Gott und demzufolge an Intelligent Design und Kreationismus. Mich persönlich hat es ein wenig geärgert, dass keiner der anwesenden Menschen gegen diese Seitenhiebe protestiert hat, da es jede Menge Christen gibt, die durchaus ihren Glauben mit der ET vereinbaren können, und ich gehe davon aus, dass auch unter den Hören einige waren.

Der Hörsaal war relativ voll, Leider hab ich die Leute nicht gezählt, aber gute 100 Hörer werden es schon gewesen sein. Wenn ich die Reaktionen der Hörer richtig gedeutet habe, waren 3/4 ziemlich kritisch Herren Bells Ansichten gegenüber, 1/4 wird wohl aus tatsächlichem (und religiösem?) Grundinteresse am ID gekommen sein.

Zum Vortragsinhalt:

Zuerst hat Herr Bell klargestellt, dass er durchaus mal an die Evolutionstheorie geglaubt hat (weil ihm das die institutionalisierte Schulwissenschaft ja schon von klein auf beigebracht hatte, er wurde quasi gezwungen) und selber auch wissenschaftlich tätig war; er hat Zoologie studiert. Weiters ist er aufgrund der Beweise zum Kreationisten geworden, das hat nach seiner Aussage ganz und gar nichts mit seinem Glauben zu tun.

Dann hat er mal angefangen, alle Wissenschafter an sich als unglaubwürdig hinzustellen, indem er zuerst unterstellt hat, alle Wissenschaftler halten sich für unfehlbar und absolut objektiv (oder werden dafür gehalten), und dann gezeigt hat (was sonst?), dass das natürlich nicht so ist.

Als Nächstes hat er die wissenschaftliche Methode erklärt, eben dass man Beweise brauche und diese dann bewerten muss und objektiv an die Sache herangehen muss, dass man keine der Theorie widersprechenden Beweise auslassen darf etc.. alles ganz richtig, klar und nachvollziehbar, an diesem Punkt des Vortrags hätte ihm wohl jeder zugestimmt. Er selber ist natürlich nach eigener Aussage furchtbar mutig, sich gegen den Mainstream zu stellen und den etablierten Wissenschaftlern Stirn zu bieten und ihnen zu zeigen, dass deren Beweise auch anders interpretiert werden können, er ist quasi ein einsamer Kämpfer gegen die Wissenschaftselite.

Ja, die Beweise... hier muss ich dazu sagen, dass ich keine Expertin bin was Biologie oder Evolution betrifft und zudem nur ein paar Stichworte notiert habe. Es kann also gut sein, dass ich Details falsch verstanden habe oder falsch wiedergebe. Natürlich kann ich die Beispiele auch nicht entkräften, aber es sind eh nur "Beweise", keine Beweise.

Generell zweifelt Herr Bell nicht an, dass es innerhalb einer Art auch massive Unterschiede und Veränderungen geben kann. Er führt als prominentes Beispiel die Vielfalt der Hunde an, natürliche Selektion aufgrund (veränderter) Umwelteinflüsse hält er für wahr. Als Art gilt in seinem Verständnis alles, was sich untereinander Fortpflanzen kann, auch wenn die nachkommen unfruchtbar sind. Aber den "Urwolf", die "Urkatze", das "Urpferd" hat natürlich Gott geschaffen.

Seine "Beweise" unterteilen sich in zwei Sorten: Die Beweise, die zeigen, wo sich Evolutionswissenschaftler mal geirrt haben (als würde ein Irrtum irgendwas anderes beweisen... ) und jene, nach dem Motto: das ist so komplex, das kann nur auf einmal entstanden sein, es gibt keine Zwischenstufen.

Zur ersten Kategorie führt er den Birkenspanner an, hier meint er, alle Schullehrbücher seinen falsch, weil der Birkenspanner zwar sehr wohl seine Farbe wechselt, aber dabei sein Genom nicht verändert. Und außerdem sind alle Fotos von weißen Birkenspannern auf dunkler Birke (und andersrum) gefälscht, dafür habe man tote Birkenspanner genommen, das ganze sei nie beobachtet worden.

Als zweites Beispiel führt er den Ambulocetus an, den pakistanischen Wal. Von diesem wurde wohl in den 90ern ein Schädelknochen gefunden, und damals nahmen Wissenschaftler an, dass das Tier bereits (zum Großteil) im Wasser lebte und so eine Übergangsform vom landlebenden Säugetier zum Wal darstellte. Einige Jahre später aber wurde ein weiters, besser erhaltenes Skelett gefunden, das gezeigt hat, dass der Wal doch ein Landtier war. Hier hat ihn besonders gestört, dass in einem aktuellen Lehrbuch ("99% Ape: How Evolution Adds Up") dieser Irrtum immer noch nicht ausgebessert wurde. (Das Lehrbuch ist aber wohl eher ein populärwissenschaftliches Buch über die Evolutionstheorie, Herr Bell hat dieses Buch des öfteren kritisiert)

Interessant fand ich sein erstes Beispiel aus der Kategorie "zu komplex": es gibt einen Vorgang der absichtlichen Zellzerstörung, die vor allen im Embryonalstadium stattfindet, die Apoptose. Zum Beispiel wird die menschliche Hand zuerst wie ein Paddel gebildet und damit Finger entstehen, sterben die Zellen zwischen den Fingern "mit Absicht" ab. Im Gegensatz dazu scheinen bei der Embryonalentwicklung beim Frosch die Finger zu wachsen. Ein weiters Beispiel für Apoptose sind Fledermausflügel, die dünne Membran zwischen den Fingerknochen kommt durch unvollständige Apoptose zustande. Der Vorgang der Apoptose ist fürchterlich komplex. Unglaublich viele ganz bestimmte Hormone und Aminosäuren müssen in der richtigen Reihenfolge, am richtigen Ort, in der richtigen Menge, zum richtigen Zeitpunkt gebildet werden und sich gegenseitig beeinflussen, damit das ganze funktioniert und die Babys nicht mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern geboren werden. Herr Bell meint, dass dieser Vorgang auf einmal designt werden musste, da keine kleinen Vorstufen denkbar wären.

Dann hat er über den F1-ATPase Rotationsmotor gesprochen, eine Art Zellmotor, hier bin ich zugegebenermaßen komplett ausgestiegen, er meinte jedenfalls, dass dieser komplexe Motor bereits vor den ersten Lebewesen (oder zumindest vor den ersten Lebewesen mit sexueller Fortpflanzung) dagewesen sein müsste, weil ohne diesen Motor Leben unmöglich wäre.

Dann kam noch eine Geschichte mit einem Dinosaurierfund, leider hab ich weder Fundort, noch Jahr, noch Dinosaurierart notiert, in dessen Knochen man Knochenmark fand, welches noch weich war, sodass der Dinosaurier Bells Meinung nach höchstens ein paar 1000 Jahre tot sein konnte, nicht Jahrmillionen.

Im ganzen Vortrag kamen auch immer wieder die üblichen Argumente, wie wir sie aus Diskussionen mit Kreationisten kennen, immer wieder mal zwischendurch, mal direkter, mal weniger direkt.

  • Mutationen können nur böses bewirken
  • schaut euch diesen Laptop/Flugzeugträger/Wolkenkratzer an, ihr wisst, da steckt ein Designer dahinter, als muss das bei einem noch komplexeren Ding auch der Fall sein.
  • Wissenschaftler irren (manchmal), also habe ich mit allen, was ich sage, recht; sobald ich einen Irrtum finde.
  • Es ist absolut unvorstellbar, dass aus einer Zelle sowas großartiges und perfektes wie der Mensch werden kann.
  • Evolution konnte nie beobachtet werden

Und wann immer er zum Glauben kam, hat er damit eingeleitet, dass das nichts mit seiner "wissenschaftlichen" Arbeit zu tun hat, dass er zwar Christ sei, aber dass das seine persönliche Sache wäre, und wenn er jetzt was dazu sagt, dann hat das nichts mit ID zu tun. Trotzdem wurden, teils mehrfach, folgende Dinge erwähnt:

  • Wer an Gott glaubt, muss an ID glauben
  • Evolutionisten glauben ja eh auch nur, denn wenn irgendein Zwischenglied fehlt (zB zwischen Dinosaurier und Vogel) dann glauben diese ja auch nur, dass es was dazwischen gibt.
  • Evolutionswissenschaftler mögen keine religiösen Menschen, ganz besonders keine Christen.
  • Die Bibel ist das direkte Sprachrohr Gottes

Während und vor allen nach dem Vortrag hat Herr Bell auch noch einige Fragen beantwortet, ich muss zugeben, dass er das recht geschickt gemacht hat, er hat immer zuerst den Fragesteller gelobt oder gar zugestimmt, bevor er entweder tatsächlich geantwortet hat, oder der Frage geschickt ausgewichen ist. Vor allen der Kritik, ID sei gar keine Theorie im wissenschaftlichem sinne, konnte er sich nicht stelle. Hier wurde die Diskussion gleich theologisch. Das Argument war hier, dass wenn Newton bei seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica Gott erwähnt, und Newtons Theorien wissenschaftlich sind, dann ist es ID auch. Dass man für Newtons Theorie nicht an Gott glauben muss, um diese nachzurechnen, zu verstehen oder für richtig zu halten, für ID aber einen braucht, um die Entstehung der Arten zu erklären, hat er trotz mehrmaligen Nachhaken aus dem Publikum ignoriert.

Aber generell war Herr Bell ein geschickte Rhetoriker und ein durchaus charismatischer Vortragender, ich fand ihn nicht unsympathisch. Unsympathischer fand ich ne Handvoll (christlicher, gläubiger?) Zuhörer neben mir, die bei jeder kritischen Frage gleich gemault haben, aber das ist ne andere Geschichte.

Ansonsten war der Vortrag entgegen seiner ersten Ankündigungen gespickt mit religiösen Andeutungen, hat aber nichts erklärt. Man kann eine eigene Theorie nicht beweisen, indem man Irrtümer an anderen Theorien findet, und alle Beweise, die vorgebracht wurden, waren allerhöchstens Hinweise dafür dass die Evolutionstheorie noch nicht alles ganz konkret erklären kann (als hätte das jemals jemand behauptet), und dass es seit Darwin immer wieder auch Fehler gemacht wurden (was niemals von irgendwem bestritten wurde) , aber er hat nicht einen Punkt vorgebracht, der auch nur als Hinweis für ein Intelligent Design durchgehen könnte.


Mit freundlicher Genehmigung von Astrodictium Simplex.

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