Dienstag, 21. Februar 2012

Gefährliches Spiel

Das ultimative Ziel der Wissenschaft ist es, der Menschheit Aufklärung zu verschaffen. Ihr einen Ausweg zu zeigen, aus der überwältigende Ahnungslosigkeit, die sie umgibt. In den letzten Jahrtausenden hat sie dabei, dass darf man bei aller Skepsis nicht vergessen, durchaus beachtliche Erfolge erzielt.

Ein Problem, mit dem sie aber bei ihrer Aufklärungsarbeit konfrontiert ist, ist jenes, dass die breite Bevölkerung keine wissenschaftlichen Texte liest bzw. wenn sie es versuchen würde, diese womöglich nicht versteht. Und:  fast noch gefährlicher als Unwissenheit ist die pseudowissenschaftliche Verballhornung wissenschaftlicher Thesen. Jedes gute Geschichtsbuch und jede schlechte Esoterikmesse kann schauriges Zeugnis davon ablegen.

Abmildern könnte das freilich ein gut arbeitender Wissenschaftsjournalismus, der sich darum bemüht, wissenschaftliche Erkenntnis seriös an die Frau oder den Mann zu bringen.

Was uns leider wieder einmal zu science.orf.at bringt. Ich habe hier schon einmal über den zuweilen befremdlichen Zugang dieser vermutlich Reichweiten trächtigsten Plattform für Wissenschaftsberichterstattung in Österreich geschrieben. Damals ging es darum, dass ein ganz und gar unempirisches Untersuchungsergebnis als möglicherweise wissenschaftlich verkauft wurde. Es ist aber auch möglich, alleine mit der Schlagzeile Schaden anzurichten, wie dieses Beispiel zeigt:


In der besprochenen Studie geht es um die Auswirkungen, die es hat, wenn Kinder verhältnismäßig häufiger mit Spielsachen spielen, die traditioneller Weise eher dem anderen Geschlecht zugeordnet sind - also Mädchen zB mit Spielzeugautos oder Buben mit Puppen. Sie kommt zu dem Schluss, dass Kinder, auf die dies zutrifft, einem höheren Risiko unterliegen, später missbraucht oder misshandelt zu werden und/oder psychischen Schaden zu nehmen. Das ist es also, was die Schlagzeile für uns knallig zusammen fassen möchte. Wer weiter liest, wird allerdings feststellen, dass die Forscherinnen nicht das Spielen mit dem "falschen" Spielzeug an sich für die ermittelten Korrelationen verantwortlich machen, sondern vielmehr den Umstand, dass die betroffenen Kinder wegen ihres Spielverhaltens mit Abwertungen ihrer Umwelt konfrontiert werden, als wahrscheinlichste Ursache betrachten. Mit anderen Worten: Es ist der immer (noch) allgegenwärtige Sexismus, der glaubt, Menschen Vorschriften machen zu können, wie sie sich entsprechend ihrem Geschlecht zu verhalten haben, dem die Schuld zu geben ist. 

Demzufolge plädieren die Wissenschaftlerin auch für Aufklärung in Familien und Schulen und dafür, dass man auch Kinder ganz ungestört andere Rollen ausprobieren lässt. 

Unabhängig davon, ob man den Annahmen der Forscherinnen folgt oder nicht: Wer nur die reißerisch zugespitzte, auf die größtmögliche Zahl der Klicks schielende Schlagzeile liest und mithilfe des "Hausverstandes" aufnimmt, ist von solchen Überlegungen ungefähr so weit entfernt wie ein Marsriegel auf der Erde vom gleichnamigen Planeten. Menschen, die ihre eigenen Kinder fertig machen, weil sie sich nicht an das verdammt noch einmal Natur gegebene Rollenbild halten, werden sich durch die Schlagzeile, die ihren Blick streift, ganz einfach bestätigt fühlen. Und weiter lesen werden von diesen Leuten wohl die wenigsten. Kein guter Dienst an der Aufklärung.

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  Danke an Alex P.!