Donnerstag, 19. Juli 2012

In Concert # 30: Bruce Springsteen & The E-Street Band, 12.7.2012, Ernst Happel - Stadion, Wien

Was macht es aus, was macht ihn aus? Was ist es, dieses Erfolgsgen von Bruce Springsteen, das dafür sorgt, dass ihm seit Jahrzehnten volle Stadien entgegen branden, dass die Fans immer wieder euphorisiert aus den selbigen hinausgehen? Dass selbst hart gesottene Musikkritiker stets auf Neue ihrer Begeisterung, Feuilletonschreiber ihrer Verehrung Ausdruck verleihen?

Feldstudie im Ernst Happel-Stadion, letzten Donnerstag. Obwohl ich den Boss schon lange schätze, ist es mein erstes Springsteen-Konzert. Ich gehe in mich und rekapituliere meinen persönlichen Bruce Springsteen - Werdegang : Er begann - wie es eben oft ist - mit einem Greatest Hits - Album. "Born in the U.S.A." war mir damals, Anfang der Neunziger, selbstverständlich schon ein Begriff (wem nicht), der Track wurde ja sogar in unserem Englisch-Schullehrbuch behandelt. Dass er mich aber nachhaltig beeindruckt hätte, kann ich nicht behaupten. Ich lauschte dem Sammelsurium aus Springsteens Werk mit einigem Interesse, wurde aber nach einiger Zeit des Saxophons im Rock (eine Grenzwertigkeit, ohne Zweifel) derart überdrüssig, dass es mir fast körperliche Übelkeit bereitete (nichts für ungut, Clarence Clemons). Der Wiedereinstieg kam über das Saxophon-befreite, düstere Folkalbum "The Ghost of Tom Joad" (1995), bei dem mich besonders der wehmütige Pathos von "Youngstown" beeindruckte. Mit der Compilation "18 Tracks" (1999) offenbarte sich mir, dass der Boss mehr gute, unveröffentlichte Songs in der Schublade hat, als andere in ihrem ganzen Leben auf Alben packen. Und irgendwann lernte ich dann auch das Doppelalbum "The River" aus 1980 kennen. Ein Meisterwerk, in dem sich das rebellisch-künstlerische Wunderkind und der Massen in Wallung versetzende Stadionrocker mit sicherem Griff die Hand geben.

Am letzten Donnerstag ließ der Stadionrocker zunächst auf sich warten. Technische Probleme im Bereich des Veranstalters oder der Stadiontechnik ließen mehr als eine halbe Stunde vergehen, bis Springsteen mit seiner E-Street Band die Bühne betrat. Dann legte er aber ohne Umschweife los und gab mit "We Take Care of Our Own" die erste Single aus seiner aktuellen Platte "Wrecking Ball" zum Besten, gefolgt von deren  Titeltrack - bei dem einem das schwingende Schlagen der Abrissbirne förmlich durch die Knochen fuhr - und von "Badlands"Wir hatten uns unsere Tickets "erst" im März besorgt und folglich nicht mehr die allerbesten Plätze im ausverkauften Zweidrittel-Rund des Happel-Stadions ergattert: zweiter Rang, schräge Sicht auf die Bühne. Der Boss war naturgemäß weit weg und die Akustik war, nunja, angesichts der Umstände ordentlich, aber keinesfalls berauschend. Gänsehaut kam bei mir trotzdem auf, wobei ich nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen vermag, ob es allein am los rockenden Springsteen oder doch auch an der abendlichen Kühle unter dem von dichten wie dunklen Wolken verhangenen Wiener Himmel lag. 


Es folgte ein vom Publikum noch frenetisch begleitetes, zornig-aufstampfendes "Death to My Hometown". Danach kam es jedoch zu einem unerwarteten Bruch im Gefüge des Konzerts, der Spannungsbogen konnte nicht ganz aufrecht erhalten werden und die nun folgende, einige Nummern andauernde Phase wurde von vielen ZuschauerInnen als langatmig empfunden. Dem  relativen stimmungsmäßigen Vakkum fiel somit leider auch die eigentlich bewegende Darbietung von "Empty Sky" zum Opfer, das Springsteen im Lichtkegel und mit Akustikgitarre deklamierte. Über die Gründe für das Abflauen kann gemutmaßt werden - die Die-Hard-Fanpresse weist recht deutlich und einseitig dem Wiener Publikum die Schuld zu. Springsteen versuchte freilich sehr wohl, das Ruder herumzureißen, doch seine zwischenzeitlichen Kommentare, Ansagen und Ausbrüche in das so amerikanische Hand-(bzw. Mund)werk des Predigers/Wundermittelverkäufers/Motivationsgurus wirkten nicht ganz frisch und nicht hundertprozentig entschlossen. Überhaupt: die (spontane) Kommunikation mit dem Publikum - kein so großes Element an jenem Abend.


Erst eine euphorisierende Interpretation von "Because the Night" brachte eine Wende und wieder mehr Fokussiertheit auf beiden Seiten des Auditoriums. Freilich folgten dann auch noch neunzehn weitere Stücke, inklusive einiger der großen Radiohits der Achtziger (auch "Born in the  U.S.A."), die zur Freude des Publikums in fast ununterbrochener Reihe im Zugabenblock geboten wurden. Letztlich konnte auch ein Wink der Stadionverantwortlichen - das Einschalten des Lichts im Zuschauerraum - den Boss nicht daran hindern, 3 Stunden und 39 Minuten auf der Bühne des Happel-Stadions zu stehen (bzw. kurzzeitig auch dort zu liegen). Er endete, auf dieser Tour schon traditionsgemäß, mit dem Rock´n´Roller "Twist and Shout".


Einige weitere Erkenntnisse drängten sich auf. Einmal: Jake Clemons ist am Saxophon ein würdiger Nachfolger seines verstorbenen Onkels. Dann: die Stücke von der, etwas zu hoch gehandelten, neuen Platte funktionieren live doch deutlich besser als aus der Konserve. Wie beantworten wir aber nun die eingangs gestellte Frage?


Sicherlich, das Repertoire, aus dem Bruce Springsteen und die E-Street Band schöpfen, ist gewaltig (zur Illustration einige Titel, die sie in über dreieinhalb Stunden NICHT gespielt haben: Thunder Road, The River, Atlantic City, I´m On Fire, Streets of Philadelphia, The Ghost of Tom Joad, Youngstown, Human Touch, Radio Nowhere, My Hometown, Jersey Girl...). Immer noch ist er ein feuriger Schmied des Konsenses und des Gemeinschaftlichen. Jede/r bekommt, was er braucht, verdient und hören möchte: der Wall Street-Occupier, der Lehrer mit Plattensammlung, der Hackler von der Baustelle, der Musik-Nerd mit musikologischem Fachwissen,  der Ö3-Dauerhörer, der Folker, der Rocker, der Popper. Junge Frauen, alte Männer und umgekehrt. Aber das ist nur ein Teilaspekt seines larger than life/live-Faktors.


Es ist vor allem schlicht und einfach der Umstand, dass er, auch wenn nicht alles ganz nach Plan läuft - wie vermutlich im Ernst Happel-Stadion - immer seinen eigenen Arbeitsethos an oberste Stelle setzt, immer anzeigt, dass er nicht gewillt ist, sein Publikum im Zweifel zu lassen. Die Leidenschaftlichkeit und Unerbittlichkeit, die diesen mittlerweile 62-jährigen Mann überkommt, wenn er anhebt, in die Seiten seiner Telecaster zu dreschen und seine unverbrüchliche Trademark-Stimme hinauszuschicken, ist ein Act für sich. Springsteen ist dann wie einer dieser klassischen amerikanischen Superhelden, im Grunde nachdenkliche, Sympathie würdige Personen, die, wenn sie gebraucht werden, die Brust hinausrecken und Heldentaten vollbringen, Grenzen überschreiten. Es ist furchtbar kitschig, vermutlich auch abgedroschen und ich scheue mich schon, es zu schreiben, aber der Boss verkörpert sehr überzeugend vieles von dem, was an Amerika gut ist.


Gerade als wir vor das Happel-Stadion getreten sind, ist er mit seinem Konvoi aus den Tiefen der Arena gezogen, das Seitenfenster des Autos war herunter gelassen, und hat uns zu gewunken. Da war er uns so nah wie zuvor noch nie.

2 Kommentare:

Hannes hat gesagt…

Treffend formuliert. Meine Highlights wären eindeutig "Born To Run" und "Racing In The Streets" gewesen.

Ein Winzer hat gesagt…

Das waren auch tatsächlich starke Momente.

Amnesty informiert: Menschenrechtsmusik V

Auch dieses Jahr stellen wir wieder aktuelle Musik mit Bezug zu Menschenrechten vor. Zum 5. Mal dabei und mittlerweile ein Fixpunkt in unse...