Donnerstag, 22. November 2012

Mailand und Bergamo in Buchstaben A-K

Ende Oktober war ich einige Tage in Mailand. Jetzt gibt es das obligatorische Alphabet.


A wie Ambrosius

Er ruht in einem gläsernen Sarg unter dem Hochaltar der von ihm begründeten und nach ihm benannten Kirche Sant´Ambrogio, unter ihm die Gebeine der von ihm entdeckten (?) Märtyrer Protasius und Gervasius: der heilige Kirchenlehrer Ambrosius, Schutzpatron Mailands. Zeit seines Lebens war er vor allem eines: ein beinharter Machtpolitiker. Einer überzeugenden Rede verdankte er es, dass er im Jahre 374 vom Statthalter zum Bischof von Mailand, damals immerhin Hauptstadt des Weströmischen Reiches, akklamiert wurde. Als die Arianer, die die völlig absurde Idee vertraten, das Gott möglicherweise eine einzige Person und nicht deren drei sei, danach strebten, ihren Glauben leben zu dürfen, mobilisierte er kurzerhand einen wütenden Mob, um auf die weltliche Macht Druck auszuüben. Und, als ein eben solcher Mob in Kallinikon am Euphrat ein Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung veranstaltete und die örtliche Synagoge niederbrannte, setzte er sich erfolgreich dafür ein, dass die Täter nicht bestraft werden. 391 erhob Kaiser Theodosius I.  dann das trinitarische Christentum zur Staatsreligion und verfügte ein Verbot der heidnischen Kulte. Wer hier als Ideengeber fungiert hat, gilt als ausgemacht. Wir haben es beim heiligen Ambrosius also quasi mit einem der Erfinder der religiösen Intoleranz im Christentum zu tun. Da zieht man dann doch lieber eilends vorbei.

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Sant´Ambrogio
B wie Bergamo

Reist man von Mailand durch die Po-Ebene (s. P) nordostwärts, erhebt sich diese nach etwa fünfzig Kilometer jählings und man steht vor der Città Alta von Bergamo, die gleichzeitig die Altstadt von Bergamo ist. Dort hinauf geht es dann per Standseilbahn, per pedes oder Automobil - in unserem Fall per Bus. In den Gassen der Bergamasker Altstadt gibt es alte Bausubstanz aus mehreren Jahrhunderten - darunter ein sehr schöne Basilika, die venezianische Einflüsse nicht verleugnen kann - und ein Aufgebot an Spezialitätenläden, das das Herz jedes Küchenbobos höher schlagen lässt. An schönen, klaren Tagen kann der Gast außerdem von den Zinnen Alt-Bergamos auf die Berge sowie weit in die Poebene blicken. Unser Bergamasker Tag war aber definitiv kein solcher Tag.

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Turmblick aus der Altstadt, Poebenenwärts

C wie Campari

Ein Likör im Sinne der EU-Spirituosenverordung, der durch die Firma Davide Campari, Milano S.p.A. aus über 80 Zutaten gebraut wird und dessen rote Färbung bis 2006 aus weiblichen Schildläusen gewonnen wurde (jetzt nicht mehr). Was sich rentiert haben dürfte. Nur so ist es zu erklären, dass sich die Camparis ihre letzte Ruhestätte am Cimitero Monumentale (s. F) mit einer plastischen Nachbildung des letzen Abendmahles krönen lassen konnten (sie trinken aber keinen Campari, das hat sich der Künstler verkniffen). Außerdem gibt es eingangs der Galleria Vittorio Emmanuele (s. E) ein Denkmal geschütztes Caféhaus, von dem die Reiseführer hartnäckig behaupten, dass dort die Wiege des Campari gestanden haben soll, was irgendwie nicht ganz stimmen kann, weil die in Novara war.

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Das Abendmahl-Grabmal

D wie Duomo

Der Duomo di Santa Maria Nascente ist nach dem Petersdom und der Kathedrale von Sevilla die flächenmäßig größte Kirche der Welt. Der marmorne Riese steht logischerweise auf dem Domplatz, der selbst solche Ausmaße hat, dass der Dom auf den unbefangenen Betrachter zunächst gar nicht so riesig wirkt wie erwartet, sondern einen etwas geduckten Eindruck macht. In jedem Fall bildet er das unverwechselbare und zweifellos faszinierende Zentrum der Stadt Mailand.

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Italienisches Design aus weit entfernten Jahrhunderten: der Dom und der Ferrari-Zug



E wie Einkaufstunnel

Den Domplatz (s. D) und die Scala (s. O) verbindet ein imposantes Bauwerk namens Galleria Vittorio Emanuele II. Es ist von einem mächtigen, gläsernen Gewölbe bedeckt und mit Geschäften, Lokalen und einer Burger King-Filiale angefüllt. Außerdem gibt es ein Hotel, das sieben Sterne, aber keinen sichtbaren Eingang hat, weil hier die Starmodels und Hollywoodstars absteigen, wenn sie in der Stadt arbeiten oder einkaufen müssen. Erwähnenswert sind auch die in der Mitte der Galleria (= italienisch für "Tunnel") im Boden gezeigten Wappen der diversen historischen Hauptstädte Italiens. Sich auf dem Geschlechtsorgan des Bullen von Turin zu drehen, bringt übrigens Glück.

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F wie Friedhof

Die Geldigen von Mailand wären nicht die Geldigen von Mailand, wenn sie sich nicht einen eigenen Friedhof gegönnt hätte. Durch den Cimitero Monumentale wandelt man wie durch einen Skulpturenpark. Es heißt zwar, dass der Tod alle gleich macht, hier wird aber ziemlich intensiv darum gewetteifert, das vergessen zu machen.

G wie Goldenes Karree

Das Goldene Karree ist für die Modezaren das, was für die asiatischen Drogenbarone das Goldene Dreieck ist: die Bastion ihrer Macht. Ein Flagshipstore reiht sich hier an den nächsten, in goldenen Lettern prangen die Namen der Fashionisten von den Gebäuden der Via Montenapoleone. Auf den Straßen laufen inmitten der Touristen Außerirdische herum, die sich menschliche Gesichter zwischen ihre exorbitanten Kleidungshüllen gesteckt haben. Mit der Regenpellerine aus zirka 1995 kommt man sich komisch vor.

H wie Hilfsbereitschaft

Man kennt das ja: fragt man irgend wo auf der Welt irgend welche ProvinzbewohnerInnen nach den Menschen, die da die großen, wohlhabenden Städte bewohnen, antworten diese gerne unisono: hochnäsig sind die, verschlossen, hartherzig! Mailand ist nun zwar nicht die offizielle Hauptstadt Italiens, aber doch irgendwie die inoffizielle. Das Geld, die wirtschaftliche Macht des Stiefels sind da zuhause. Da könnte man annehmen, die Milanesen hätten eine schlechte Nachrede. Weit gefehlt, dieser als geschäftig und fleißig geltende Schlag hat auch den Ruf, hilfsbereit zu sein und sich gerne ehrenamtlich zu engagieren. Nehmen wir nun den Taxifahrer, der uns vom Flughafen Malpensa (über 40 Kilometer von Mailand entfernt) in die Stadt chauffiert hat und dem wir ausgeliefert waren, da wir vor Mitternacht bei unserem Appartement anzukommen hatten. Die Ankunft bei unserer Bleibe prognostizierte er in ungefähr 90 Euro. Und, er hielt sein Versprechen auf eindrucksvolle Weise, indem er in eiligem Tempo und mittels permanentem Umspuren über die Autobahn düste, obwohl seine Aufmerksamkeit offenkundig eher seinem Smartphone und der Radioübertragung der sich entwickelnden Champions League-Pleite des AC Milan zu gelten schien. Er schaffte es dabei noch, mit uns Konversation zu führen, die hauptsächlich darin bestand, dass er betonte, wie wunderschön doch Wien und wie hässlich dagegen Mailand sei. Am Ziel angekommen, sorgte er sich rührend darum, ob unsere Unterkunft, die zunächst gar nicht danach aussah, tatsächlich eine seriöse Unterkunft sei und wartete, bis wir uns da ganz sicher waren. Quod erat demonstrandum.

I wie Illuminismo

Er gehört zu den bedeutendsten Menschen der Geistesgeschichte, die kaum jemand kennt: der Marchese de Beccaria-Bonesana (1738-1794). Der aus der Mailänder Aristokratie stammende Rechtsphilosoph, Ökonom und Aufklärer (Illuminismo = italienisch für Aufklärung) gelangte von den Prinzipien der Vernunft und des Utilitarismus ausgehend zu folgenden Überzeugungen: Strafen sollen nicht dazu dienen, Vergeltung zu üben, sondern sind dazu da, Verbrechen zu verhindern. Ihre Wirkung hängt dabei nicht von ihrer Schwere ab, sondern von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts. Strafen sollen verhältnismäßig sein. Die Todesstrafe ist Unrecht. Folter ist Unrecht. Diese Thesen des Mailänder Marchese waren teilweise scharfer Kritik ausgesetzt, vor allem von Seiten deutscher Intellektueller wie Haller, Goethe, Mendelssohn und Kant, die sich mehr oder minder geschlossenen für die Todesstrafe und ein dementsprechend scharfes Strafrecht aussprachen. Doch sie überlebten und fielen auf fruchtbaren Boden - in der Toskana, wo Großherzog Leopold im Jahr 1786 als erster Fürst überhaupt mit Todesstrafe und Folter Schluss machte. Und später auch anderswo.

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Skulptur in der Pinacoteca di Brera (s. N)

J wie Justiz

Die Mühlen, sie mahlen manchmal langsam. Vor allem, wenn einer mutwillig immer wieder Sand in das Räderwerk hineinstreut und versucht, es zurück zu drehen. Aber, irgendwann erwischen sie sie dann zuweilen doch, die ganz schlimmen Buben. Während wir in Mailand waren, blickte uns plötzlich ein blasser Mann aus dem Fernsehgerät entgegen, der ebenfalls in Mailand weilte. Silvio sprach mit gebrochener Stimmer von "Barbarei" und "Verschwörung" und "Ungerechtigkeit". Und, die Textzeilen der Mediaset-Sender versuchten verzweifelt, die Botschaft aufs Neue immer wieder hinauszuwerfen. Sing Sing statt Bunga Bunga?

K wie Kastell

Das Castello Sforzesco erreicht man, wenn man vom Duomo (s. D) die Via Dante entlang geht. Die Festungsanlage wurde ab 1450 von der die Stadt beherrschenden Familie der Sforza erbaut und war in seiner bewegten Geschichte vielen Veränderungen und Eroberungen unterworfen. Glaubt man unserer Führerin, die uns mittels "Grand Tour di Milano" einen halben Tag durch die Stadt geleitet hat, ist sie jedoch nicht mehr viel mehr als eine leere Hülle, weil die Franzosen, die Spanier und die Österreicher alles mitgehen haben lassen, was nicht niet- und nagelfest war ("Don´t expect to find anything valuable, eh!? They took it all away.."). Nur eine Michelangelo-Skulptur gebe es noch, aber die könne man sich auch genauso gut auf dem Foto vor dem Museum anschauen, denn sie ist sowieso nur halb fertig!

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Fortsetzung folgt..

Quellen: Wikipedia


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