Sonntag, 14. Dezember 2014

"Wetten, dass..?" - Ein Nachruf

Gestern abend. Ich bin das letzte Mal für mutmaßlich längere Zeit der einzige Mensch in meiner Wohnung. Bevor sich dann alles ändert, wie sie dir alle sagen. In der Wiege und im Kinderwagen schlafen (noch) die Katzen.

Zeit, sich endgültig von der Jugend zu verabschieden. Die letzten Wochen und  Monat stehen ganz im Zeichen des unausweichlichen Verantwortungübernehmens, der Weichenstellungen, die sich fester, die sich definitiver anfühlen.

Was habe ich mir dabei gedacht, mir ausgerechnet an diesem noch freien Abend die letzte Ausgabe von "Wetten, dass..?" anzuschauen? War es der unbewusste Wunsch, etwas abzuschließen? Ein Kapitel aus der tiefen, schon mit Nebelschleiern versehenen Vergangenheit zuzuschlagen?

Ich bin kein Freund peinlicher Situationen, in denen sich Menschen ihrer selbst und ihrer Mitmenschen offensichtlich schämen. Damit kann ich, will ich nicht so gut umgehen. Mir war daher klar, auf was ich mich mit diesem letzten "Wetten, dass..?" aus Nürnberg einlasse.

Und es war schlimm. Da war der Moderator, der einem leid tun konnte, denn er war dazu verurteilt, dieses Ereignis möglichst unterhaltend über die Bühne zu bringen. Dieses Ereignis, das einem Begräbnis glich, auf dem alle erschienen waren, weil sie es für ihre Pflicht hielten, da sie testamentarisch bedacht worden waren und es außerdem ein Buffet geben sollte. Bei dem aber niemand dem Verblichenen auch nur eine Träne nachweinte und so immer wieder heimlich auf die Uhr geschielt wurde, wann es denn endlich vorbei sein würde.

Der Zeremonienmeister wirkte entsprechend unruhig. Man merkte, dass er wusste, dass er hier nichts zu gewinnen hatte. Das Drehbuch und die Dramaturgie waren lieblos, uninspiert, die zigste Kopie von etwas, das eigentlich niemand mehr sehen wollte. Als früher, grotesker Höhepunkt wurden zu Anfang der Sendung Standbilder früherer Shows gereicht, um dann darüber zu diskutieren, wo und wann das gewesen sein könnte und was vorher und nachher geschehen sein mag. Das Videoarchiv ist also anscheind schon geshreddert worden.

Wer sich so etwas wie ein letztes Aufbäumen, einen letzten Glanzpunkt der "größten Show, die es im deutschen Fernsehen je gegeben hat" (Markus Lanz) erwartet hatte, wurde enttäuscht. Nicht einmal die ehemaligen Lebenspartner des Verblichenen ließen sich blicken, sie wurden nur linkisch und Aufmerksamkeits heischend gegrüßt ("Frank Elstner, unsere Verbredung zum Essen am Montag steht!"). Das hat freilich damit zu tun, dass der Vorhang in Wahrheit schon vor dem erfolglosen Relaunch der Sendung gefallen ist.

Zwischendrin sangen Otto und Bully dann auch noch gemeinsam (angeblich als Wetteinlösung) irgend so was wie  "Time to Say Goodbye". Schrecklich.

Man könnte jetzt noch viel sagen über die betretene Atmosphäre, die auf der Couch während eines Großteils der Sendung herrschte, auch wenn zwischendurch das eine oder andere Mal demonstrativ gelacht wurde. Oder von Ben Stiller, der dreinschaute, als hätte ihn ein Kommando am Nürnberger Christkindlmarkt entführt und auf die Showbühne verschleppt.

Dabei war "Wetten, dass..?" eigentlich nie so viel anders. Das völlig sinnbefreite, inhaltsleere Geplauder auf der Wettbank (unvergesslich die Standardfrage von Thomas Gottschalk an jeden erfolgreichen Musiker der letzten zwanzig Jahre: "Die Kids heute hören doch nur mehr Rap und Techno, wie schaffst du es da erfolgreich zu sein?"). Die Peinlichkeiten, die die Sendungsmacher den prominenten Gästen zumuteten, die doch eigentlich nur ihre neuen Filme, Platten oder Bücher promoten wollten. Die Wetten waren dabei noch jenes Element, das uns am längsten nicht auf die Nerven fiel, wenngleich es sich ebenfalls (vielleicht auch wegen des permanenten Sensationalismus im Internet) ziemlich abgenutzt hat.

Nur: in meiner Kindheit war die Sendung schon etwa Besonderes. Allein ihre schiere Länge, die es einem erlaubte, guten Gewissens den ganzen Abend gemeinsam mit den Eltern, die ebenfalls schauten, vor dem Fernseher zu sitzen, trug dazu bei. Aber auch ein gewisses Element der Unvorhersehbarkeit der Ereignisse und der Interaktionen zwischen Moderation, Gästen und Teilnehmern. Dazu kam, dass es einen Blick über die Landesgrenzen ermöglichte, ein Anbindung daran, was man im großen Nachbarland, von dem uns nicht nur die gemeinsame Sprache trennt, denkt und sagt. Diese interkulturelle Erfahrung konnte auch befremdlich, unheimlich sein. Etwa, wenn ich als Kind erschrocken feststellen musste, wie ein ganz durchschnittliches deutsches Saalpublikum reagiert, wenn irgend jemand einen 4/4-Takt einklatscht oder einsingt und mit roboterhaften Exaktheit sofort tausende Menschen damit beginnen, völlig synchron die Hände ineinander zu schlagen.

Moderiert hat sie damals Thomas Gottschalk, dessen Moderation sich durch nichts von jener von Markus Lanz unterschied, nur dass das Fahrige und Improvisierte bei ihm irgendwie charmant wirkte, es gewissermaßen sein Trademark war. Vielleicht war ich aber einfach auch nur von klein auf an ihn gewöhnt.

So ist es mit Gewohnheiten. Wenn sie in eine neue Situation versetzt werden (oder in einen neuen Moderator), kann es sein, dass plötzlich aller noch verbliebener Sinn von ihnen abfällt. Und dann ist es gut, wenn einmal ganz offiziell Schluss ist damit.


2 Kommentare:

Finette hat gesagt…

..... und "wetten, dass" Du Wettbewerbe schon immer gerne hattest?!

Ein Winzer hat gesagt…

Ja, das auch.

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