Dienstag, 22. Dezember 2015

In Concert # 53: Giant³ Sand, 28.11.2015, Posthof, Linz

"Giant³ Sand: 30th Anniversary Tour" prangte auf den Ankündigungen. Drei Dekaden sind es schon, in denen ein kleines musikalisches Universum durch die Welt zieht. Giant Sandworms hieß das ganz zu anfangs einmal, Giant Sand die längste Zeit, dann Giant Giant Sand, jetzt Giant³ Sand. Egal, bei all den fließenden Mutationen des Namens wie des Stils steht doch einer ganz fest im Gravitationszentrum des Projekts: Howe Gelb. Sein geistiges Produkt, geschaffen mit wechselnden Kollaborierenden ist es, das uns hier begegnet.

Dabei erscheint Howe Gelb, leiblich geboren in Pennsylvania und musikalisch geboren in Tucson, Arizona, im äußeren Auftreten weniger als Bandleader, denn eher als das ideelle Oberhaupt einer Familie, eines Freundeskreises, mit dem er musikmachend durch die Lande zieht. Auf dem Cover des aktuellen Giant³ Sand-Albums "Heartbreak Pass" (New West, 2015) reihen sich elf Personen und ein Baby aneinander, von der Vorderseite des Albums bis zur Rückseite. Jeder hat seinen Platz, seine gebührende Rolle, in der Mitte steht Howe Gelb. Aufgenommen wurde das Foto laut Angabe in Luzern, Schweiz, also auf einer Tour. Im Hintergrund: Wohnwaggons wie auf dem Wohnplatz eines fahrenden Zirkus. Thematisch kreist das Album denn auch stark um private Fragen des Herumfahrens, des Abschiednehmens und des Heimkommens.

Als wäre sein eigener Tross noch nicht genug, hat Giant³ Sand im Posthof auch viel Support dabei, der sich allerdings, wie wir sehen werden, mit dem Tross überschneidet.

Zunächst aber eröffnen All The Luck In The World um 20.00 Uhr den Abend. Mit Arizona haben sie weniger am Hut, sie kommen aus Irland. Die drei Neunzehnjährigen spielen einschmeichlerischen Folk. Sie finden den Großen Saal des Posthof ob seiner Größe unheimlich (sagen sie) und die Stille im Publikum bemerkenswert (bemerken sie und es ist wohl als Kompliment gemeint, weil es bedeutet, dass man ihnen auch zuhört). Sie wirken schüchtern und nett. Das Publikum applaudiert aufbauend. Ihre Instrumente beherrschen sie auch, sie gewinnen an Sicherheit. Es ist sehr wohlklingende Musik, die da ertönt, man kann sich ihr schwer entziehen. Ich habe aber auch das Gefühl, dass ich mich ihr doch irgendwann entziehen sollte, weil da doch zu viel gesangliche Glätte und süßer Pathos mitspielt, was auf Dauer den Magen verdirbt. Als warnendes Beispiel wird dann auch der große Hit der Truppe ans Ohr geliefert, mit dem ein Reiseportal-Anbieter im Werbefernsehen in Dauerschleife nervt. Conor Oberst trifft Casting-Show. Werbefernsehenindiefolkpop halt. Kann man den Burschen natürlich nicht wirklich vorwerfen, muss aber keine Dauerschleife werden.

Bei Brian Lopez & Gabriel Sullivan ändern sich Auftreten und Tonfall. Zwei Herren mit schicken, dunklen Westernhüten, schicken, dunklen Westernanzügen und Westerngitarren, die sich synchron zueinander an der Bühnenfront betätigen. Nichts äußerst Alleinstellendes, jedoch ein sehr schöner und kraftvoller Sound, der stilsicher Stimmung schafft und auf den Hauptact hinführt. Roots-Musik des amerikanischen Südwestens mit modernerer, rockiger Schlagseite und über den Rio Grande hinwegweisend. Eine sehr getreue Darbietung von "The Ghost of Tom Joad" ("a song by Bruce Springsteen", für alle, dies nicht wissen sollten) steht in der Mitte des Sets.

Es ist schon 21.45 und da betritt dann Howe Gelb und somit Giant³ Sand die Bühne. Er setzt sich zuerst ans Klavier, nur einen Schlagzeuger hat er dabei. Derart reduziert geht es los, ruhig, etwas minimalistisch, versonnen.  Es ist jene Art der Giant Sand - Musik, die er auf den Liner-Notes des Albums  "Heartbreak Pass" (New West, 2015) als "Volume 3" und als den "blessed curse of the indie transponder" bezeichnet (im Gegensatz zu Vol. 1, "the loud and lucky abandon" und Vol. 2, "what they call Americana these days"). Piano-Klimpern, introvertiert-jazzig. Musik, die Aufmerksamkeit fordert und fördert. Das Publikum will aber eher Gitarren. Es fordert diese nach einiger Zeit lautstark ein und Howe Gelb, nicht beleidigt, sondern eher verschmitzt schauend, greift zu selbiger. Unterstützung erhält er von Brian Lopez sowie Gabriel Sullivan und bald ist eine ganze siebenköpfige Band auf der Bühne. "Pen To Paper" ertönt schön in Szene gesetzt, eigentlich noch ein Vol. 1-Stück. Nun aber entfaltet sich die ganze Live-Glorie von Giant³ Sand. Schöne Harmonien, ein traumwandlerisches, beschwingt-sicheres Zusammenspiel der Musiker und über allem die charakteristische wie souveräne Stimme von Howe Gelb. Im Unterschied zur Platte "Heartbreak Pass" (New West, 2015) gibt es hier - zumindest zunächst - keine Sängerin. Aber die anwesenden Akteure entfalten auch so einen hohen Variantenreichtum, der in einer Vielzahl souverän gemeisterter Stile mündet. Dabei bleibt aber eine verbindende Grundstimmung unter der Führung des Bandleaders immer gewahrt. Hier wird uns die hohe Kunst vorgeführt, etwas nicht zusammengewürfelt klingen zu lassen, ihm eine verbindende Seele zu geben und doch hohe Abwechslung zu bieten.

A propos Seele. Auf dem schon mehrfach erwähnten neuen Album (das ich empfehlen kann, auch wenn es an die Liveperformance nicht herankommt) wird ja die allerletzte Nummer "Forever And Always" von Howe Gelb gemeinsam mit seiner Tochter Talula intoniert. Letztere ist erst zwölf und kann daher nicht auf Tour dabei sein. Aber die Gelb-Familie hat ein zweites As im Ärmel: Howes Tochter Patsy Jane. Sie kommt vom Merchandise-Stand herbei und ist bei "Forever And Always" und weiteren Stücke engagiert. Sie braucht etwas, groovt sich aber hinein. Und dann, Überraschung, darf sie ganz übernehmen. Patsy´s Rats heißt die nun schon vierte Band an diesem Abend, besteht aus der Namensgeberin sowie einem Mitmusiker und heizt zwischen drin mit Westküsten-Power Pop ordentlich ein. Der Papa sieht es mit zufriedenem Gesichtsausdruck aus der Publikumsperspektive. Zurück auf der Bühne hat er nur eine Frage "Any questions?" Ja, einer will wissen, wer denn die Mutter von Patsy Jane ist und Howe Gelb sagt es uns.

Es geht schon fast gegen Mitternacht, da ist der Gelbsche Wanderzirkus vorüber. Kurzweilig war es und die Musik war eigentlich immer gut. Selten einmal ist die Zeit bei einem so langen Konzert so mühelos vorüber geflogen, war da gar kein Moment da, in dem ich auf die Uhr blickte. Selten waren hier Leute zu Gast, die musikalische Versiertheit im Spiel derart mit sympathischer Authentizität im Auftreten vereinten.

Nur eine traurige Mitteilung hat der gut gelaunte Howe Gelb seiner Fangemeinde noch zu machen: diese Jubiläums- soll auch die letzte Tour sein für Giant Sand. Er wolle sich auf das Piano konzentrieren. Nun, auch wenn manchen die Vorstellung nicht gefallen mag: sehen wir es einfach als weitere Mutation.



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