Sonntag, 5. Februar 2012

Im Kino # 11: Alexander Payne - The Descendants

Hawaii ist ein grausamer Ort. Die Menschen tragen Hawaii-Hemden und Badeschlapfen, im Hintergrund dudeln gnadenlos die Ukulelen. Und die Familienväter sehen aus wie George Clooney. Und werden trotzdem betrogen.

Moment, spulen wir zurück: Hawaii ist nicht so toll, wie man sich das im Klischee ausmalt. Auch hier haben die Menschen ihre Sorgen und Nöte, müssen mit Schicksalsschlägen zu Rande kommen. Dies erklärt uns die wohlklingende Stimme des erwähnten Clooney eingangs von "The Descendants". Alexander Payne, der verantwortliche Regisseur, hat ein gutes Gespür für Settings, die in reizvollem Kontrast zu den behandelnden Themen stehen. Im herrlichen "Sideways" setzt er die Landschaften des kalifornischen Wine Country zwei komisch-tragisch mit ihren fortgeschrittenen Lebensphasen hadernden Männern entgegen.

Ein schöne Gegend nun also auch in "The Descendants". Weniger zu Anfang, als die Stimme von Matt King    - so heißt George Clooney im Film - einsetzt und wir die Downtown-Schluchten von Honolulu sehen. Mehr dann später, als wir der tropisch blühender Gärten der Hawaiianer, der Atem beraubende Ausblicke auf den Ozean und der schönen Strände gewahr werden. Die Natur als Ankerpunkt für unruhige Seelen, die sie zum Innehalten zwingt, ähnlich den ruhigen Momente von "Sideways".

Wie in "Sideways" verschmelzen auch diesmal in der Postkartenkulisse Tragisches und Komisches ineinander, wobei die Molltöne diesmal doch deutlich stärker durchklingen. Schon die Ausgangslage bedingt dies: Matt Kings Frau ist bei einem Unfall schwerst verletzt worden und liegt im Koma. Der viel beschäftigte, auf Immobilienrecht spezialisierte Rechtsanwalt sieht sich mit zwei halbwüchsigen Töchtern zurück gelassen, denen er nun der Vater sein muss, der er bisher nicht war. Von einer seiner Töchter erfährt er nun auch noch Dinge über seine Ehe, von denen er in dieser Situation wohl lieber nichts gewusst hätte. Zu allem Überfluss muss er zugleich den Verkauf der seit Generationen im Familienbesitz befindlichen Gründe auf der paradiesischen Insel Kau´i über die Bühne bringen. Heerscharen von Vettern in Hawaiihemden und die Öffentlichkeit des gesamten Bundesstaats beobachten deswegen argwöhnisch jede seiner Handlungen.

Es ist interessant zu beobachten, ob und wie dieser Matt King mit der potenziell überfordenden Lebenssituation zu Recht kommt. Von konfusen, nachgerade linkisch anmutenden Anfängen ausgehend, in denen ihm die Wirkungstreffer der Ereignisse anzusehen sind, muss er zu eine klaren Linie finden, muss insbesondere auch die Unterstützung seiner Kinder gewinnen. Das geht jedoch nur, indem er sein bisheriges Ich, diese korrekte, Karriere orientierte Juristenexistenz, hinterfragt und zu einem neuen Selbstbild und neuen Werthaltungen findet. Eine spannende, Lebens verändernde Erfahrung inmitten der Krise.

Ist der äußere Tatbestand des Filmes somit eigentlich rasch erzählt und umrissen, so liegt sein eigentlicher Reiz weniger in Wendungen und Entwicklungen (die nicht wahnsinnig unerwartbar sind), sondern im psychologischen Spiel mit den Charakteren. Diese müssen es schaffen, ihr eigene Ich-bezogene Sichtweise hinter sich zu lassen, um gemeinsam die krisenhafte Gesamtsituation zu meistern. "The Descendants" ist in diesem Sinne ein klassisch- amerikanisch anmutendes Familiendrama, als es hier zentral darum geht, Verständnis für die Situation des jeweils anderen zu entwickeln und dadurch zu gemeinsamen Lösungen zu gelangen. Es sind weniger die äußeren Geschehnisse, auf die der Film sein Augenmerk legt, sondern die Motive der handelnden Figuren und wie sie zu einem wechselseitigen Verständnis derselbigen finden.

Dabei ist auch klar, dass nicht jeder immer mitgenommen werden kann. Matt Kings Schwiegervater etwa scheint im Schmerz über das Schicksal seiner Tochter so gefangen, dass es für ihn kein Verständnis der spezifischen Situation des Schwiegersohns geben kann (und darf!).

Die angesprochenen Entwicklungen werden von Alexander Payne und seinen Akteuren geschickt und subtil entfaltet, ohne große Momente des Pathos oder überdeutliche Eingriffe in nachvollziehbare Handlungsabläufen zu benötigen. Hinzu kommt die nahezu immer spürbare Präsenz von Humor, die in all diesen Dramen Ruhepunkte schafft, sich aber gerade in dem Moment wieder zurücknimmt, wo das allzu Groteske, Beifallheischende droht.  Aus all dem entspringt ein unterhaltende und sich lebensnah anfühlende Erzählung.

"The Descendants" mag in inhaltlicher Hinsicht einiges an letztlich doch Vorhersehbarem enthalten, der Aufbau des Films ist aber durchaus unorthodox und originell ausgeführt. Der Streifen ist dadurch zwar nicht unbedingt spannend im herkömmlichen Sinn, aber dennoch sehr interessant geworden. Und kann als Abhandlung über die Bewährung in Krisenzeiten derzeit jedem ans Herz gelegt werden.

Ja, und die Ukulelen hört man irgendwann auch nicht mehr so sehr.

Meine Bewertung: 3.5 aus 5 Sternen.





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