Dienstag, 28. Februar 2012

Im Kino # 12: Michel Hazanavicius - The Artist

Es ist ein schönes Gefühl, wenn man das Leitmotiv einer Filmrezension schon zu wissen glaubt, bevor man den rezensierten Film gesehen hat. "The Artist" ist ein schwarz-weißer Film ohne Worte, somit ein "stummer" Film. Damit konnte ich zuallererst Stille, Ruhe, fast Entschleunigung assoziieren - ein wohl tuender Gegensatz zur vorangegangenen  Arbeitswoche, die laut war und voller Diskussionen, vollgestopft mit Worten.

Aber ganz so war er dann gar nicht. Erstens ist "The Artist" nicht wirklich stumm. Wie in der klassischen Stummfilmära wird er untermalt von Musik, die - je nach Situation - von komisch bis dramatisch changiert. Nur, dass diese von der Leinwand selber schallt und nicht von Kinomusikern beigesteuert wird. Diese Untermalung kann zeitweise durchaus lautstark und leicht aufdringlich tönen und treibt die Handlung zuweilen recht gnadenlos vor sich her. Das verbale Stummsein wiederum beschränkt sich  auch nicht darauf, ein ästhetisches Stilmittel zu sein oder eine verspielte Hommage an ein verblichenes Genre (was es selbstverständlich auch ist). Es dient auch als stets gegenwärtige Metapher für das seelische Gefangensein des Titel gebenden Hauptprotagonisten (Filmname: George Valentin, dargestellt von Jean Dujardin), aus dem dieser entkommen muss.

Und damit sind wir bei zweitens: "The Artist" ist nicht ruhig oder betulich, sondern durchaus dramatisch. Ein psychologisches Drama um einen Star der Stummfilmära, den die als sehr abrupt dargestellte Entscheidung seines Studiobosses (John Goodman), auf Tonfilm umzusatteln, auf der Höhe seines Ruhms trifft und persönlich, künstlerisch wie finanziell zu Fall bringt. In einer Drehpause im Jahr 1927 führen sie ihm die neue Technologie vor Augen und Ohren. Inmitten der allgemeinen Begeisterung der Studioleute, die die neuen Vermarktungschancen wittern, steht er, der Künstler, verständnislos wie belustigt angesichts einer  einigermaßen unnatürlich zum Mikrophon gebogenen Frau, die ihre Stimme betätigt. Als Künstler kann er darin noch keine Bedrohung erkennen, als Stummfilmstar will er sie nicht sehen. Eine starke und intensive Szene, die Kinogeschichte fühlbar macht.

1929 ist dann das Jahr, in dem die "Talkies" ihren endgültigen Durchbruch erleben und der Börsencrash George Valentins Erspartem den Garaus macht. Was folgt, ist ein recht altmodisches Liebesmelodram, mit elegant inszenierten wie erwartbaren Wendungen. Der französische Regisseur Michel Hazanavicius nähert sich respektvoll der alten Zeit. Das Zeitgeistig-Grelle, das Obszöne, das Zynische bleibt hier ganz außen vor. Dass das Skript eine gewisse Altbackenheit aufweist, gehört ins Konzept, passt ins graumelierte Bild. "The Artist" ist ein schöner Film, nicht mehr und nicht weniger. Die Darsteller tragen dazu bei, sie haben augenscheinlich Freude an dem "anderen" Kino. Neben Hazanavicius´ Lieblingsakteuren Jean Dujardin und Bérénice Bejo (seiner Lebensgefährtin) stellen sich Hollywoodstars wie John Goodman (der in Schwarz-Weiß manchmal ein wenig aussieht wie Heinz Fischer), James Cromwell oder Penelope Ann Miller zur Verfügung. Und natürlich Uggie, der Terrier. Der verdient natürlich ohnehin mindestens einen Oscar.

Humor wird geschickt eingesetzt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das zu beobachtende, sanfte Persiflieren des alten Genres belächle es zugleich ein wenig. Aber das stimmt meines Erachtens nicht: die Posen sind durchaus alten Vorbildern gemäß und die zeitweiligen ironischen Brechungen sind notwendig, um ihnen im doch anders ausgerichteten Auge des heutigen Betrachters noch mehr Akzeptanz und damit Würde zu verschaffen.

"The Artist" ist aber nicht bloß ein mit Zitaten gespicktes Tribut an eine andere Filmära, es ist natürlich auch - dazu sehe man sich nur die allerletzte Einstellung an - eine Liebeserklärung an das Kino und das Filmemachen an sich. Und letztlich auch an den Wandel in dem selbigen. Er soll voranschreiten, das Kino künstlerisch verändern und bereichern, aber bitte auch dem Alten die gebührende Ehre erweisen.

Welch feine Ironie der Filmgeschichte, dass "The Artist" ausgerechnet einen 3D-Film im Oscarrennen ausgestochen hat (der sich allerdings seinerseits wieder mit den Anfängen dieser Historie beschäftigt).

Meine Bewertung: 3.5 aus 5 Sternen





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