Montag, 5. Mai 2014

In Concert # 43: Donaufestival, 25.4. + 26.4.2014, Krems/Donau, Teil 1

Ich halte eine neue Gitarre in Händen. Meine erste eigene, nicht-geliehene Gitarre. Es ist eine Westerngitarre in Grand Auditorium-Form mit Cutaway. Ich freue mich.

Dass ich am Wochenende vor dem Gitarrenkauf am Donaufestival in Krems war, hängt mit diesem nicht ursächlich zusammen. Denn, obwohl diese Veranstaltung (vor allem) auch ein Musikfestival ist, kam an den beiden Festivaltagen 25. und 26.4. keine einzige Gitarre zum Erklingen. Nichts dergleichen. Nada. Das Wochenende stand ganz im Zeichen elektronischer Beats und Sounds.

Dabei hat sich das Donaufestival nicht per se der Elektronischen Musik verschrieben. Es widmet sich vielmehr dem Wegweisenden, dem Experimentellen, dem Innovativen und Mutigen. Und an diesem Wochenende suchte es das eben im Gefilde der Elektronik und insbesondere - und besonders am 26.4. - des anspruchsvollen Techno. Dazu gab es wie in jedem Jahr auch Installationen und Performances zu sehen.

Unsere erste Performance erlebten wir am Freitag, den 26.4. ganz ungeplant: das Maibaumaufstellen am Steiner Rathausplatz. Ein größere Gruppe Männer (einschließlich zwei Frauen) mit und ohne Uniformen, die Bier und Schnaps tranken und zwischendurch an Seilen zogen, um den Baum weiter aufzurichten. Definitiv kein Bestandteil des Donaufestivals, was man auch daran erkennen konnte, dass Robert Kratky kurz ans Megaphon durfte/musste (hatte sich anscheinend in einem Bierlokal versteckt und wurde da heraus geholt). Wir haben den aufrechten Baum nicht ganz erwartet, denn der erste Programmpunkt des Festivals stand an. Robert Henke in der Minoritenkirche.

Die Steiner Minoritenkirche: einer der tollsten Konzertorte in Österreich. Ein frühgotisches Bauwerk aus dem 13. Jahrhundert, ihres Zeichens die älteste Kirche eines Bettelordens nördlich der Alpen. Bereits unter Josef II. samt dem dazu gehörigen Kloster vollständig säkularisiert, diente sie lange als Lager für Tabakwaren der Steiner Tabakfabrik. Nun steht sie glücklicherweise als "Klangraum Krems Minoritenkirche" der zeitgenössischen Musik offen. Die bringt am Donaufestival das alte, aber vollständig restaurierte, Gemäuer zuweilen gehörig zum Erscheppern.

Vor der Kirche: eine Kunst-Crowd, Menschen mit originellen Frisuren und ernsthaft-schicken Outfits, einer hat ein Barret auf. Sie stehen da, als ob sie gesehen werden wollen. In der Kirche sind die, die Musik hören wollen. Als wir hineinkommen ist es ziemlich voll. Dunkel ist der Kirchenraum, doch auf einer großen Leinwand in der Mitte spielt es sich ab. Nichts für Epileptiker. Zeichen und Chiffren jagen im Stakkato über die Bildfläche, laufen ineinander über. Eine Reise durch den Code der Zeiten, bis zu binären Nullen und Einsen und darüber hinaus. Erzeugt von einem vom Künstler Robert Henke selbst konstruierten Laser-Projektor. Welcher wiederum an einen Synthesizer gekoppelt ist, der hochfrequente Töne frei gibt, die über einem Bassfundament tanzen, wie die blinkenden Lichter auf der Leinwand. Ein audiovisuelles Feuerwerk, das in seiner Konsequenz beeindruckt, mit der Zeit aber auch etwas monoton wird. Gegen Ende ist der Klangraum ziemlich leer, die Menschen haben sich zur Kunst-Crowd auf den Minoritenplatz gesellt.

Vielleicht schauen sie auch gerade bei der Installation von Finnbogi Petursson vorbei. In einem Raum mit Gewölbe, den man vom Kreuzgang des Minoritenklosters nach Durchschreiten eines Schall dämpfenden schwarzen Vorhanges erreicht, breiten sich Wellen in dreierlei Medien aus. Ein ganz tiefer, vibrierender Basston erfüllt den Raum und massiert auf durchaus angenehme Weise die Eingeweide. Unter uns schreibt er auf einer Wasserfläche Sinus-förmige Wellen, die sich zugleich auf den Wänden des Raumes als bewegtes Licht wieder spiegeln. Die Installation heißt Off - 3Hz und stellt eine Hommage an das menschliche Bewusstsein da, erwacht doch das Gehirn mit einem (freilich für das menschliche Ohr als solches nicht wahrnehmbaren) Brummen von drei Hertz aus dem Schlaf. Sie ist auf eine ganz eigentümliche Weise bewegend und eindrucksvoll.

Am Kremser Messegelände, dem primären Austragungsort des Donaufestivals angelangt, erwartet uns auf der diesjährigen Hauptbühne, dem Stadtsaal,  Roly Porter. Über zwei Rechner gebeugt, lässt er sein Konzeptwerk Life Cycle of A Massive Star abrollen. Der Gewaltigkeit des dargestellten Ereignisses entsprechend, geschieht dies in Gestalt von elektronisch zusammen gefügten Ambient-Sounds, die freilich zumeist sehr, sehr laut und dröhnend daher kommen. Hier sind Ohrstöpsel eigentlich Pflicht, wenn man bloß schon daran gedacht hätte. Stellt man sich in die Mitte des Saales auf den bibbernden Parkettboden und somit genau zwischen die Waffenschein-pflichtigen Stereotürme, erfährt man das stellare Ereignis beinahe als Gewalttat am eigenen Körper. Hier wippt der Mensch nicht das Metrum der Musik, sondern die Musik wippt, passend zur "Botschaft" des Werkes, mit dem Menschlein. Jedenfalls ein Ereignis und Erlebnis, das man nicht mehr so schnell wieder vergisst.

Das trifft durchaus auch auf den Human Zoo von God´s Entertainment in Halle 1 (in früheren Jahren war hier die Hauptbühne) zu. Am Rande der Gesellschaft stehende Gruppen wie zB Punks, Tagelöhner, Asylwerber oder Alleinerziehende in Käfigen. Füttern mit Bier und Zigaretten erlaubt, außer beim Asylwerber (Schild: "Füttern verboten!"). Das Neonazigehege befindet sich hingegen noch in Bau. Auch wenn man darauf vorbereitet ist, ist das doch irritierend. Wie gibt man sich, wie verhält man sich, wenn die Gitterstäbe physisch und nicht nur im Kopf existieren, wenn die Zurschaustellung von Menschen einmal ganz ostentativ erfolgt?

In der Halle 2 tritt derweil Ebe Oke auf. Der Schüler von Karlheinz Stockhausen singt mit heller Stimme seine irgendwo zwischen Pop und E-Musik angesiedelten Kantaten, unterstützt von etwas Elektronik und einem echten Streicher-Trio (Cello, Violine und Viola). Ein Kontrapunkt zu den an diesem Wochenende so dominierenden elektronischen Beats, der aber dennoch (oder eben deshalb) soundmäßig eher untergeht und recht wirkungsarm verpufft.

Das kann man von Jon Hopkins eher nicht sagen. Seine elektronische Tanzmusik hämmert, flimmert und wummert durch den mittlerweile voll besetzten Stadtsaal und versetzt diesen sehr erfolgreich in Bewegung. Der renommierte DJ, Musiker und Produzent aus Wimbledon changiert dabei gekonnt zwischen den verschiedenen elektronischen Genres, ohne dass ich echte Brüche gemerkt hätte oder sich diese in meinem Gedächtnis festgeschrieben hätten. Freilich: viel mehr als die Erinnerung an ein ordentliches Maß Intensität konnte ich da nicht mitnehmen.

Wiederum anders - und wie anders - verhält es sich da hernach bei Oneothrix Point Never. Der Elektroniker aus Brooklyn baut vor unseren Ohren ein Konstrukt aus unterschiedlichsten Lauten, Klängen und Geräuschen auf, in die man hineinfallen kann wie in eine riesige Welt-Maschine. Eine Maschine, in der sich Kurbeln ebenso bewegen wie Zahnräder und auch sonst alles, was an mechanischen Bauteilen denken lässt. Wobei es nicht der industrielle Ton von Metall ist, den wir vernehmen, sondern etwas Anderes, Feineres, ein weicheres, elastischeres Material.
Auch repräsentiert diese aus allen erdenklichen Lauten bzw. ihren elektronischen Annäherungen geschaffene Maschinerie keinen durchgehenden Ablauf, keine durchgehende Rhythmik, keinen Groove, auf den man einbiegen und sich weit tragen lassen könnte. Permanent bricht Oneothrix Point Never die musikalischen Ideen noch in statu nascendi wieder auf, zerbricht die Ahnung einer aufkommenden Melodie, eines festgefügten Taktes und schafft gerade an diesen Bruchstellen Momente von erstaunlicher Schönheit. Es ist mithin eine Musik, auf die man sich richtig einlassen muss, die Ohren richtig spitzen sollte. Aber dann wird man belohnt.

Dies ist der perfekte Abschluss des ersten Tages. Kein Mouse On Mars mehr. Unsere Aufnahmefähigkeit ist erschöpft.

Fortsetzung folgt..

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