Joan Baez in Linz, neben der neugotischen Kulisse des Neuen Doms. Fast hätte ich geschrieben "im Schatten des Neuen Domes", aber das wäre - zumindest für die äußeren Bedingungen zu Anfang dieses Konzertes - etwas irreführend.
Sie möchte nicht über das Wetter reden, sagt Joan Baez zur Begrüßung - und tut es später dann doch. Da erfahren wir dann, dass die Probe wegen der großen Hitze ausfallen musste.
Merkt man aber nicht unbedingt. Gestartet ist Joan Baez mit dem von Steve Earle geschriebenen Song "God Is God", was ja auch zur Kulisse passt. Und von Anfang an ist sie da, die unverwechselbare, fast signalhafte Stimme von Joan Baez. Eine Stimme, die sich vielleicht in den ganz hohen Höhen nicht mehr ganz so einsetzen lässt wie einst, aber im normalen Betrieb nichts von ihrer Einzigartigkeit und ihrem speziellen Glanz verloren hat. Echte Aussetzer sucht man den Temperaturen zum Trotz vergebens.
Die Sängerin trägt kurze Jeans an und ein langes weißes Shirt. Begegnungen in amerikanischen Bio-Supermärkten fallen einem ein. Jedes prätentiöse und glamouröse Gehabe fehlt auf der Bühne. Eine Handvoll Musikerinnen unterstützen sie abwechselnd, die Gesamtarrangements bleiben aber, wenngleich deutlich schallend und wohl klingend, eher zurück genommen. Die Stimme, die Erzählung, soll immer den Mittelpunkt bilden. Joan Baez kennt ihr Publikum, sie weiß, welche Erwartungshaltungen bestehen - und erfüllt sie.
Sie berichtet von "Coffeehouses", in denen sie einmal angefangen hat. Im Publikum, das überwiegend - aber keineswegs ausschließlich - aus einer älteren Generation gebildet wird, wird gelacht und wissend genickt.
Tatsächlich, das gesamte Auftreten der Künstlerin vermittelt uns das Gefühl, Baez stehe auf einer kleinen, intimen Bühne und pflege einen intensiven Austausch mit einem Publikum, das sie kennt oder zumindest kennen lernen möchte. Sie arbeitet sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit und gelassenen Ernsthaftigkeit durch das Liedgut wie sie es - so möchte man annehmen - immer getan hat.
Dabei steht aber - und auch das war ja eigentlich schon immer so - nicht so sehr die Person Joan Baez im Mittelpunkt, sondern das Liedgut, die Botschaften die es transportiert und die Gemeinschaft die es konstitutiert. So suchen wir an diesem Abend echte Eigenkompositionen von Baez fast vergeblich. Sicher, "Diamonds And Rust" wird früh gespielt und ist ein Höhepunkt des Abends. Aber davon abgesehen, dominiert neben Folkloristischem ("Swing Low, Sweet Chariot", "House of the Rising Sun") vor allem das Songwriterwerk anderer ("Me And Bobby McGee", "The Boxer", mehrere Songs von ihrem einstigen Protegé und Partner B.D.) .
Und das Protest- und Friedenspolitische natürlich. Joan Baez studiert gerne Songs in der jeweiligen Landessprache ein, auch das schafft Bindung zum Publikum. Und für den deutschsprachigen Raum hat sie sich diesmal den pathetischen "Die Waffen nieder" -Song "Wenn unsere Brüder kommen" von Konstantin Wecker ausgesucht. Höhepunkt des Abends ist aber nicht das etwas kuriose, aber gleichwohl unterhaltende, Wecker-Baez-Deutsch, sondern ein Gezi-Park-Protest-Song. Wenige Tage zuvor war die Künstlerin in Istanbul und von dort hat sie einen perkussionistischen, mitreißenden Track mitgebracht, der den Kampf um Frieden und Mitbestimmung von den alten Standards, die ihr Publikum erwartet hat, ins Hier und Jetzt katapultiert.
Hier zeigt sich uns am Deutlichsten, warum Joan Baez´ Auftritt trotz des doch sehr konsequenten (und massenpublikumsgängigen) Herunterdeklinierens von alten "Hits", Protestsong-Klassikern und Sechziger/Siebzigerjahre-Memorabilien (s. die angeführten Nummern oben) letztlich nicht in einem konsumistischen Nostalgiesentiment versumpft. Es steckt immer noch Haltung dahinter. Und die ist spür- und hörbar in der Art, wie sie immer noch Songs singt, die sie offenbar selbst schätzt und für geeignet erachtet, eine Verbindung zwischen den Menschen aufzubauen. Joan Baez erscheint einem dabei wie ein sanfter Sturm des friedlichen Protests, der vom "Marsch auf Washington" über die Bombennächte in Hanoi bis zum Gezi-Park beständig und unbeirrbar durch die Jahre zieht.
Den offiziellen Teil des Abends beschließt "Gracias a la Vida" von Violetta Parra. Jubel. Dann folgen die Zugaben. Jetzt wird es mir ein bisschen zu viel. "Sag mir, wo die Blumen sind", haben wird dann schon gehört, dann musste es auch noch "Imagine" sein. Ich fürchte mich vor "Blowin´ in the Wind" (nicht prinzipiell, aber in diesem Fall). Aber zum Glück bleibt es aus. Der Abschluss wirkt angesichts der doch schon erheblichen Hit-Dichte im Laufe des Konzertes ein wenig überladen, leise Erinnerungen an ein eher zwiespältiges Erlebnis in Wien werden wach.
Aber die schönen und zumeist auch sehr kurzweiligen Momente dieses Konzertes kann das nicht mehr umbringen. Eine Dissonanz gibt es freilich noch. Nachdem die MusikerInnen die Bühne verlassen haben, verabschiedet man uns mit der amerikanischen Hymne. Es handelt sich zwar mit einiger Wahrscheinlichkeit (die Musik geht dann auch für mich im allgemeinen Trubel unter) um die Version des Jimi Hendrix, die folglich ein Heiligtum des Protestsongs darstellt. Aber, das erwägen einige der um mich gruppierten "Friedensjünger" erst gar nicht. "Frechheit, jetzt die amerikanische Hymne zu spielen!" ereifern sich gleich mehrere Männer und Frauen rund um mich herum, ohne auch noch einen Moment länger zuzuhören.
Das ist ernüchternd. Wenn sich blinde Wut mit Gedankenlosigkeit paart, werden auch all die schönen Worte der Friedenslieder nichts nützen.
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