Dienstag, 1. März 2016

Ohren(ge)fälliges: Monatsmeister des Monats Jänner 2016

Snooks Eaglin - Death Valley Blues
New Orleans, Louisiana
         Gewonnene Ränge: + 8


Jeder, der sich ernsthaft mit der Populären Musik des 20. und 21. Jahrhunderts beschäftigt, wird irgendwann auch beim Blues landen. Die oft gehört Aussage, dass " eigentlich eh alles Blues" ist, ist zwar sicherlich eine unrichtige Trivialisierung, umgekehrt ist es aber schon so, dass die repetitiven Strukturen und Akkorde des Blues tief in der DNA von jenen Stilen und Genres eingeschrieben sind, die wir unter "Populärer Musik" verstehen.

Ich habe mir mit dem Blues lange etwas schwer getan. Es fehlten mir die musikalischen Hooks, an die ich meine Aufmerksamkeit hängen konnte. Bluesmusik erschien mir etwas monoton. Aber, ich hatte auch noch nicht gelernt, richtig hinzuhören.

Den Dosenöffner für den Blues machte eine Platte, die in der unbarmherzigen (aber durchaus nicht ganz unnotwendigen) Maschinerie der Genreklassifizierungen für Langspieler eigentlich im Fach "Folk" abgelegt wird: "Bob Dylan" von Bob Dylan. Dieses Album, welches das Porträt eines noch etwas milchgesichtigen Dlyan ziert (es ist sein Debütalbum aus dem Jahr 1962), enthält einigen Folk (wie die kanonischen Traditionssongs "Man Of Constant Sorrow" und "House Of The Rising Sun), so manchen (Country-)Blues und manches, was sich im Kontinuum dazwischen abspielt.

Das Werk hat eine spröde, raue Blueshaftigkeit. Es hat sich mir anfangs nicht erschlossen, ich hatte Dylan damals auf den polierten Protest-Folk von "The Freewhelin´" bezogen und festgemacht. Aber mit mehrmaligem Hören entdeckte ich, dass unter der rauen, körnigen und grieseligen Oberfläche eine ganze Welt lag, in der jemand aus der Tiefe seiner Seele heraus und in allen möglichen Schattierungen der selbigen sehnte, jammerte, lamentierte.

Und am Ende dieser Welt, dieser, einmal zugelassen, so intensiven Erfahrung, lag, wie an jedem Ende: das Vergehen, der Tod. Drei Stücke Sterbe-Blues enthält "Bob Dylan": "Fixin´ To Die" nach Bukka White, "See That My Grave Is Kept Clean", im Original von Blind Lemon Jefferson und den traditionellen Gospel-Blues "In My Time Of Dyin´". Hier zeigt sich, welche Unmittelbarkeit und Kraft der Blues entfalten kann, wenn er als Grundierung für final-existenzielle Gefühlsausbrüche genutzt wird. Wie ein letztes, widerständiges, aber dem Vergehen anheim gegebenes Pulsieren des Lebens, das zugleich auf eine metaphysische Transformation hofft.

Auch der "Death Valley Blues" in der Version von Snooks Eaglin, der sich auf den recht gut ausgewählten Protestsong-Sampler von Not Now Records verirrt hat, kann in die Kategorie des Sterbe-Blues einsortiert werden. Religiöse Anrufungen stehen hier aber nicht im Mittelpunkt. Der Song, der im Original von der Delta Blues-Legende Arthur "Big Boy" Crudup (der einige Steilvorlagen für Elvis geliefert hat) stammt und von Snooks Eaglin etwas adaptiert wurde, hat sogar eher eine laszive Schlagseite, wenn der Sänger etwa den Damen, die zu seiner Beerdigung erscheinen sollen, Bekleidungstipps gibt und sie auffordert, ganz in rot gekleidet zu erscheinen oder den Morgenrock überzuwerfen. Gleichzeitig ist der Track in einem reduzierten, lakonisch-knöchernen Stil gehalten, die Gitarrensaiten staksen in ihm zuweilen herum wie Gerippe, begleitet von einem eindringlichen und unerbittlichen Klopfen am Gefüge der Außenhülle. Fast vermeint man die eingangs angerufenen Grabsteine und "dry bones" eines metaphorisch gemeinten "Death Valley" zu sehen, in dem die kahle Wüstenhaftigkeit seines realen Gegenstücks widerzuhallen scheint. 

Snooks Eaglin - Death Valley Blues (leider nur auf Spotify verfügbar)


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