Donnerstag, 7. November 2013

In Concert # 39: Velojet / Slut / Sohn / Austra (Ahoi! Pop Festival 2013), 1.11.2013, Posthof, Linz

Irgendwie hat sich das Ahoi! Pop Festival im Linzer Posthof verändert. Als ich exakt ein Jahr zuvor schon einmal da war, zeigte das Lineup noch eher die Ambition, dem Besucher auch Künstler nahe bringen zu wollen, von denen man noch nichts gehört hat. Im Jahr 2013 kannte man nun fast alle Acts nur allzu gut aus den jüngsten FM4-Charts und/oder aus Ton angebenden Musikpostillen. Das Ahoi! Pop geht auf Nummer sicher, könnte einer sagen. Oder aber: es ist ganz einfach groß geworden.

Im Besonderen treffen diese Aussagen auch auf den diesjährigen Allerheiligenabend zu. Für Freunde alternativer Musik verschiedener Generation war da angerichtet. Und zahlreich waren sie erschienen. Der Große Saal war ziemlich voll, auch hinten auf den Sitzplätzen saßen einige Menschen.

Velojet, Gründungsjahr 2003, spielten als erste auf. Die "Wiener mit oberösterreichischen Wurzeln" (wie es so schön heißt) werden schon verdammt lange als das nächste ganz große Ding des österreichischen Pop gehandelt. Jetzt haben sie sich zeitweise ausgeklinkt, waren in Indien. Dabei haben sie aber nicht vergessen, wo sie herkommen, wie auf Posthofsbühne gleich zu Beginn betont wird ("die einzige österreichische Band heute Abend"). Sonst kommt die Quotentruppe (zwei Männer, zwei Frauen) aber sehr sympathisch rüber. Auch der Britpop-Scheitel ist im fernen Osten keineswegs verrutscht und sitzt bei Velojet noch immer perfekt. Indische Klänge hören wir da eigentlich nicht heraus, dafür sauberen Gitarrenpop mit sehr ordentlichen Melodien und Harmonien, bei denen nicht nur die alten Briten, sondern auch deren kalifornische Vorläufer durchscheinen. All dieses zügig vorgetragen, ohne Pausen zwischen den Stücken. Soundmäßig war das vielleicht nicht das allerbeste dieses Abends, das Publikum noch nicht ganz angekommen (mental, zahlenmäßig sehr wohl). Aber als Auftakt war das doch gelungen.

Slut aus Ingolstadt, mittlerweile München, gegründet 1994, sind so eine Band, wo man sich zuerst erstaunt gegenseitig anschaut, dass es die noch gibt. Damals, Ende der 90er Jahre wurden sie auf den Studentenpartys rauf und runter gespielt. Allerheiligen 2013 standen also jetzt die StudentInnen von einst im Großen Saal, im Vergleich zu Velojet war es nun etwas spärlicher, dafür älter. Slut blicken immer noch recht zuversichtlich in die Welt, obgleich das Internetzeitalter ihrem Bandnamen wahrscheinlich nicht allzu gewogen war (versucht es mal auf YouTube - oder lieber doch nicht!). Auch ihrem Sound hat der Strudel der Zeit ein wenig Leids getan. Nicht, dass sie ihre alten Stücke nicht noch souverän darbringen würden, aber zeitweise frägt man sich schon, wann endlich Brian Molko in Ingolstadt anruft, um sich mit seinen Stilbrüdern zu unterhalten. Erstaunlich, wie ähnlich sich Musik aus der richtigen Distanz auf einmal anhören kann. Der Nostalgieeffekt greift bei dieser freilich noch rettend ein, was man beim neuen Material, bei dem Slut sich an rockigerem Geläuf versuchen, allerdings nicht mehr behaupten kann. Am Ende gibt es noch die "Mackie Messer-Moritat" aus der "Dreigroschenoper" (daran haben sie sich auch einmal versucht) und schließlich "Easy To Love", den (zu?) unwiderstehlichen Ohrwurm.

Das beste kommt freilich nicht immer zum Schluss. Eine Tochter, ein Sohnein Sprößling halt, kommt häufig eher in der Mitte des Lebens. Oder eben auch eines Ahoi! Pop-Abends. Zugegeben, wir sind derzeit schon alle ziemlich drauf auf diesem Zeug, das die Spex treffsicher als das "Magische Dreieck aus R´n´B, Indie und Electro" bezeichnet hat. Wobei, Indie, naja, vor allem R´n´B und Electro, würde ich da sagen. Aber, hallo, auf welchem Niveau spielt sich das da ab! Dieser Sohn (realer Name und Geburtsdatum unbekannt) ist ein Brite, der aus privaten Gründen seinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt hat. Und welch ein Glücksfall ist das. Majestätische, schön akzentuierte Beats türmt er mit Hilfe zweier Mit-Musiker in die Längen und Breiten des Posthof und doch weit darüber hinaus. Dazu singt seine sanft-nachdenklichen Stimme Weisen in jenem Stil, den manche als bedroom r´n´b bezeichnen, die einen aber keineswegs in den Schlaf wiegen, sondern ziemlich zu packen vermögen. Das wahrlich Erstaunliche aber ist: der Mann hat unter dem Künstleralias Sohn gerade eine einzige EP heraus gebracht und doch enthält diese offenbar schon ein ganzes, kleines Universum, in dem jeder Song ein raffiniert gesponnenes Unikat und dennoch unverkennbar Teil des Ganzen ist, Teil jener Stimme, die der Künstler für sich bereits gefunden hat.

Nach Sohn liegt die sonische Latte freilich hoch. Es ist schon 0.30 Uhr und manche(r) demnach nicht mehr ganz frisch, als zum Abschluss der mit viel Spannung erwartete Auftritt von Austra, gegründet 2009, beginnt. Jener kanadischen Band um die klassisch ausgebildete Sängerin Katie Stelmanis, die es vermag, mittels klassischer Stimmbrillanz, tanzbaren Rhythmen, poppigen Hooks und dunkler Grundierung ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das Popradiojünger, Musikblogs lesender Hipster und Gestalten der Nacht gleichermaßen unter dem Schirm ihrer Tonleitern zu vereinen vermag. Tatsächlich zieht sich mir, als Frau Stelmanis ihren Gesang anstimmt, auch gleich ein wohliger Schauer von den Nackenhaaren hinunter über die Arme. Und, diese Momente dürfen sich auch wiederholen, etwa wenn sie den machtvollen Hit "Lose It" darbietet, der von Koloraturen gekrönt wird. Auch visuell ist es ansprechend. Austra möchte offenbar weg vom Image der dunklen Prinzessin aus der Goth-Disco und träumt sich in ferne Welten. Asiatische Schirme sind aufgespannt, an der gesamten Rückwand der Bühne erhebt sich eine fernöstliche Bergdarstellung, vielleicht ein Hiroshige. In diesem bildlichen Kontext gewinnt auch die Musik neue Bedeutungen und Assoziationen. Und wir erinnern uns, dass Austra der Name einer lettischen Götttin des Lichts sein soll, was schließlich gut zu einem Land der aufgehenden Sonne passt. Bei allem Strahlen und aller Schönheit geht aber doch auch etwas ab: Unterscheidbarkeit. Austras Stücke kommen von dieser Livebühne zu gleichförmig daher, allzu zu sehr aus einem Guss. Das hindert dann doch die echte Faszination.


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