Natürlich braucht er sie, diese Aufmerksamkeit, die Blicke. Die bewundernden, in denen er sich spiegeln kann ebenso wie die verächtlichen, an denen er sich reiben kann. Einer wie Morrissey könnte, wenn es zu viel wird, sich auch gut und gerne darauf zurück ziehen, einfach seine Songtitel (in dieser Disziplin ist er ziemlich unübertroffen) auf T-Shirts drucken zu lassen und damit seine Rente zu bestreiten. Sozusagen.
Und dann gibt es auch wirklich T-Shirts, am Merchandising-Stand am kalten Pflaster neben dem Wiener Konzerthaus, und da steht dann so etwas Merkwürdiges drauf wie "This Is Morrissey´s Town And We Are In It". Hm.
Es war bislang kein einfaches Jahr für Morrissey. Da war zunächst die teilweise Absage der USA-Tour aus gesundheitlichen Gründen, der Konflikt mit dem Label, das gerade sein letztes Album "World Peace Is None Of Your Business" heraus gebracht hat, ja Vorwürfe, er wäre in ein Mordkomplott verwickelt und schließlich die öffentliche Bekanntgabe seiner Krebserkrankung. Wir haben also schon unsere Zweifel, ob und wie uns der ehemalige Smiths-Sänger an diesem nasskalten Wiener Abend in den Räumlichkeiten des Konzerthauses entgegen treten wird.
Im prunkvollen Großen Saal steht ein Mikrophon auf der Bühne und kündet davon, dass er heute da sein wird. Der Saal selbst ist zur offiziellen Beginnzeit eher locker gefüllt, was sich dann doch noch ändert, randvoll wird er aber nicht. Hinter dem Standmikro dominiert eine sehr große, weiße Leinwand den Bühnenraum. Auf den Eintrittskarten steht "Morrissey & Guests" und wir fragen uns, wer den diese Gäste sein mögen. Treten hier neben Morrissey und seiner Band noch andere Musiker auf? Bezeichnet er seine Band als "Gäste"? Oder uns? Bei Morrissey muss man mit vielem rechnen.
Die Leinwand geht an und die Ramones spielen auf. In der folgenden halben Stunde reisen wir in schwarz-weißen Bildern durch die kulturelle Sozialisation des Steven Patrick Morrissey. Musiker (überwiegend), Comedians, sogar Poesie. Neben den Ramones glauben wir Nico wieder zu erkennen sowie X Ray Spex (?). Chris Andrews singt "Yesterday Man". Und Charles Aznavour gibt mit einem Standmikrophon vor einem weißen Vorhang "Emmenez-moi", was zu der Mutmaßung verleitet, eine wichtige Inspirationsquelle für Morrisseys mimische und gestische Stilistik entdeckt zu haben.
Dem musischen fügt sich auch der politisch-provokante Morrissey bei. Schon am Eingang haben uns junge Frauen Flyer in die Hand gedrückt, auf denen uns der Künstler gemeinsam mit PETA auffordert, vegan zu werden. Dessen Singstimme vernehmen wir erstmalig beim Zusammenschnitt eines Best-Ofs der schlimmsten Stierkämpfer-Unfälle. Und schon vorher haben wir Aufnahmen einer Anti-Thatcher-Demo gesehen, welche sehr unmissverständlich hiermit untermalt war.
Diese recht unterhaltsame Clip-Show dauert eine gute halbe Stunde. Dann, recht plötzlich und unvermittelt, steht Morrissey auf der Bühne. Begleitet wird er von seiner Band, die ein wenig wie seine höchstpersönlichen Büroangestellten am casual friday aussehen. Von der Leinwand blickt uns jetzt sehr grimmig ihre Majestät die Königin an und reckt uns sehr unfreundlich ihre beiden Mittelfinger entgegen. "The Queen Is Dead" schallt durch den Saal.
Bedingt durch die lockere Publikumsmasse zu Anfang haben wir Plätze zirka in Reihe 15, also weit vorn. Das hat den Vorteil, dass wir Morrissey sehr genau bei seinem Tun beobachten können. Der Nachteil ist, dass die Gitarren in diesem Großen Saal so nahe an der Bühne ziemlich laut und grell herüber kommen und ich mir Ohrenschützer wünsche. Etwas schade, denn stimmlich ist Morrissey in Form, seine klangschöne Artikulation tönt unbeirrt durch den Raum.
"World Peace is None of Your Business" ist das nächste, das er uns mit fester Stimme entgegen hält - und es macht Spaß. Dann folgt "The Bullfighter Dies", wiederum mit Bildern von siegreichen Stieren. Ein erster Höhepunkt ist interessanter Weise "Istanbul", ebenso wie "World Peace..." ein Song vom neuen Album, ein geradezu psychedelisch-bluesiger Jam, der gekonnt in ein pumpend-bedrohliches "How Soon Is Now?" übergeleitet wird.
Morrissey gibt sich dem Publikum gegenüber huldvoll, reicht Hände (auch denen, die versucht haben die Bühne zu stürmen), erfüllt Wünsche und spielt einen Song, den er seit 2007 nicht mehr hat vernehmen lassen ("Suedehead"). Er lobt die Stadt ("a beautiful city,...quite beautiful"). Anders als bei einem mir noch erinnerlichen Frequency scheint er den Rahmen ihm angemessen zu finden.
Die Konzertbesucher wiegen sich jetzt zufrieden im Takt des Poprock mit dem Morrisseyschen Weltschmerz-Schmelz. Doch der hat noch etwas vor. Zum Abschluss des Hauptblocks warnt uns die Leinwand, dass jetzt sehr unschöne Dinge gezeigt werden und so ist es auch. Zu Bildern von Tierfabriken und Schlachthäusern gibt Morrissey eine eindrucksvolle Performance von "Meat Is Murder". Das Publikum wirkt danach wie paralysiert, gerade jetzt muss es aber die Zugaben einfordern. Morrissey-Humor.
Er kommt wieder und will offensichtlich trösten, denn er spielt eine sehr schöne pianobegleitete Version von "Asleep". Und dann noch "Everyday Is Like Sunday", dieses fast euphorische Lied, in dem sich der Protagonist wünscht, dass endlich eine Atombombe die öde englische Kleinstadt auslöscht.
Damit endet dieser Abend, gerade eineinhalb Stunden hat der Auftritt gedauert. Morrissey hat sich offenbar seine Kräfte gut eingeteilt, hat Haus gehalten. Eine Ökonomie, die auch anzeigt: da ist jemand, der genau kalkuliert, der sich gezielt inszeniert und wohl auch mit Plan provoziert. Morrissey, das ist ein wenig wie ein Hochbegabter, der zu genialen Dingen fähig ist, aber seinen Intellekt genauso einsetzt, um in einer Welt, die ihm lächerlich und unwürdig ist, mit Sticheleien auf sich aufmerksam zu machen.
Egal aber ob er gerade Diva oder Gentleman ist, Schöngeist oder politischer Aktivist, selbstironisch oder zynisch, aufgeräumt oder Grantler, eines ist ein Live-Auftritt von Morrissey in Normalfall jedenfalls: ziemlich unterhaltsam.
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