A 2015
Die Gruppe ehemaliger Haider-Vertrauter teilt sich in zwei Lager. Jene, die wissen, wie man eine Internetsuchmaschine bedient und jene, die das offenbar nicht wissen. Gibt man nämlich "Nathalie Borgers" dort ein, erfährt man sogleich, mit welchem Streifen die Dokumentarfilmerin aus Belgien in Österreich bislang am meisten Aufsehen erregt hat.
"Kronen Zeitung, Tag für Tag ein Boulevardstück" (engl. "Citizen Krone") kam 2002 heraus und offenbarte einen tiefen Einblick in das innere Wirken und die äußere Wirkung der Auflagen stärksten Zeitung des Alpenlandes. Ein schauriges Panorama der österreichischen Seele wurde da aufgetan: Journalisten, die gezielt, ganz unverhohlen und mit mutwilligen Übertreibungen die Angst vor Flüchtlingsströmen schüren, Kirchenmänner, die zugleich die Blattlinie als "christlich" bezeichnen, höchste Repräsentanten des Staates, die vor der Zeitung und ihrem Herausgeber zu Kreuze kriechen, ein "Poet", der stolz sein Bücherregal präsentiert, in dem die gesammelten Reden Adolf Hitlers zu finden sind.
Der Trick, mit der Borgers diese erstaunlichen Einblicke zustande brachte, war so genial wie scheinbar einfach. Als ausländische Dokumentarfilmerin mit nettem französischem Akzent getarnt, gab sie sich scheinbar distanziert vom österreichischen Politzirkus, wirkte auf die Objekte ihrer Recherche arglos, harmlos-neugierig, fast naiv, was sie natürlich niemals war. Denn sie musste das Vertrauen gestandener medialer und politischer Profis gewinnen, nicht mit unerfahreneren, schlichteren Gemütern werken, wie es etwa der Kollege Ulrich Seidl tut. Das Ergebnis war so sensationell und erschütternd, dass die Kronen Zeitung in der Folge den Fernsehsender ARTE, der die Doku brachte, kurzerhand aus dem Fernsehprogramm strich und sich der ORF angeblich standhaft weigerte, den Film auszustrahlen.
Die Kronen Zeitung, so eine Kernthese von Nathalie Borgers damals, ist wesentlich mitverantwortlich für den Aufstieg Jörg Haiders und damit des Rechtspopulismus, der es gerade unter wütenden Protesten des restlichen Europas in Regierungsämter geschafft hatte (heute leider ein Zustand der "Normalität").
Von der "Kronen Zeitung" ist in Borgers´ neuem Werk "Fang den Haider" nicht mehr die Rede. Es geht um die ideologischen Wurzeln, die unterstützenden Netzwerke und die Systeme die Jörg Haider genutzt hat, um Macht zu erlangen und zu erhalten. Und um die Frage, warum er trotz des ökonomisch wie politisch toxischen Erbes, das er und seine blauen (und dann orangen) Getreuen hinterlassen haben, immer noch einen harten Kern von Verehrern besitzt.
Zuerst besuchen wir also die deutschnationalen Bauern Kärntens, die offenbar keine Suchmaschine benutzt haben und Nathalie Borgers freundlich in die Küche lassen. Überhaupt, die Filmemacherin muss sich Sorgen um ihren Cholesterinspiegel machen - allerorten wird sie gastfreundlich empfangen. Im Salzkammergut, der zweiten Heimat Haiders, bereitet Uschi Haubner eine Leibspeise des verstorbenen Bruders zu. Nathalie Borgers hat es offenbar wieder geschafft, ins Gespräch zu kommen. Auch die greise Mutter Haider plaudert entspannt über die Besatzungszeit.
Nicht alle Weggefährten Haiders sind freilich verfügbar. Viele stehen vor Gericht und haben keine Lust auf Interviews. Stefan Petzner hat offenbar gegoogelt und ist misstrauisch: "Nur, wenn das ein positiver Film wird und kein linker Film!" Das Interview kommt nicht zustande. Der ehemalige Haider-Sekretär Peter Westenthaler gibt hingegen gerne Auskunft - umgeben vom luxuriösen Ambiente eines Kärntner Hotels, in dem er bei seinen vielen Besuchen im Süden nächtigen durfte. Dies gehört zu den eindringlichsten Szenen.
Haider, den Privatmann, spart der Film weitgehend aus. Auch Jahre nach seinem Tod umgibt diesen eine Mauer des Schweigens. Im Mittelpunkt stehen seine Netzwerke, seine wechselnden politischen Allianzen und Loyalitäten. Seine Taktiken und Tricks (etwa die auf Steuerzahlerkosten errichtete Tankstelle mit angeblich libyschem Öl).
"Fang den Haider" schlägt keine vergleichbaren Wellen wie die "Kronen Zeitung"-Dokumentation, hat nicht annähernd deren entlarvende Brisanz. Altrechte Politveteranen sitzen hier in idyllischen Kärntner Landschaften, verarbeiten das Geschehene und werben um Verständnis. Kritische Stimmen klingen ebenfalls nachdenklich, scheinen in Reminiszenzen zu schwelgen. Scharfe politische Wortmeldungen finden nicht statt.
Blendet man das widerlich-provokative Anstreifen an der NS-Zeit aus, so wirkt das hier gezeichnete Bild des wendigen und stark Kärnten-bezogenen Lederhosen-Populismus Haiders angesichts der aggressiven Fratze, die der rechte Populismus heute im Europa der Krise erhebt, fast schon wieder niedlich. Aber das sind die Tücken der Nostalgie und es täuscht. Borgers macht kein Hehl aus ihrer Ansicht, dass im schönen Salzkammergut und in den beschaulichen Tälern Kärntens etwas angefangen hat, an dem Österreich und Europa heute schwer zu tragen hat.
Mit "Fang den Haider" ist ihr mit ihrer bewährten und kurzweiligen Vorgehensweise ein nicht uninteressantes zeithistorisches Dokument gelungen, ein Schlaglicht auf eine vergangene Phase des Rechtspopulismus, verkörpert durch seinen ersten Medienstar.
Meine Bewertung: 3 aus 5 Sternen
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