Dienstag, 16. November 2010

Rückblog # 4, 2009 im Kino, Teil 3/4

Das Jahr zieht ja wirklich schnell vorbei..

2009 im Kino, Platz 9-6

09 Danny Boyle: "Slumdog Millionaire" 3.5

Dieser Film war der Sensationserfolg des Jahres 2008. Bei der Oscarverleihung 2009 räumte "Slumdog Millionaire" acht Goldstatuetten ab. Etwas komisch nur, dass die hervorragenden indischen Darsteller komplett leer ausgegangen sind, während Danny Boyles Werk in den nicht-darstellerischen Kategorien groß auftrumpfte. "Slumdog Millionaire" ist kein indischer Streifen, kein Triumph der Weltkinos, darüber können auch asiatische Klänge und exotische Settings nicht hinwegtäuschen. "Slumdog Millionaire" ist ein romantisches Hollywooddrama, das ein Brite inszeniert hat. Da wandelt die Story speziell gegen Ende auch schon Mal am Rande des vorhersehbaren Kitsches und der Berechnung. Bevor aber jetzt der Verdacht aufkommt, dass hier so etwas wie post-kolonialistisches Ausbeutungskino vorliegt, muss festgehalten werden: Boyle gelingen zwischenzeitlich immer wieder beeindruckende Einblicke in das zeitgenössische indische Leben. Und die setzt er in bewährter Manier auch bildlich eindrucksvoll in Szene.


08 Gus Van Sant: "Milk" 3.5

Das berühmteste Zitat von Harvey Milk lautet: "If a bullet should enter my brain, let it destroy every closet door." Am 28. November 1978 wurde der erste offen homosexuelle Stadtrat von San Francisco im Rathaus seiner Stadt erschossen. Milks Traum war es, dass sich alle Homosexuellen des Landes outen würden ("coming out of the closet"), sich damit ihre wahre Zahl und Stärke erweisen würde und sie damit die ihnen zustehende Rechte und den ihnen gebührenden Respekt erkämpfen könnten. Die Bluttat seines eben erst zurück getretenen Stadtratskollegen Dan White hatte weniger einen schwulenfeindlichen als mehr einen persönlichen Hintergrund (Milk hatte sich dagegen ausgesprochen, dass White von Bürgermeister Giorgio Moscone - der am selben Tag ebenfalls durch White ermordet wurde - das Amt eines Stadtrats zurück erhalten sollte). Nichtsdestotrotz machte dies Harvey Milk zu einer regelrechten Ikone der amerikanischen Homosexuellenbewegung. In Gus van Sants Film "Milk" wird er von Sean Penn dargestellt, eine Wahl, über die sich grundsätzlich sicherlich streiten lässt, die aber schließlich in schau spielerischer Hinsicht erwartungsgemäß überzeugt. Der raue Sean Penn mutiert voll und ganz zum gewandten Politiker Harvey Milk. Weit beeindruckender noch als Penn: Josh Brolin als Stadtrat Dan White, der dieser tragischen Nebenfigur eine unheimliche Faszination einzuhauchen vermag. Gus van Sant inszeniert die schicksalshafte Verstrickung dieser beiden Männer mit großer Liebe zum (historischen) Detail und in einem fast dokumentarischen Tonfall. Nur das (historisch vorgegebene) Ende ist gar arg pathetisch geraten und fällt damit aus dem Rahmen. Dennoch ist "Milk" natürlich ein ungemein wichtiger Film; in einer Welt, in der Homosexuelle in viel zu vielen Ländern der Erde noch immer verfolgt oder zumindest diskriminiert werden und sich ein Bischof Küng vor deren Netzwerken fürchten muss.


07 Jonathan Demme: "Rachel´s Wedding" 3.5

Ein Familienfest, genauer gesagt eine Hochzeit. Die Schwester der Braut kommt frisch aus dem Drogenentzug, ihre Stimmungslage ist durchaus labil. Konflikte zwischen den Familienmitgliedern scheinen unausweichlich und brechen auch aus. Die Ereignisse werden - beinahe einem Hochzeitsvideo gleich - mit der Handkamera aufgezeichnet. Es handelt sich hier aber nicht um einen skandinavischen Film, sondern um ein Werk von Jonathan Demme, der in den 90er Jahren mit "Das Schweigen der Lämmer" und "Philadelphia" Hollywood-Geschichte schrieb. Demme gelingt mit "Rachel Getting Married" ein kleiner Überraschungscoup. Der Film ist zweifellos dem Genre des Familiendramas zuzuordnen, schafft es aber zugleich, nicht in einer Pose der düsteren Verzweiflung zu erstarren, sondern bei allem Ernst leichtfüßig und auch humorvoll zu bleiben. Jene Momente, in denen etwas Hollywood-Pathos durch zu glühen scheint, werden durch die ruckelige Handkamera-Machart und einen feinen Sinn für clevere Wendungen wirkungsvoll entschärft. Zudem zeigt Anne Hathaway als Schwester der Braut eine ausgezeichnete darstellerische Leistung, mit der es sich schön mitleiden, aber auch - freuen lässt. Insgesamt ein Film, der dazu geeignet ist, Erwartungshaltungen immer wieder über den Haufen zu werfen. Meine erste positive Überraschung des vergangenen Kinojahres.


06 Sacha Baron Cohen: "Brüno" 3.5

Sprechen wir doch noch ein bisschen über Erwartungshaltungen. Bei "Brüno" machte ich mich eigentlich auf das Schlimmste gefasst: ordinäre Witze, zotiges Geblödel, hyperaktive Nervigkeit. Natürlich ist in diesem Film auch genug von diesen Dingen enthalten. Aber im Gegensatz zu dem völlig sinnfreien "Borat", hat sich Herr Cohen bei seinem neuen Werk um so etwas wie einen halbwegs stimmigen Plot bemüht. Die Hauptfigur, ein homosexueller österreichischer Modejournalist, reist in die USA, um dort berühmt zu werden. Brüno präsentiert sich uns dabei als ein wahrer Ausbund an egozentrischer Eitelkeit und Kamerageilheit. Aber er treibt diese - entsprechend Cohens bekannter Methode - auch auf entlarvende Art und Weise auf die Spitze. Ebenso wie er seine Gesprächspartner entlarvt, indem er sie in sein Spiel hineinzieht. Während er in "Borat" letztlich doch ziemlich fragwürdige Witzchen über zentralasiatische und nordamerikanische Zivilisationen zum besten gab, zielt er diesmal relativ treffsicher auf den weltweiten Kult der schönen Oberflächlichkeit, auf ausufernden Individualismus und den Hang zur Selbstdarstellung. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum das Publikum sowie das Kulturfeuilleton mit dem Streifen weniger anfangen konnte als mit "Borat". Ach ja, und das Ende ist sowieso wünderbar (Achtung: Spoiler!).

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