Sonntag, 1. April 2012

Furcht auf Vorrat

Heute treten jene gesetzlichen Regelungen in Kraft, die österreichische Telekom- und Internetprovider verpflichten, eigene Datenbanken einzurichten, in denen sämtliche Verkehrsdaten (Verbindungsdaten) hinsichtlich ihrer Nutzer sechs Monate gespeichert sind - die Vorratsdatenspeicherung (ich nenne sie in der Folge VDS). Zweck ist es, eine spätere Zugriffsmöglichkeit des Staates auf diese Daten sicher zu stellen, damit dieser im Zuge von Ermittlungen wegen schwerer Straftaten sowie zur Abwehr konkret drohender Gefahren Informationen erhält.

Grundsätzlich ist für einen solchen Zugriff laut Gesetz eine richterliche Genehmigung erforderlich, bei IP-Adressen und E-Mail-Verkehrsdaten gibt es jedoch kraft Strafprozessordnung (StPO) sowie Sicherheitspolizeigesetz (SPG) für die Behörden auch Zugriffsmöglichkeiten ohne Richtervorbehalt (Details erspare ich, vgl. die Ausführungen hier).

Jeder, der einmal auch nur kurze Zeit in der Strafjustiz gearbeitet hat, weiß, welche essenzielle Rolle Verkehrsdaten heutzutage bei der Überführung von Straftätern spielen. Insbesondere, wenn es darum geht, organisatorische Zusammenhänge in kriminellen Organisationen jedweder Art aufzuzeigen, sind sie von größter Bedeutung. Aus der Perspektive der Ermittlungsbehörden ist der Wunsch nach gesetzlich geregelter Vorratsdatenspeicherung in einer Zeit, in der die Kommunikation zu großen Teilen über mobile Telefongeräte und Internet abläuft, durchaus nachvollziehbar. Dies vorab und pauschal als faschistoide Überwachungsfantasien der Polizeibehörden abzukanzeln, wie das manche Kritiker tun, zeugt von mangelndem Verständnis der realen Situation.

Die VDS in der vorliegenden Form ist aber dennoch sehr problematisch. Schließlich handelt es sich hier um nicht mehr und nicht weniger als die gesetzliche Anordnung, prinzipiell sämtliche Daten aller Nutzer (es gibt sehr wohl Ausnahmen, auf die aus Gründen der Komplexität hier aber jetzt nicht näher eingegangen werden soll) über die vertraglich-technischen Notwendigkeiten hinaus zu sichern, somit völlig losgelöst von einem konkreten Bedrohungsszenario oder einer vermuteten Straftat. Das ist schon ein Bruch mit vielem, was bisher für den Eingriff in Grundrechte gegolten hat. Das Hauptproblem, dass sich einem hier aus menschenrechtlicher Sicht aufdrängt, ist das folgende: Ist es verhältnismäßig, derart viele, personenbezogene Daten für einen relativ langen Zeitraum "einzufrieren", um in verhältnismäßig wenigen Fällen Ermittlungserfolge zu erzielen? Hier steht somit ganz massiv die Relation des Mittels zum Zweck auf dem Prüfstand.

Voraussetzung dafür, zu einer positiven Bewertung einer VDS gelangen zu können, wäre daher aus meiner Sicht - neben den "Selbstverständlichkeiten", wonach die Datensicherheit gewährleistet ist,  Rechtsschutz für Betroffene besteht und unabhängige Instanzen Zustimmungs- und Kontrollbefugnisse besitzen - ein eindeutiger Nachweis in Form von Studien bzw. Evaluierungen hinsichtlich der erreichbaren Ziele. Ein Beweis, wonach durch die gesetzlich vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung ein derartiger Quantensprung für die Zwecke der Strafverfolgung und Sicherheitspolizei erfolgt (welche, das darf man nicht vergessen, selbstverständlich auch menschenrechtlich geboten sind), dass es die massenhafte Vorab-Speicherung legitim erscheinen lässt. Derartiges scheint aber augenblicklich nicht vorzuliegen.

Entscheiden werden es letztlich die Höchstgerichte. Man darf gespannt sein. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat ja zB 2010 die aufgrund einer EU-Richtline aus 2006 europaweit einzuführende VDS für an sich zulässig erachtet, allerdings gleichzeitig die konkrete Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber in der Luft zerrissen.

Panik ist nicht angebracht. Ganz klar muss gesagt werden: Mit 1. April 2012 wird sich die Rechtspraxis in Österreich nicht tiefgreifend verändern. Die Speicherung von Inhalten, zB der Inhalt eines E-Mails oder die Webseiten, die über den Provider besucht wurden, bleibt weiterhin verboten. Eine Speicherung von Verkehrsdaten durch die Provider hat es - auf anderer rechtlicher Grundlage - bereits vorher gegeben, und diese waren auch schon bisher verpflichtet, diese Daten bei Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen herauszugeben. In der Praxis war auch die Dauer der Speicherung in der Regel gar nicht so weit von dem entfernt, was die Regelungen zur VDS nun festschreiben. Auch der recht problemlose Zugriff der Sicherheitsbehörden auf IP-Adressen nach StPO und SPG ist nicht wirklich neu. Er erfährt allerdings durch den nunmehr wachsenden Datenpool eine faktische Erweiterung.

Die gegenwärtige öffentliche Aufmerksamkeit und Diskussion über die VDS kann in diesem Sinne durchaus auch als Chance begriffen werden. Als Chance, dass für das Thema "personenbezogene Daten" sensibilisiert werden kann und auf dieser Grundlage womöglich in der öffentlichen Diskussion und Auseinandersetzung neue Lösungen gefunden werden, die die Interessen der Allgemeinheit an einer funktionierenden Strafverfolgung und Gefahrenabwehr auf der einen und das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre der BürgerInnen auf der anderen Seite besser in Einklang bringen.


Rechtliche Ausführungen sind Interpretation des Autors und ohne Gewähr.

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