Samstag, 8. Dezember 2012

Mailand und Bergamo in Buchstaben L-Z

Fortsetzung von hier.

L wie Leonardo

Der Maestro aus Vinci hielt sich in seinem von wechselnden Arbeitgebern geprägten Leben zweimal für längere Zeit in Mailand auf. Von 1482 bis 1499 stand der Ingenieur, Architekt, Mechaniker, Anatom, Mathematiker, Physiker, Naturphilosoph, Schriftsteller und Allroundkünstler in Diensten von Mailands damaligem Herrscher Ludovico Sforza, genannt "Il Moro". Der hatte Leonardo eigentlich angestellt,damit der toskanische Künstler ihn in einem imposanten Reiterstandbild verewigt. Das Standbild wurde allerdings nie fertig, was einerseits auf Künstlerallüren Leonardos, andererseits aber auch auf seinen fürstlichen Auftraggeber zurück zu führen ist, der das benötigte Bronzematerial letztlich lieber der Waffenherstellung widmete, um seine Haut zu retten. Was ihm aber dann nicht gelang: mit dem Fall Mailands in die Hände der Franzosen endete auch Leonardos erster Aufenthalt in der Lombardei. Untätig ist er freilich in dieser Zeit keinesfalls geblieben: er machte sich als Gründer und Organisator der städtischen Müllabfuhr von Mailand einen Namen, verbesserte und verschönerte das Castello Sforzesco (s. K) und den Dom (s. D) und führte bei den Partys am Hofe Regie. Nebenbei schuf er auch noch nicht ganz unbedeutende Kunst, zum Beispiel das da oder aber ein Secco (nicht: Fresco!), das er an die Wand des Speisesaales des Franziskanerklosters Convento Santa Maria delle Grazie gepinselt hat. Es stellt Jesus und seine Jünger beim letzten Abendmahl dar und man kann es exakt 15 Minuten besichtigen, wenn man entweder Monate im Voraus auf einer (angeblich rein italienisch sprachigen) Webseite Karten erwirbt oder aber vor Ort für € 60 eine Mailand-Halbtagestour bucht (letzteres haben wir gemacht). Dank intensiver Restaurationsarbeit erstrahlt dieses- aufgrund der gewählten Maltechnik eigentlich nicht für immer geschaffene - Werk heute fast wie frisch aus der Hand Leonardos und ist den Aufwand und die zwei Schleusen, die zuerst durchschritten werden müssen, auf jeden Fall wert. In einem vergleichbaren Zustand wird es vermutlich auch 1506 noch gewesen sein, als Leonardo auf Ruf des französischen Vizekönigs ein zweites Mal nach Mailand kam, wo er in der Folge fünf weitere Jahre verbrachte.

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Leonardo und seine Schüler auf der Piazza Scala.

M wie Mode

Prada, Armani, Versace, Dolce & Gabbana, Valentino. Sie alle drucken Milano auf ihr Briefpapier. Wer sich für Mode interessiert, kommt an Mailand  nicht wirklich vorbei, besonders, wenn es um die so genannte Haute Couture geht. Wessen Kreditkarte auch noch sehr belastbar ist, kann dann auch mal im Goldenen Karree (s. G) in deren Läden shoppen gehen. Etwas weniger Sportliche gehen zu Geox (fragt meinen Begleiter W.).

N wie Napoleon

Der sehr kleine Korse mit den sehr großen Ambitionen ließ sich Anno 1805 pompöser Weise im Dom von Mailand mit der Eisernen Krone der Langobarden zum König von Italien krönen. Nachhaltiger als diese Inthronisation war, was er im Brera-Viertel hinterlassen hat: die Pinacoteca di Brera. In ein säkularisiertes Jesuitenkloster, das bereits die Habsburger den Künsten geweiht hatten, verfrachtete er all jene Altarbilder leer geräumter Klosterkirchen, die der Louvre nicht haben wollte. Und, legte damit den Grundstock für die sehenswerte Sammlung dieser Galerie. Spektakulär, wie die Kollektion den Übergang sichtbar macht, von den wunderschönen, aber zuweilen in der Darstellungsweise des Menschen noch etwas Karikaturen haften, spätgotischen lombardischen Altären zur Explosion des Naturalismus der Renaissance. Höhepunkte der Pinakotek von Mailand sind etwa ein, allerdings grotesk verkürzter, Leichnam Christi von Andrea Mantegna, eine phantasmagorische Auffindung der Leiche des hl. Markus von Tintoretto, eine in ihrer bunten Zartheit an Buchillustrationen gemahnende Hochzeit der Jungfrau Maria von Raphael oder ein sehr grungiges Abendmahl zu Emmaus von Caravaggio. Grundstockleger Napoleon wiederum hat sich im Innenhof der Gebäudes in Form eines in doppelter Hinsicht absurden Werkes verewigt: sein Kopf steckt auf einem stattlichen, muskulösen Männerkörper, das Ganze hat er "Napoleon als Friedens stiftender Mars" genannt. Nun denn.  

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Dank des Wappens erkennt man ihn sogar.

O wie Oper

Was heute die Rivalitäten zwischen Milan-Anhang und Inter-Fans sind (s. S), das spielte sich früher im Umfeld der Opernkultur statt. Verdi-Enthusiasten versus Puccini-Tifosi, das war Brutalität. Bei allen Meinungsverschiedenheiten war die italienische Oper in den Zeiten des Risorgimento aber zweifellos auch ein wichtiger, einigenden Faktor in dem eigentlich so unvereinbaren Land Italien. Ein zentrales Element dieser italienischen Opernkultur steht in Mailand: das Teatro alla Scala. Ab 1776 im Auftrag von Maria Theresia erbaut, ist es ein zweckmäßig ausgeführter, nüchtern-grauer, geradezu abweisend wirkender Bau. Etwas enttäuschend, wenn man so will. Beeindruckender ist das Innere: der imposante Saal, die schönen Logen, ein Bühnenbild für "Norma", mutmaßlich. Ein Museum gibt es auch.

P wie Po

An dieser Stelle muss jetzt leider mit einem gängigen Vorurteil aufgeräumt werden: Italien ist nicht überall eine schöne Gegend. Es gibt da auch noch die Po-Ebene. Die ist vor allem eines: flach, langweilig und dicht bebaut. Rund um Mailand hat sich ein gewaltiger Ballungsraum gebildet, der beinahe die Einwohnerzahl Österreichs erreicht. Hier gehen endlose Felder in endlose Reihen von Fabrikshallen, Lagerhäusern und Wohnbauten über. Das war zumindest unser Eindruck.

Q wie Quartiere Isola

Ein altes Arbeiterquartier nahe des Porta-Garibaldi-Bahnhofs, in dessen unmittelbarer Nähe eine riesige Baustelle ins Auge fällt. Hier wird ein komplett neues Viertel aus dem Boden gestampft, das auch das neue Verwaltungszentrum der Lombardei beherbergen und letztlich den Pirelli-Turm in den Schatten stellen soll.

R wie Ringe

Mailand ist wie eine Zwiebel. In der Mitte ist der harte, glänzende Kern in Gestalt des Domes. Um ihn herum dann die kreisförmig oder oval verlaufenden Schalen, Straßenzüge, die oft ehemaligen Befestigungsanlagen oder Kanälen folgen. Zu diesen gehören auch die Viale, lange, stark befahrene Verbindungsstraßen, die man vielleicht mit dem Wiener Gürtel vergleichen kann. An einer dieses Viale war auch unser Appartement situiert. Leider im Erdgeschoss und mit schlecht gedämmten Fenstern, was dem Erholungswert meiner Nächte nicht so zuträglich war.

S wie San Siro

Wenn man Jahr für Jahr mit ansehen muss, wie die beiden Fußballvereine aus Mailand auf hinterlistigste Weise (Catenaccio!) Titel einheimsen, die eigentlich anderen zustehen, kann man schon eine gewisse Voreingenommenheit gegen die Stadt entwickeln. Was natürlich irgendwie ungerecht ist. Daher macht es Sinn, sich, wenn man dort ist, direkt in das Herz der Finsternis zu wagen. Das Herz der Finsternis war in unserem Fall eine mäßig besuchte und fußballerisch ziemlich elende Begegnung zwischen dem AC Milan und dem FC Genua im Giuseppe Meazza-Stadion (allenthalben San Siro gennant), die die Heimischen passender Weise mit 1:0 gewannen. Aber, die Erkenntnis war da, dass es im San Siro, dem größten Stadion Italiens, eigentlich ganz nett ist, sofern man die berühmten, Parkgaragen-artigen Betonschrauben unbeschadet erklommen hat, die zum obersten Rang führen, wo dann offenbar die anwesenden Fußballtouristen aus halb Europa platziert werden. Außerdem sind wir nachher mit der U-Bahn heimgefahren und ich musste erkennen: AC Milan-Fans sind ganz normale, manchmal sogar richtig sympathisch wirkende Männer, Frauen und Kinder. Ganz ohne Hörner und Hufe. Spooky.

T wie Trenord

Eine an der Mailänder Piazza Cadorna ansässige Eisenbahngesellschaft. Wenn ihre Mitarbeiter streiken, kann es passieren, dass die gewohnte Fahrt mit der Schnellbahn ausfällt. Das ist aber halb so schlimm, solange Mailands sonstige städtische Verkehrsmittel noch ihre Kreise ziehen. Die Hauptstadt der Lombardei ist mittels öffentlichem Verkehr gut und für moderate Preise erschlossen. Die Mailänder nutzen das auch, sodass es zuweilen durchaus recht voll werden kann. Es geht sich aber immer irgendwie genau aus.

U wie Umwelt

Mailand bemüht sich. Besonders Luft verstinkende Kfz zahlen Sondergebühren, wenn sie in die Stadt wollen.  Ökologische Bauprojekte finden statt. City Bikes gibt es natürlich auch schon. Trotzdem hat Mailand immer noch einen Ruf wie Linz damals in den Siebzigern. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, beim Einkaufen kreuzte eine Frau mit Michael Jackson-Gedächtnismaske unseren Weg. Hoffentlich ein Zufall.

V wie Bagatti Valsecchi

Stell dir vor, du lebst im 19. Jahrhundert in einem Palast des 15. Jahrhunderts, der aber mit den Annehmlichkeiten des 20. Jahrhunderts ausgestattet ist. Gibts nicht? Gabs doch, nämlich in der Mailänder Via Gesù, unweit der Via Montenapoleone, in der heute die Modehäuser zuhause sind (s. G und M). Der Stadtadel derer von Bagatti Valsecchi dürfte eher nicht so schlecht bei Kassa gewesen sein, konnte die Familie doch ihre Leidenschaft für Kunst und Design der Renaissance mit einer Vorliebe für Warmwasser und elektrischem Strom verbinden. Jedes Zimmer wurde dabei von den zwei der Familie vorstehenden Brüdern als individuelles Kunstwerk begriffen, in welchem jedes Detail auf das andere abgestimmt sein sollte. Sie kauften originale Kunst aus dem Cinquecento und hängten sie neben zeitgenössische Werke, die dessen Stil nachbildeten oder bastelten gar aus dem Alten und dem Neuen eigenhändig ganz eigenes Mobiliar. So schufen sie ein wahres Schatzkästchen, das dank einer Stiftung und einiger Freiwilliger seit einigen Jahren der Öffentlichkeit zugänglich ist. Von den streng dreinblickenden, ehrenamtlichen Signoras, die die Räume hüten, geht dabei keine wirklich ernsthafte Störung aus und der im Palazzo herum geisternde, hauseigene Kunsthistoriker/Kurator/Nerd gibt gerne freundlich über jedes noch so kleine Detail der Wandtäfelungen Auskunft. Ein absoluter (Geheim?-)Tipp. Sofern man sich den Namen merkt - und nicht Valsetti Balsecchi ins Konzept schreibt.

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Hier geht es hinein. Den Rest müsst ihr euch dann selber anschauen.

W wie Wirtschaft

In Mailand macht nicht nur die Mode Moneten. Die Stadt in der Po-Ebene beherbergt auch Italiens wichtigste Börse, die großen Zeitungsverlage, Werbeagenturen und Banken. Ebenfalls in Mailand beheimatet sind der Getränkehersteller Campari (s. C), der Autoreifen-Krösus Pirelli, der der Stadt auch einen markanten Turm geschenkt hat, und Alfa Romeo. Das Viertel mit der womöglichst höchsten Dichte an Schlipsträgern ist die Zona Affari (siehe Z.)

X wie X für ein U

Lasst euch nichts vormachen. Mailand ist jedenfalls einen Besuch wert, auch wenn manch eine(r) etwas enttäuscht zurück kehren mag. Es macht Sinn, nicht mit klischeehaften Vorstellungen von Italien hinzufahren. Mailand ist nicht dolce far niente, sondern eine der schnellsten, geschäftigsten Wirtschaftsmetropolen (s. W) unseres Kontinents. Mailand hat im Vergleich zu den anderen berühmten Städten des Stiefels weniger alte Bausubstanz. Ein paar römische Steine gibts vielleicht noch, einen mittelalterlich geprägten Platz nahe des Doms (die Piazza dei Mercanti), ein Trastevere-artiges Viertel wie die Brera. Aber keine Geschlechtertürme, keine antiken Arenen. Nicht, dass es das nicht gegeben hätte. In Mailand hat es in seiner langen, bewegten Geschichte alles gegeben, sogar ausgedehnte Kanäle wie in der Lagunenstadt Venedig. Doch Mailand ist eben vor allem auch dynamisch und erbaut sich immer wieder neu.

Y wie Y

Ein Buchstabe, um den ItalienerInnen einen weiten Bogen machen. Vielleicht, weil ihn der grausame Diktator Sulla eingeführt hat. Dazu siehe schon hier und auch hier.

Z wie Zona Affari

Das Stadtviertel der Bankenpaläste, zwischen Scala und Piazza Cardusio gelegen, auch "Finanzkarree" genannt (bei so vielen Karrees werde ich hungrig). Hier verstehen sie etwas von brutto und netto, machen die bilancia, füllen sich die cassa und das conto, sammeln capitale an und erleiden hoffentlich nicht banca rotta.

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