Io Sono Li
I / F 2011
An dieser Stelle muss einmal etwas über die Übersetzung fremdsprachiger Filmtitel im Arthouse-Kino gesagt werden. Die ist nämlich allzu oft nicht viel berauschender als jene bei Mainstream-Blockbustern. Ich meine, der Regisseur oder auch der Produzent denkt sich schon etwas bei der Wahl eines Filmtitels, er begreift ihn mit Sicherheit als wichtigen Bestandteil seines Werkes. Dennoch scheint es bei Filmtitel gang und gäbe, dass man, unter Missachtung der künstlerischen Entscheidungen der Film-Urheber, einfach Umdichtungen vornimmt, deren Ergebnisse eher nach Werbeprospekt riechen denn nach irgend etwas anderem. Ich werde daher in Hinkunft den Originaltitel meiner Rezension voranstellen (hier habe ich es nachgetragen).
Nehmen wir zum Beispiel "Io sono Li" (zu deutsch: "Ich bin Li") des italienischen Regisseurs Andrea Segre, den wir beim Sommerkino am Dach des Offenen Kulturhauses in Linz gesehen haben. Als "Venezianische Freundschaft" ist dieser Film in unsere Kinos gekommen.
Dabei ist "Venezianische Freundschaft" ein Film, der gar nicht in Venedig spielt, sondern in Chioggia, das 25 Kilometer südlich von Venedig liegt. Venedig selbst kommt eine halbe Minute vor, ein Eck vom Markusplatz, die Rialto-Brücke. Fertig. Und Freundschaft kommt darin schon vor, ist aber eine Verniedlichung dessen, was in diesem Film geschieht, der seine Umbetitelung nicht verdient hat. Aber der Reihe nach, wie ich an solcher Stelle gerne zu sagen pflege.
Wir sind also in Chioggia, der kleinen Lagunenstadt. Eine kleine Café-Bar am Hafen, unweit der trüben Wässer der Lagune ist unser Hauptschauplatz. Bepi (Rade Serbedzija), der ursprünglich von der Küste auf der anderen Seite der Adria stammt und den sie "Dichter" nennen, weil er gerne Reime erfindet, geht hier tagtäglich ein und aus. Er trifft sich mit seinen Freunden, die großteils Fischer sind wie er selbst. Einen unterbeschäftigen Anwalt (Roberto Citran) gibt es da außerdem noch, sowie Devis (Giuseppe Battiston), einen massigen, aggressiv auftretenden Tagedieb mit ausgeprägten xenophoben Neigungen.
Die Chinesin Shun Li (Tao Zhao) ist von der Organisation, die sie nach Italien geschleust hat, in eben jenem Café geparkt worden. Sie arbeitet hier nun für Kost und Logis und in der Hoffnung, dass sie irgendwann bezahlt werden wird und ihren in China beim Großvater verbliebenen Sohn zu sich holen kann. Natürlich ist aller Anfang schwer. Mit kaum mehr als ein paar Brocken Italienisch kellnert sie und versucht sie, sich mit den stetig anschreibenden Stammgästen zu arrangieren. Mit der Zeit gelingt das auch, zumindest, soweit es die Wohlmeinenderen unter ihnen angeht. Bei Bepi geht die Annhäherung weiter, man entdeckt Kultur übergreifende Gemeinsamkeiten, entwickelt wechselseitige Sympathie.
Leider hält sich das Verständnis des sozialen Milieus in Grenzen. Und wir beginnen zu ahnen, dass wir es hier womöglich nicht mit einer schlichten Liebesgeschichte zu tun haben, sondern vielleicht eher mit einer Variation des Romeo-und-Julia-Themas.
Über der Lagune vor Chioggia mit den in sie hinein gestellten, schiefen Hütten der Fischer, wie sie Andrea Segre in "Io Sono Li" in gelassen-eindrücklichen Einstellungen einfängt, liegt eine schwermütige Schönheit, die sich in der Geschichte, die er erzählt, widerspiegelt. Diese Welt ist neblig grau und rau, die See schwappt schon einmal über die Hafenkante in die Gassen und Häuser (was von den Bewohner mit routinierter Gleichmut hingenommen wird). Nochmals: mit sonnigen Urlaubsfotos der Lagune von Venedig hat das nichts zu tun.
Untermalt wird das Ganze von dem hervorragenden, unaufdringlichen und doch atmosphärisch sehr präsenten Score von Francois Couturier. Bei aller Melancholie in diesem Film sind es seine, treffend besetzten, Nebencharaktere, die ihm doch auch eine Prise Leichtigkeit hinzu fügen. Sie sind markante, tragikomische Gestalten, die man sich jeweils gut als Ausgangspunkt eines eigenen Erzählstranges vorstellen könnte.
Meine Bewertung: 3.5 aus 5 Sternen
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