Ich schalte mein Handy immer aus, wenn es angebracht ist. Im Kino immer. Und in der Oper oder im Theater auch immer, sofern ich einmal dort bin. Und auf Hochzeiten, Begräbnissen und Taufen sowieso. Ich schaue lieber ein zweites und noch ein drittes Mal auf das Display, um ganz sicher zu gehen. Bevor etwas passiert.
Und dann passiert etwas bei der "Siegfried"-Ouvertüre und keinem fällt es auf. Das liegt vermutlich einerseits an der Bauweise der Publikumsränge im Linzer Musiktheater. Es liegt aber auch an der Musik von Wagner, die wie so ein dichter Klangvorhang auf einen herunter fällt (s. schon hier), so dass ein dumm klingelndes Mobiltelefon nicht viel ausrichten kann.
Menschliches Versagen, das mit dem Mobiltelefon. Bedingt durch eine gewisse körperliche Erschöpfung in einer gerade anstrengenden Zeit. Lars Clevemann kann davon auch ein, ja, Lied singen. Der Heldentenor des Siegfried ist an jenem Abend nicht ganz bei Stimme, das hört man zu Anfang ganz besonders. In der Pause nach dem ersten Aufzug wird das ein Vertreter des Musiktheaters wie folgt erklären: Siegfried ist in der zugigen Behausung des Mime aufgewachsen und hat sich dabei eine Erkältung eingefangen.
Die Wohnstatt des Waffen wie Ränke schmiedenden Zwerges, der sich des verwaisten Siegfried aus eigennützigen Motiven angenommen hat, ist ein eher trostloser Ort. Schutt und Reste der Arbeitstätigkeit liegen herum. Hier hausen Außenseiter der Gesellschaft, schrullig geworden in der ihren eigenen, abgeschiedenen Welt. Der Inszenierung gelingt es, hier eine eindrückliche Atmosphäre der selbst bezogenen Isolation zu schaffen. Das macht nach der eher biederen Militärjacken-Performance in der "Walküre" Hoffnung.
Dieser Ort der Isolation ist zeitlich in der Gegenwart angesiedelt. Das erkennen wir am Kühlschrank oder dem angedeuteten Fernseher, in den Siegfried, seiner Wohngemeinschaft mit Mime bereits überdrüssig, hinein schaut. Der Wälsungenspross selbst soll ein Kind unserer Zeit darstellen, rebellisch und mit einem mobilen Gerät in der Hand. Mit dem kann er offensichtlich auch in Computersysteme eindringen, die Neidhöhle des zum Lindwurm gewordenen Fafner knacken und diesen dann in der virtuellen Realität als MMORPG-Figur nieder machen.
Kaum hat er aber mittels seiner Skills den Nibelungenschatz erbeutet, verwandelt er sich in einen Anzug-tragenden Geldmenschen. Siegfried hat nun die Mittel, sich endgültig über die hergekommenen Autoritäten zu setzen und schiebt Wotan beiseite um sich der Brünnhilde zu bemächtigen. Alles geht, dass wissen auch Erda und Wotan, jetzt den virtuellen Bach hinunter. Das Ende der Geschichte, aber nicht so, wie gewollt. Bilder von Unruhen und Revolten, von Kriegen mit Waffen und Nachrichten, beschließen den Abend.
Leider löst die Inszenierung für mein Dafürhalten nicht ganz ein, was sie anfangs verspricht. Die Elemente des digital-technischen Zeitalter, die hier auftauchen, wirken eher Gimmick-haft und werden nicht konsequent durchgehalten. Nothung ist dann eben doch ein Schwert aus Stahl, auch wenn es kurzzeitig zu Einsen und Nullen mutiert. Die Wagnersche Mythenwelt reibt sich mit der Anmutung der Aktualität, aber nicht unbedingt so, dass es immer spannungsvoll wirkt. Die Zeitebenen der ersten beiden Teile (frühe Zivilisation im "Rheingold" und militärischer Imperialismus in der "Walküre") ragen herein, ohne dass es etwas Ganzes, Neues entsteht. Dass der "Siegfried" trotz (oder gerade wegen) seiner dramatischen Ereignisse nicht unbedingt Wagners dramaturgisch bestes Werk ist, hilft dabei auch nicht.
Jetzt kann man natürlich einwenden: So ist die heutige Welt doch. Weil sie doch so komplex ist, weil sich das Alte mit dem Neuen mischt und ringt und weil ihre Vielgestaltigkeit Verwirrung stiftet. Aber: dieser Einwand hat etwas allzu Simples, weil die eigene Zeit doch bis zu einem gewissen Grade immer so erscheint. Und ist es jetzt vermessen zu sagen, dass wir von der Kunst
eigentlich erwarten, dass sie uns ein größeres Bild, das sie uns
Katharsis, dass sie uns Linderung von der Verwirrung verschafft? Vor allem aber: zum Wagnerschen Gesamtkunstwerk will dieser Zugang ästhetisch für mich nicht recht passen.
Er schadet ihm aber an diesem Abend auch nicht wirklich. Musikalisch ist das Niveau wieder souverän (und, es ist natürlich ungerecht, dass die Musiker meist das Lob und die kreativ wahrlich wagenden Regisseure immer das kritische Feedback bekommen, aber so ist es im Musiktheater). Nur der Siegfried fällt da etwas aus dem Rahmen, hat dafür aber einen guten Grund.
Während mich bei klassischen Konzerten lieblicherer Art in der Vergangenheit des Öfteren ob des unbewegten Sitzens und der beruhigenden Tonalität eher das Gähnen gepackt hat, hat mich also der Wagner erneut wieder und wieder gepackt und aufgerüttelt.
Dass zwischendurch mobile Geräte dazwischenfunken, konnte da nicht wirklich stören.
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