Dienstag, 28. August 2007

Die Aktuelle Platte # 1

Vorrede

Meine Musik-Erwerbsgewohnheiten orientieren sich derzeit ja nicht so sehr am Zeitgeist. Aufgrund der Tatsache, dass ich Alben meist noch
kaufe , Neuerscheinungen aber in der Regel einen sehr stolzen Preis haben, greife ich im Plattenladen gerne zu schon seit längerem erschienenen Scheiben. Nimmt man nun noch die Einkäufe in Second-Hand-Plattengeschäften und die Übernahme aufgelöster Plattensammlungen hinzu, zu deren Erbe ich mich bereitwillgst erklären lasse, so wird verständlich, wieso auf meiner "Heavy Rotation"-Liste Musik älterer Provenienz eine so starke Rolle spielt. Dennoch, ab und zu greife ich natürlich auch zum sozusagen frisch gepressten Silberling. Da ist es freilich dann auch nicht ausgeschlossen, dass mir diese Platte gefällt und ich eine Empfehlung aussprechen möchte. Oder, dass sie mir nicht gefällt und ich auch darüber nicht schweigen möchte. Dazu mag diese Rubrik dienen.




Gene Vincent - Race With The Devil (Delta Music, 2007)

So gesehen ist mein erster Kandidat natürlich einigermaßen paradox. Dies weniger deshalb, weil die Platte nicht brandneu ist, sondern genaugenommen am 1. März 2007 herauskam und mittlerweile schon wieder so gut wie aus den Regalen verschwunden ist - dies wäre ja noch eine lässliche Sünde - sondern vor allem weil ihr Protagonist Gene Vincent nun wahrlich kein Zeitgenosse ist.

Schon seit 1971 weilt Gene Vincent nicht mehr auf Erden und seine ganz große Zeit beschränkte sich eigentlich auf ein Jahr: 1956. Damals zündete gerade die Rock´n´Roll-Rakete. Ein Jahr zuvor hatte das Ghetto-Schulen-Filmdrama "Blackboard Jungle" (dt. "Saat der Gewalt") den Fanfarenstoß der neuen Ära, den Titel "Rock Around the Clock" von Bill Haley & His Comets, in die Weiten Amerikas und der Welt hinausgetragen. Im Jahr 1956 schließlich vollzog sich der kometenhafte Aufstieg von Elvis Presley zum "King Of Rock´n´Roll". Rock´n´ Roll war da und er würde bleiben. Die Gene Vincent zugedachte Rolle war dabei die des Herausforderers des "King". Capitol Records hatte ihn verpflichtet um Elvis, der bei RCA unter Vertrag stand, das Wasser abzugraben. Es war ein Duell, dass Vincent schwerlich gewinnen konnte. Auf der einen Seite war da Elvis "the pelvis", der Mann mit dem lasziven Hüftschwung, der Kerl, der das unanständige Versprechen in die Mainstream-Popularmusik gebracht hatte, auf der anderen Gene Vincent, seit einem üblen Motorradunfall in seiner Zeit als Soldat der Navy in Korea mit einem lahmen Bein gestraft und entsprechend unbeweglich, mit Schmerzen kämpfend. Er sah keine andere Wahl als sie mit Alkohol und Medikamenten zu bekämpfen. Ein Hank Williams-Schicksal.

Dass, was Gene Vincent und seine Band, die Blue Caps, in die Waagschale zu werfen hatten, das war ihr Sound: rauer, verhallter, ultracooler Rockabilly, düsterer, gefährlicher als bei einem Presley oder einem Haley. Hier lag die Laszivität im Sound, aber wie! Wesentlichen Anteil daran hatte neben dem eindringlichen Gesang Vincents vor allem sein Leadgitarrist, Cliff Gallup, wohl der beste seiner Zunft in der Zeit des ganz frühen R´n´R (sieht man vielleicht von dem phänomenalen Link Wray ab). Bereits im Dezember 1956 jedoch hängte dieser, des Tourens müde, die Rockgitarre an den Nagel. Das war der Anfang vom Ende für die Blue Caps. Ihre Kunst erreichte nie wieder die Tiefe des Jahres 1956. Und Gene Vincent selbst? Angesichts eines geschickt zur Mainstream-Ikone gemodelten Elvis und Heerscharen von von der Industrie gepushten sauberen neuen Rock- und Pophelden, wirkte der hinkende Ex-Soldat in seiner Rockerkluft nur allzu bald wie eine Relikt aus einer vergangenen Zeit. R´n´R wurde Mainstream, wurde weichgespült. Gene Vincent kam in den USA nie wieder richtig auf die Beine. Nur in Großbritannien und Frankreich erfreute er sich noch größerer Beliebtheit, 1960 war er gerade mit seinem Kumpel Eddie Cochran in England auf Tour, als ihr Wagen an einen Baum krachte und Chochran dabei ums Leben kam. 1963 schließlich wanderte Vincent ganz ins UK aus, wo eine Generation junger britischer Musiker seine Aktivitäten aufmerksam beobachtete. Dennoch, seine große Zeit ging nun endgültig zu Ende. Als eben jene jungen Briten das Ruder der Popmusikgeschichte übernahmen, war Vincent erneut
out-of-date. Nach einer Reihe wenig erfolgreicher Comeback-Versuche starb Gene Vincent 1971 im Alter von nur 36 Jahren an einer Magenblutung.

"Race With The Devil" erfasst Gene, Cliff und die Blue Caps in ihrem ganz großen Jahr, Anno 1956. Man höre den intensiven, beschwörenden Gesang von Gene Vincent und das fulminante Spiel von Cliff Gallup. Und man staune darüber, wie Musik aus der Frühzeit des Rock sich noch so frisch, so - fast möchte man sagen: zeitgemäß anhören kann. Und damit hätte sich der Kreis auch schon wieder geschlossen.

Bewertung: 7.5 von 10 Pomadedosen


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