Mittwoch, 22. Juli 2009

Der Tiger vom Brenner

Der ehemalige ORF-Generalintendant Gerd Bacher hat in der Südtiroler Wochenzeitschrift "ff" über seine Beziehung zu Südtirol parliert und aus seinem bewegten Leben erzählt.

Südirol spiele für ihn eine "mystische Rolle", sagt Bacher. Zu Zeiten des Südtirol-Konflikts sei er deshalb als "österreichischer Imperialist" selbstverständlich auf Seiten der "Freiheitskämpfer" rund um "den Kerschbaumer, den Klotz, den Amplatz, den Innerhofer" gestanden. Seine Unterstützung sei freilich nicht nur moralischer Natur gewesen. Er habe als "politischer Arm" der "Freiheitskämpfer" fungiert, habe Kontakte zu hochrangigen österreichischen Politikern (wie Tirols Landeshauptmann Wallnöfer oder Bundeskanzler Bruno Kreisky) geknüpft, sowie Geld und "Material" beschafft.

Rückblende in das Jahr 1956: Die beschauliche Welt der Südtiroler Täler wird von heftigen Detonationen erschüttert. Der "Befreiungsausschuss Südtirol" (BAS), kurz zuvor unter Federführung des Gemischtwarenhändlers Sepp Kerschbaumer und des Obstbauern Sepp Innerhofer gegründet, hat mehrere Strommasten in die Luft gesprengt. Der gewalttätige Protest richtet sich gegen die mangelhafte Umsetzung der im Gruber-De Gaspari-Abkommen von 1947 verheissenen Autonomie für Südtirol und eine Siedlungspolitik der römischen Regierung, die den unseligen Geist des Mussolini-Faschismus fortzusetzen scheint, indem sie auf eine weitere Italienisierung Südtirols hinarbeitet. Mit diesem Italien, das die Rechte der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler missachtet, will man nichts mehr zu tun haben, man will die Sezession.

Der Zorn der Männer ist somit durchaus nachvollziehbar, die Mittel, zu denen sie greifen, sind jedoch so radikal wie unverhältnismäßig - und lebensgefährlich. Der Straßenwärter Giovanni Postal sirbt, als er "Material" des BAS findet, das in seinen Händen explodiert. Der BAS macht ungerührt weiter. "Wir waren für den Partisanenkrieg", sagt Bacher im ff-Interview und in einem Ö1-Interview im Jahre 2005 meint er, es sei ungemein ermunternd gewesen, zu wissen, dass laut Meinungsumfragen die Südtiroler im Ernstfall zum Aufstand bereit gewesen wären. Weiters lässt er auch verlauten: "Bei Freiheitskämpfen ist das immer die Norm, das Menschen ums Leben kommen."

1961, nach der "Feuernacht" in der Herz-Jesu-Nacht vom 11. auf den 12.6. und der "kleinen Feuernacht" am 13.7., bei denen weitere Strommasten gesprengt werden, werden 150 BAS-Mitglieder verhaftet. In der Gewahrsame der italienischen Behörden erfahren sie eine brutale Behandlung, viele sprechen nachher von Folter, zwei Personen sterben unter suspekten Umständen in der Haft. Die BAS-Gründer Kerschbaumer und Innerhofer werden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Durch die Verhaftung von Kerschbaumer und Innerhofer haben im BAS nun die radikalsten Kräfte, darunter viele österreichische Rechtsextremisten wie der Olympia-Burschenschafter und HC Strache-Ziehonkel Norbert Burger, die Oberhand gewonnen. Die Büchse der Pandora, die Kerschbaumer und Innerhofer geöffnet haben, lässt sich nicht mehr schließen.

In den Jahren zwischen 1962 und 1968 ermordet die "zweite Generation" des BAS 17 Menschen (15 Carabineri und 2 Zivilisten) und verletzt 57 Menschen (22 Carabinieri, 33 Zivilisten), einige davon schwer. Zur besseren Einordnung: auf das Konto der - kurz darauf in Aktion tretenden - weitaus berühmt-berüchtigteren "ersten Generation" der RAF (Baader-Meinhof-Gruppe) gehen 7 Morde.

Eine der Führungsfiguren des BAS der "zweiten Generation" ist Georg Klotz, ein Südtiroler Schütze aus St. Leonhard am Passeier. Ihm hat Gerd Bacher, so berichtet dieser der Zeitschrift "ff", sogar eine Audienz bei Bundeskanzler Bruno Kreisky verschafft. Kreisky soll damals - vor der Eskalation der Jahre ´62 bis ´68 - sinngemäß gemeint haben, wegen ein paar Strommasten solle keiner wehleidig werden, man solle aber schauen, dass keine Menschenleben in Mitleidenschaft gezogen würden.

Aber es starben Menschen. Insgesamt 21, wenn man die bei Feuergefechten ums Leben gekommenen BAS-Kämpfer mitrechnet. Und im Nachhinein betrachtet, erscheint die Haltung Kreiskys ebenso wie jene von Gerd Bacher ( O-Ton: "Das waren so lupenreine Christlichsoziale, die Herrschaften, die die großen Sachen am Anfang gemacht haben, da bestand keine Gefahr") als naiv. Wer konnte denn ernsthaft ausschließen, dass angesichts der radikalen Forderungen des BAS und des von Anfang an vorhandenen radikalen Potenzials in dieser Organisation eine Eskalation mit unabsehbaren Folgen eintreten würde?

Bei Bacher, dem BAS-Mitstreiter, kommt hinzu, dass seine Positionierung zu den Untaten der "zweiten Generation" diffus bleibt. Er identifiziert sich zwar in allen Stellungnahmen mit der "ersten Generation" um Kerschbaumer und Innerhofer, gleichzeitig bezeichnet er aber auch Klotz und Konsorten als "Freiheitskämpfer", verweigert den Ausdruck "Terroristen", der freilich schon auf die "erste Generation" passt, wie jeder Blick in ein Lexikon einwandfrei beweist. Und, er lässt sich zu Aussagen wie der oben zitierten bezüglich den "Kosten" eines "Freiheitskampfes" hinreissen.

Damit ist die Haltung von Gerd Bacher, dem allgemein hochangesehenen ehemaligen Generalintendanten, leider symptomatisch für den Umgang in unserem Land mit jenem finsteren Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Es herrscht die Verniedlichung und Verharmlosung der kriminellen Taten des BAS vor. Bis zum heutigen Tage lautet die offizielle Sprachregelung für die Südtiroler Terroristen in den meisten österreichischen Medien "Südtirol-Aktivisten" (so als ob es sich etwa um Umweltschützer handeln würde, die sich am Brenner angekettet haben) und in konservativen und rechten Kreisen werden sie sogar als "Freiheitskämpfer" à la Andreas Hofer romantisiert. Bis zum heutigen Tage wird das blindwütige, RAF-artige Morden der "zweiten Generation" - an dem auch einige Österreicher beteiligt waren - tabuisiert, kaum jemand in Österreich hat je davon gehört.

Insofern müsste man Gerd Bacher ja dankbar sein, dass er die Thematik wieder aufs Tapet gebracht hat. Müsste man, wenn nur die österreichischen Medien in nennenswerter Weise auf die eigentlich sensationellen Bekenntnisse des "Tigers" reagiert hätten (wir erinnern uns: er hat den BAS offensichtlich mit finanziellen Mitteln und Sprengstoff versorgt). Ausser einem kurzen Beitrag mit den brisantesten Bacher-Zitaten im Falter hielt sich der Widerhall aber in Grenzen.

Der Umgang der österreichischen Öffentlichkeit und namhafter Präponenten derselbigen mit dem Südtiroler Terrorismus der 50er und 60er Jahre zeigt auf, wie rasch sich klare Vernunft und moralische Standfestigkeit pulverisieren können, wenn nur die angestrebten Ziele für edel und gut befunden werden. Auf einmal werden Gewalttaten (und auch die schwere Sachbeschädigung an Strommasten ist selbstverständlich kein Kavaliersdelikt) verharmlost, werden furchtbare Folgewirkungen verdrängt - auch nachdem sie sichtbar eingetreten sind. Der Fall BAS zeigt eindrucksvoll, wie rasch solche Mechanismen auch in der "Mitte der Gesellschaft" (also etwa bei lupenreinen Konservativen wie Gerd Bacher) wirksam werden können.


Zur Geschichte Südtirols im Allgemeinen und zum Südtirol-Terrorismus im Speziellen, inklusive einer Widerlegung des in BAS-Sympathisanten-Kreisen gern gepflegten Mythos, der Südtirol-Terrorismus habe sich zu Gunsten Südtirols auf die Autonomieverhandlungen ausgewirkt, siehe hier.

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