DK/S/F/D 2011
Dass sowieso eines Tages der Komet kommt und uns alle ausradiert, ahnte schon weiland der Schustergeselle Knieriem bei Johann Nepomuk Nestroy. Dieser Thematik hat sich nun auch Lars von Trier gewidmet, "Melancholia" heißt das Ergebnis. Dabei geht es naturgemäß weniger augenzwinkernd-charmant als eher wagnerianisch-pathetisch zur Sache. "Götterdämmerung" statt Todeswalzer sozusagen, wobei die verwendete Tonspur jedoch großteils dem "Tristan" entliehen ist.
Melancholie, das ist nun nicht nur der Gemütszustand, der im Mittelpunkt dieses Streifens steht und den dieser auch beim Betrachter hervorruft, sondern auch der Name jenes Planeten, der sich in Richtung der Erde bewegt und eine schwerst wiegende Frage mit sich führt: Tut er es oder tut er es nicht? Wird er dem irdischen Leben eine Ende bereiten? Bei genauerer Betrachtung erweist sich der galaktische Besucher als kaltes, mitleidloses Trumm, von einer schwarzgrauen Eiskruste überzogen, auch wenn zwischenzeitlich einmal die Meinung geäußert wird, er sehe doch freundlich aus.
Der Schatten dieses Ereignisses hindert von Triers Protagonisten jedoch nicht daran, ein Fest in feudaler Kulisse zu zelebrieren. Aber, es ist kein ausgelassener Tanz auf dem Vulkan, dem wir beiwohnen. Hauptfigur Justine (Kirsten Dunst) heiratet, jedoch steht das Fest ganz im Zeichen ihrer schwer melancholischen Gemütsverfassung. Die Sinnlosigkeit dieses, ja jedes Unterfangens steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre Versuche, bei den Gästen und Anverwandten so etwas wie Verständnis für das, was sie beschäftigt, zu finden, prallen an der kalten Selbstbezogenheit derselbigen ab. Selbst ihre etwas neurotische Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die noch am ehesten Anstalten macht, sie zu stützen, handelt vornehmlich aus Sorge um das Gelingen des von ihr organisierten, kostspieligen Events. Dieses Hochzeitspersonal ist in seiner Gesamtheit eine Ansammlung von personifizierten menschlichen Schwächen, ein endzeitlicher Aufmarsch von selbstsüchtigen Gefühls-Perchten. Dabei schafft es von Trier in "Melancholia" aber, den Boden des Menschlichen nie ganz zu verlassen, seine Figuren eben gerade nicht vollständig ins Groteske und Karikaturenhafte abdriften zu lassen (einzige Ausnahme vielleicht: Stellan Skarsgaard als Werbemanager).
Mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden, hervorragenden Darstellerriege kreiert er so Charaktere von hoher Intensität und erschreckender Eindringlichkeit, die einem zugleich nie ganz gleichgültig werden. Auch atmosphärisch agiert von Trier auf bekanntem Niveau. Die Tage nach der Hochzeit etwa, in denen dem Betrachter die Bedrohung durch den nahenden Planeten gewahr wird, sind von einer frostigen Ungewissheit, einem leise vor sich hin klirrenden, sich stetig verstärkenden Gefühl der Gefahr erfüllt. Das hinterlässt Spuren beim Kinobesucher und beeindruckt durchaus.
Leider wird der Film als Ganzes diesen im einzelnen stark wirksamen Gefühlssplittern nicht gerecht. Die Story in ihrer Gesamtheit ist - gelinde gesagt- wenig interessant. Die Weltuntergangsthematik gehört schon von Haus aus zur Kategorie der mäßig ergiebigen Erzählkerne und von Trier hat hier auch nichts Relevantes hinzuzufügen. Im Mittelpunkt steht Justine (auch wenn der zweite Teil des Filmes nach ihrer Schwester Claire benannt ist), die Depressive, deren Schwermut doch nichts anderes ist als die tiefe Erkenntnis der Schlechtigkeit und Verurteilungswürdigkeit dieser kalten, gefühllosen Welt. Positiv - und freilich immer noch etwas plump - gewendet, könnte man versuchen, zu sagen: Es ist die Gleichgültigkeit, die unsere Welt an den Rande der Zerstörung führt, die Ichbezogenheit, die mangelnde Bereitschaft, auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen einzugehen - tun wir also etwas dagegen. Aber einen Aufruf, einen Impuls zum Tun wird man in "Melancholia" vergeblich suchen, hier findet man eher die schiere Verzweiflung am Dasein, an dessen Brüchigkeit und letztlichen Sinnlosigkeit.
Lars von Trier befindet sich, geht man nach diesem Film als Ausdruck seiner Kunst und seiner selbst, in einer Abwärtsspirale. Während man zuletzt in "Antichrist" noch so etwas wie Spuren eines innerseelischen Kämpfens und daraus resultierenden kreativen Erringens entdecken konnte, ist dem in "Melancholia" eine recht selbstmitleidige, passive, fast pubertäre Weltsicht gewichen: die Welt ist schlecht, aber zum Glück ist sie ohnehin nur ein vorübergehendes Problem. Das ist es im Grunde, was "Melancholia" ausmacht und schon das ist einigermaßen enttäuschend. Aber auch in filmisch-formaler Hinsicht ist von Trier hier meilenweit vom Genie früherer Jahre entfernt, bietet wenig Neues, Innovatives, Spannendes, auch wenn er schon bewährte Fertigkeiten wieder handwerklich exzellent ausspielt (s. oben). Besonders verdrießlich: die pathetische Galerie düsterromantischer Standbilder, die er zu Beginn als Vorwegnahme späterer Ereignisse abspult. Ein belangloses visuelles Muskelspiel.
"Melancholia" ist, trotz starker Momente und dichter Atmosphäre sowie seiner (allerdings teilweise sehr gewollt wirkenden) Bildmächtigkeit für mich der schwächste Film, den ich von Lars von Trier bislang sehen durfte. Dass man damit in unserer Zeit, in der Krisengefühle in die Herzen kriechen, reihenweise Ehrungen und Preise abgreift, sagt für mich mehr über den momentanen Gemütszustand der Menschen aus als über die Qualität des Streifens.
Wobei: Es ist natürlich nichts Verwerfliches daran, von Trier in seinem Gefühlsbunker zu besuchen. Aber, man sollte dort nicht sitzen bleiben und anfangen, an Melancholia (Film oder Zustand) zu glauben.
Meine Bewertung: 3 aus 5 Sternen.
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