Thomas Belhom ist Franzose und Musiker. Belhom hat einen ausgeprägten Hang zum Nomadentum, weswegen es ihn unter anderem auch nach Arizona verschlagen hat. Dort ist er hängen geblieben, nicht in geographischer, aber in musikalischer Hinsicht. Belhoms Musik kann man sich etwa so vorstellen wie Calexico in jenen Momenten, in denen sie französisch singen (lassen), gemischt mit jenen, in denen sie nach Filmsoundtrack klingen. Neben Calexico hat Thomas Belhom in der Vergangenheit auch mit den Tindersticks zusammen gearbeitet, was erklärt, warum er gestern im Posthof für diese eröffnet hat.
Die Bühne des Großen Saales (Sitzplätze, sehr gut gefüllt) bespielte er im Alleingang, umgeben von einer Schar von Musikinstrumenten. Der Löwenanteil seines Klangs kam vom Band, zu dem er dann mit recht müder Miene die um ihn herum platzierten Instrumente der verschiedensten Gattungen betätigte. Das wirkte über weite Strecken nachgerade willkürlich, ja gleichgültig, auch wenn es möglicherweise doch einem ausgefeilten Ablauf geschuldet war. Dergestalt erhob sich also ein atmosphärischer Americana-Sound: der Wind pfiff über die staubigen Ebenen des nordamerikanischen Südwestens, Züge dampften einsam durch die Nacht, aus der Ferne vernahmen wir den metallischen Schlag von Minen- oder Eisenbahnarbeitern. Reizvoll zweifellos, auch die so beiläufig scheinenden Interventionen des Künstlers hatten etwas. Aber der mürrische Habitus, der hier eine gute halbe Stunde zur Schau getragen wurde, wirkte in diesem Kontext - Franzose hin oder her (Entschuldigung, Stereotyp!) - doch etwas befremdlich. Zweifellos auch auf eine gewisse Weise charmant, das Ganze. Aber, geht man deswegen beim nächsten Mal wieder hin?
Zu den Tindersticks geht man wieder hin. Zumindest für mich kann ich da sprechen. 2010 war es, als ich erstmals bei einem Liveauftritt der Band dabei war. Diesen Gig habe ich selbst zum zweit schönsten der von mir rezensierten Konzerte gewählt.
Einiges hat sich seit damals verändert. Stuart Staples, der Frontmann und Sänger, trägt jetzt einen Schnauzbart. Und, ja, die Streicher sind weg - komplett gestrichen. Geblieben ist der wunderbare Kammer-Pop der sechs Mann hoch angetretenen Tindersticks: ein grandioser Wohlklang, zusammen gesetzt aus verschiedensten musikalischen Nuancen und einer wechselnden Instrumentierung, die den Bandmitgliedern einiges abverlangt - vor allem auch Vielseitigkeit. Vielleicht ist das nun weniger Kontinuum, weniger sphärisch als vor zwei Jahren, aber um nichts weniger schön.
Das ist eine Musik, die einem in ihren ganz großen Augenblicken eine Gänsehaut aufziehen kann, wie ich es noch selten erlebt habe. Sicher, die etwas langatmigeren Passagen sind auch noch da, aber sie halten nicht allzu lange an, den nahezu jeder Tindersticks-Song hat die eingebaute Garantie, das er sich zu einer Klimax hinbewegt und schließlich - zuweilen effektvoll unterstützt durch das Bühnenlicht - einen strahlenden Höhepunkt erreicht. Wann und auf welche Weise dieser Gipfel erreicht wird, bleibt zunächst freilich das in jedem einzelnen Stück verkapselte, verführerische Geheimnis.
Die Stücke nehmen ihren Ausgang dabei, angetrieben von den souveränen Leistungen der einzelnen Musiker (der Schlagzeuger!), in unterschiedlichsten Genres und Rhythmen. Ich habe an diesem Abend Soul gehört, ebenso wie Barjazz, Americana, Düsterfolk, Lateinamerikanisches, sogar New Wave oder Disco. Und doch war es am Ende immer eine Tindersticks-Nummer - unverkennbar und groß. Maßgeblichen Anteil am Wiedererkennungswert hat natürlich auch die überaus eigenwillige Singstimme von Stuart Staples, die irgenwie gleichzeitig einem Trinker und einem Cherubim zu gehören scheint und von einer dramatisch-schönen Inbrunst durchdrungen ist.
Die Tindersticks sind womöglich die erste Liveband, bei der ich nun schon zum zweiten Mal sage: Da muss ich wieder hin.
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