Gabrielle Aplin - Keep On Walking
Sutton Benger, Wiltshire, England
Gewonnene Ränge: + 5
Die angelsächsischen Musikblogs nennen es Poptimism und es herrscht angeblich seit den Nullerjahren. Darunter versteht man das Phänomen, dass sich MeinungsbildnerInnen, TrendsetterInnen und RezensentInnen im Feld der populären Musik zunehmend von der strikten Trennung zwischen dem, was Indie ist, und dem, was Mainstream genannt wird, verabschieden. Soll heißen: der Musikintellektuelle oder Hipster von heute kann auch schon einmal die aktuelle Katy Perry-Nummer gut finden, denn sie ist ja hervorragend produziert, geht flockig ins Ohr und greift musikalische Trends aus dem musikalischen Untergrund dezent und in amüsanter Manier auf. Außerdem, wer wird denn so bierernst sein: Musik darf auch einmal schlicht entspannen und unterhalten. Keiner sagt, dass sie für die Ewigkeit gemacht sein oder die Tonleiter neu erfinden soll.
Gleich, dass sie in den Hitfabriken großer Plattenfirmen hergestellt worden ist, dass es sich um ein Produkt handelt, an dem Marketingmenschen mindestens so viel Anteil haben wie MusikerInnen. Tugenden wie Authentizität, handwerkliches Vermögen, die Kontrolle des Musikers über das Gesamtprodukt darf man nicht zu hängen. Überhaupt: wer sind denn die Leute, die über Jahrzehnte den hochgestochenen Diskurs darüber, was gute und richtige Musik ist, geführt haben. Wer schreibt denn die "ewigen Bestenlisten"? Genau. Alte, weiße Männer mit Hochschulabschluss. Und, wer macht Indie Rock? Jüngere, weiße Männer mit Hochschulabschluss. So gedeutet wird Poptimism auch zu einem Sichöffnen gegenüber einer globalen Wirklichkeit, ein Ausbrechen aus dem Elfenbeinturm.
Überhaupt scheinen die Grenzen zu verschwimmen: Das, was man für qualitätsmäßig positiv abweichende Musik gehalten hat, wird plötzlich unaufhaltsam in den Mainstream gesogen. Acts wie Arcade Fire oder Lykke Li erobern die großen Charts. Große, böse Konzerne jagen im Werbefernsehen plötzlich Musik, die Indiepop-Hits bis auf ein paar Noten gleicht, rauf und runter.
Es ist hier nicht der Platz, ausgiebig darüber zu reflektieren, wie neu denn das Phänomen des Ineinandergreifens von Subkultur und Mainstream wirklich ist. Selbstverständlich ist das ein ständiger Prozess der Musikgeschichte. Dass zum Beispiel schon die Beatles oder Stones nicht nur revolutionäre Erfindungen gemacht, sondern vielmehr Vorhandenes geschickt in einen entstehenden Mainstream übertragen haben, ist eh bekannt. Heute freilich sind sie im offiziösen Kanon der populären Musik ganz oben mit dabei. Die Zeiten und die Geschmäcker ändern sich einfach.
Interessant ist aber, dass derzeit auf die Grenzziehungen, so scheint es, besonders wenig wert gelegt wird.
In diesem Sinne passt es ja, wenn ich jetzt eine Künstlerin zur Monatsmeisterin küre, die ihren ersten großen Hit mit einer Coverversion des Pop-Schmachtfetzens "The Power of Love" von Frankie Goes To Hollywood (Warnung: Hier ist wirklich das Video verlinkt!) errungen hat. Gabrielle Aplin hat es mit ihrer reduzierten, am Klavier vorgetragenen Interpretation bis auf den ersten Platz der britischen Singles-Charts geschafft. Das war 2012, die Sängerin mit der sanften, klaren und doch übermächtigen Stimme war zwanzig und der Zweck dieses Songs die Ausschmückung eines Weihnachtswerbespots einer Handelskette. Zuvor hatte sie über YouTube-Videos ein Publikum gesammelt. Katy Perry hat sie auch gecovert.
Gabrielle Aplin ist freilich eine Grenzgängerin. Ihre Vorbilder sieht sie in der musikalischen Trinität Dylan, Cohen und Springsteen und ihrer aktuellen Platte "English Rain" steckt nicht nur großer Pop, sondern auch der Singer/Songwriter-Folk in den Knochen. Ein ähnliche Mixtur konnte ich schon im letzten Jahr bei Debbie Clarke feststellen, mit dem Unterschied freilich, dass Frau Aplin in Punkto Songwriting und durchgehender Qualität besser aufgestellt zu sein scheint.
"Keep On Walking" ist ein ziemlich mitreißender Folkpop-Song mit einem trommelnden Rhythmus und afrikanisch anmutenden Antwortchören mittendrin. Der von uns gegangenen Indie-Polizei hätte er vermutlich nicht so sehr gefallen. Uns darf er aber ruhig ein bisschen fröhlich stimmen.
Die Grenzen sind schließlich offen und wir müssen uns ja auch nicht dauernd da drüben aufhalten.
Gabrielle Aplin - Keep On Walking" (freier Download gegen Newsletter)
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