Donnerstag, 4. September 2008

Frequency ´08 - Die Musik

Es folgt ein Ranking der am Frequency ´08 erlebten Bandauftritte (in eckiger Klammer die Plazierung auf meiner "Vorfreude"-Liste). Ich habe versucht, Sonne und Regen und die damit verbundene Befindlichkeitsbeeinflussung so gut es geht hinauszurechnen.


1. [3] The Hives (Race Stage, 15.8.)

Und es begab sich an jenem Tage, dass "Howlin´" Pelle und seine im Rock´n´Roll Geweihten den Berg Frequency bestiegen. Und es war eine große Menge davor versammelt, um sie zu schauen, obgleich der Himmel seine Pforten geöffnet hatte und große Mengen Regens herabsandte. Doch sie standen da und sie spielten 40 Minuten und 40 Sekunden. Und "Howlin´" Pelle sprach zu den Leuten und feuerte sie an. Und so sprach er: "You should have no other frontman beside me!!" Und die zuckenden Körper und die sich regenden Beine der versammelten Gläubigen antworteten ihm : "Amen!"

Und noch bevor Pelle und seine Jünger auf dem Berge Frequency geendet hatten, sprach jener die Worte: "And when we will have played our last song, the rain will have ended!" Und, siehe, als sie geendet hatten, hatte auch der Regen geendet!

Und so trug es sich zu, dass alle jene, die zum ersten Mal zu Pelle und seinen Jüngern gekommen waren, wussten, dass sie soeben in Massen getauft worden waren.


2. [2] The Indelicates (Weekender UK Tent, 15.8.)

"The next song is about somebody, you´re going to see tomorrow!"

Denkste. Ich bin ja dann schon am Samstag abgereist und wollte ihn somit gar nicht mehr unbedingt sehen. Und all die anderen haben ihn auch nicht zu Gesicht bekommen, weil Herr Doherty offensichtlich wieder einmal nicht jenen Grad an Zurechnungsfähigkeit erreicht hat, der notwendig ist, um rechtzeitig einen Flieger zu besteigen.

Egal, allein das Aufjaulen der kleinen Indie-Kids im Zelt wars wert, als The Indelicates schließlich den Refrain des solcherarts angekündigten Titels "Waiting For Pete Doherty To Die" (den ich somit doch nicht herbeiskandieren musste) zum Besten gaben.

Und wie sie das taten. Wer leise befürchtet hatte, der zynisch-gesellschaftskritische Esprit der Stücke vom großartigen Indelicates-Erstling "American Demo" könnte vielleicht live Einbußen erfahren, wurde - trotz einer hörbaren stimmlichen Indisponiertheit der Sängerin Julia Indelicate - überzeugt. Die Indieartfolkrocker aus Sussex sind auch in natura und persona stark unterwegs. High Potential!


3. [1] R.E.M. (Race Stage, 14.8.)

Natürlich ist die Erwartungshaltung ein Hund. So ein lästiger kleiner, der sich von hinten anschleicht und einen dann bösartig in die Wadeln zwickt. Was soll/darf/kann man von einer Band erhoffen, die man seit vielen Jahren mit nahezu unvergleichbarer Beständigkeit immer wieder gerne hört? Ich vermute, dass es nicht wenigen der Anwesenden so ergangen ist und das auch darin ein Grund lag, warum es mit der Begeisterung im Publikum in Summe nicht so ganz geklappt hat.

Andererseits war das mit Sicherheit auch nicht der beste Auftritt von Stipe & Co. Man hatte den Eindruck, dass sie immer wieder gut in die Gänge kamen, ihre unzähligen wohlbekannten Hits stark beginnen ließen, dass die Menge somit anfangs auch durchaus mitgerissen war, dass sie die energetische Brücke zu ihren ZuhörerInnen dann aber in der Mitte der Songs immer wieder rasch und unerklärlicher Weise kollabieren ließen. Es war nicht ganz ihr Tag und ihre Bühne.

Dennoch: Wer einmal erlebt hat, wie zehntausend gerade eben noch scheinbar unbeteiligt herumstehende Menschen plötzlich im Chor ein ganzes Lied aus vollster Kehle mitsingen ("Losing My Religion"), der kommt nicht umhin, tief beeindruckt zu sein. Das war für mich einer der absoluten Gänsehautmomente des Frequency ´08 - auch, wenn diese Nummer bei weitem nie mein R.E.M.-Favorit war. Aber für einen durchaus sehr subjektiv gefärbten dritten Platz reichts hier noch allemal. Die da oben auf der Bühne waren halt doch R.E.M.


4. [6] Adam Green (Green Stage, 15.8.)

Die erste Begegnung mit Mr. Green erfolgte bereits einige Stunden vor seinem abendlichen Auftritt auf der Green Stage. Mitten im Set der Dirty Pretty Things (siehe Platz 5) stürmte er plötzlich die Race Stage und warf sich ans Mikrophon.

Abends auf der Green Stage war das Auftauchen dieses Spaßguerilleros der Popmusik dann schon weniger überraschend. Auch nicht die durchaus gut gelaunte, souveräne Vorstellung des charmantesten Slackers von New York bis zum Nordpol.

Eher schon überraschend war, dass er mich in der Menge erspäht und persönlich begrüßt hat: "And I even see a pirate over there"! Ich hatte die Regenjacke meiner Freundin an, die mir zu klein ist (die Jacke, nicht die Freundin), und sie deshalb halb über das Gesicht gezogen.

"I like that guy!" sprach Herr Green. Und dann spielte er, glaube ich, "Friends Of Mine". Aber spätestens ab diesem Zeitpunkt geht meine Phantasie vielleicht etwas mit mir durch und überschattet meine Erinnerung..


5. [10] Dirty Pretty Things (Race Stage, 15.8.)

Hey, diese Herren, mit denen ich mich bisher zugegeben eher nur peripher beschäftigt habe, waren eine erfreuliche Überraschung! Ein rescher, knackiger Livesound war das, den die Carl Barat-Truppe uns da lieferte. Immer wieder räudig-punkig auf den Punkt kommend und doch zugleich tief und ehrfurchtsvoll in großen, alten britischen Pop- und Rocktraditionen verwurzelt. Eine gelunge Symbiose, best-of-two-worlds, sozusagen!


6. [5] Maximo Park (Race Stage, 14.8.)

MP-Frontmann Paul Smith zieht die Blicke auf sich. Wegen seiner Gestik, seinem gesamten Ausdruck, seinem Charisma. Und macht seine Truppe, diese Breitwand-Version der Go-Betweens, zu einer mehr als soliden Liveband. Der "Mathelehrer from Hell" (Copyright Visions) war diesmal eher als "Amish-preacher from Hell" (allerdings ohne Bart) zu identifizieren, ein rockistischer Wiedergänger des legendären Weird Al Yankovic gewissermaßen, und trieb solcherarts gewandet seine Band mit erfreulichem Furor durch die Hits des alten und die Replikanten des neuen Albums. Und widmete einen Song gar Emmanuel Pogatetz, den er im Publikum erblickt zu haben glaubte.


7. [16] Teitur (Green Stage, 15.8.)

Dass man mit vermeintlich geringen Mitteln Erstaunliches erreichen kann, hat uns einst die Fußballnationalmannschaft der Färöer vorexerziert. Dieser Teitur nun ist auch ein Färinger (wie das so schön heißt) und er verkündete irgendwann einmal während seines Auftrittes, dass er von seiner Band im Stich gelassen worden sei und deswegen nur mit einer Gitarre auf der Bühne stehe. Aber das machte ja nun wirklich gar nichts. Aus der Reduktion erwuchs Berührendes. Schön, sehr schön.


8. [13] Ladytron (Green Stage, 14.8.)

Ladytron sind jetzt auch schon fast ein gutes Jahrzehnt around. Ihr Livesound ist wuchtig, schon einigermaßen in eine electroclashige Richtung gehend und hat mit dem Band-Etikett "Electropop" nicht mehr allzuviel zu tun. Dabei gelingt es den Liverpoolern immer wieder, ganz große Momente zu generieren. Allerdings auch, nach einer gewissen Zeit eine gewisse Ermüdung zu erzeugen.


9. [-] Travis (Race Stage, 14.8.)

Es gibt Musik, die liebt man zuerst, man spielt sie rauf und und runter und dann, plötzlich, ist sie einem zuwider. Mit Alanis Morissette ist mir das vor vielen Jahren so ergangen. Und mit Travis. "The Man Who" (Independiente, 2000) rotierte heftig in meinem CD-Player, doch von heute auf morgen hatte ich es satt. Ich konnte den Travis-Sound schlicht nicht mehr hören. Es war wie mit einem dieser süßen Marmeladenkuchen, die man zunächst mit Begeisterung in sich hineinstopft und dann im nächsten Augenblick schon nicht mehr riechen kann. Nur das starke "Sing" (das von einer anderen Platte stammt) konnte mich weiterhin begeistern.

So war es auch eher ungeplanter Zufall, dass ich Travis am Frequency ´08 erlebte. Ich kämpfte anfangs auch mit einer gewissen Übelkeit und dem Drang wegzulaufen, als ich das Material von "The Man Who" hörte. Doch mit der Zeit musste ich feststellen, dass hier eine wirklich gute Liveband am Werken war. Und ich erkannte einige meiner Lieblingslieder von vor dem Bruch auch gefühlstechnisch ansatzweise wieder. Als Travis dann auch noch zu einer sehr starken Performance von "Sing" abhoben (Gänsehautmoment Nr. 2), wusste ich, dass ich dieses Konzert sehr genoss. Daran konnte auch das eher unrund dahingeeierte, schwache Material von der neuen LP, das gleich danach präsentiert wurde, nichts mehr ändern. Positive Überraschung.

Vielleicht gibt es ja eines Tages sogar eine Versöhnung.


10. [4] The Wombats (Race Stage, 14.8.)

"Gehschd auch zu de Wumbatsch?!" fragte mich die kleine Vorarlbergerin mit dem "Wombats" - Shirt, der ich kurzzeitig die allzu schwere Bierpalette abnahm. Natürlich, die Wombats ließ man sich nicht entgehen! Hatten sie doch immerhin albumtechnisch das Rockjahr 2007 gerettet. Und auch live war das, was da geboten wurde, nicht unerfreulich. Im Gegensatz zu anderen Post-Punk-Indie-Hype-Rock-Bands aus dem UK (ich sage nur: Arctic Monkeys am Frequency 2006..) gaben sie einen durchaus agilen und virilen Auftritt, der mehr war als bloßes Herunternudeln von drei, vier gut eingeübten Riffs. Natürlich sind die Wombats aber noch etwas grün hinter den Ohren und ob sie es zu einer wirklich großen Liveband bringen werden, wird sich erst zeigen.


Was sich aber an dieser Stelle jedenfalls zeigt: Das Frequency ´08 muss von durchgängig guter Qualität gewesen sein, denn ich bin bei Platz 10 immer noch am Loben!


10. [-] Chikinki (Race Stage, 15.8.)

11. [-] Louis XIV. (Race Stage, 15.8.)


Nicht beurteilt: The Roots [-]. Ich war schlicht zu spät dran und hab nicht mehr genug mitbekommen, um ein Urteil fällen zu können. Dabei dürften sie aber (wieder einmal) großartig gewesen sein.

Nicht gesehen: Iron & Wine [7]. Ja, leider. Irgendein Opfer des dichten Kalenders gibt es halt immer.

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