Sonntag, 19. Juli 2009

Rückblog 08 # 5: Meine am liebsten gewonnenen Platten des Jahres 2008, 1/3

Das Jahr 2009 geht in seine Halbzeitpause und mein Jahresrückblick 2008 eilt in großen Schritten auf seinen glorreichen Abschluss zu. Die "Platten des Jahres" sind zunächst wieder an der Reihe. Und mit "Platten" meine ich nicht das, was einem Fahrradeifen widerfährt, wenn ihm Luft entwichen ist (in Österreich heisst das ja sowieso "Patschn"). Nein, ich meine "Platten" in dem schönen, altmodischen Sinne eines möglichst feinfühlig zusammengestellten Verbundes von Musikstücken auf einem Trägermedium. Wobei die Art des Trägermediums hier eigentlich keine Rolle spielen sollte. Jedoch sind die "Platten"in meiner Bestenliste, man muss es zugeben, samt und sonders CDs.


Plätze 10-6


10


Diverse - Le Tour 3
Label: Localmedia
Jahr: 2006
Genre: French Pop

Ein Wunschzettel für französische Popmusik: Sie sollte luftig sein, erfrischend, verspielt wie direkt, mit Esprit, Charme, aber auch Geist begabt. Die "Le Tour"-Compilations lösen dieses Versprechen ein. Zusammengestellt werden sie von Thomas Bohnet, seines Zeichens DJ, Mitarbeiter des Popkultur-Magazines Spex, sowie Veranstalter der "Tour de France"-Partys in der Münchner Muffathalle und anderswo. "Le Tour 3" versammelt ausgewählte Hits aus dem Programm dieser Feste, die eingängig und tanzbar und doch nie plump daherkommen. Um nicht auszufransen, sind die "Tour"-Compilations stilistisch auf französische (und fast durchwegs französischsprachige) Popmusik im engeren Sinne (inklusive Rai-Pop) fokussiert, das weite Feld des French-Electro und des französischen Hip-Hop bleibt hier ausgeklammert. Das macht Sinn, weil es die Scheibe zu einer wahrlich runden Sache macht. Bien fait!

Olivia Ruiz - J´etraine des pieds
Florent Pagny - Ma liberté de penser
Rachid Taha - Rock el Casbah


09


Antonio Vivaldi, Piero Antonio Locatelli, Giuseppe Tartini - Concerto Veneziano (G.Carmignola/Venice Baroque Orchestra/Marcon)
Label: Archiv Pro (Universal)
Jahr: 2005
Genre: Barock

Giuliano Carmignola ist keiner, der sich Zeit seines bisherigen Lebens ganz auf die Musik des italienischen Barock festgelegt hätte. Der Violinist fühlte sich stets in Klassik und Romantik gleichermaßen zuhause. Dass er schließlich doch zum gefeierten Barockviolinisten wurde, ist vielleicht auch erblich bedingt. Schon Carmignolas Vater spielte dieses Instrument professionell. Und zwar im 30 Kilometer nördlich von Venedig gelegenen Treviso, jener Stadt, in der vor 50 Jahren die Wiederentdeckung des bis dahin in Vergessenheit geratenen Antonio Vivaldi ihren Ausgang nahm. Und, Carmignola spielt unter anderem auf einer Violine aus dem 18. Jahrhundert, die einst Angelo Ephrikian, einer der Schlüsselfiguren dieser Vivaldi-Renaissance, gehört hat. Wahrscheinlich ist es die Verbindung dieser starken Traditionslinie mit Carmignolas musikalischer Weltläufigkeit, die seine Interprerationen italienischer Barockmusik derart ergreifend machen. Auf "Concerto Veneziano" wird er dabei vom Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon kongenial unterstützt. Virtuos führen diese Musiker uns hier durch die erstaunliche Vielschichtigkeit barocker Klänge, von gefühlsintensiven Klanglandschaften zu extrovertierten und leidenschaftlichen musikalischen Parforceritten.

Antonio Vivaldi - Concerto für Violine und Streicher ("in due cori") B-Dur (G. Carmignola mit dem Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon):
1. Largo e spiccato - Allegro non molto
2. Andante
3. Allegro


08



The Beach Boys - Pet Sounds
Label: Capitol (EMI)
Jahr: 1966
Genre: Baroque Pop

Das Album "Pet Sounds" wirft eine gewaltigen Schlagschatten, sodaß man sich diesem Werk nur mit einigem Respekt nähern kann. Im Sommer 2008 war es dann soweit, ich konnte mir die Platte der Beach Boys aus dem Jahre 1966 erstmals in Ruhe und hoffentlich mit der nötigen Unvoreingenommenheit zu Gemüte führen. Äußerlich betrachtet wirkt die ganze Angelegenheit ja zunächst einmal eher fragwürdig. Fünf ziemlich linkisch erscheinende Gesellen, die einer harmlosen 60er-Jahre-Klamotte entsprungen sein könnten, füttern eine Gruppe ziegenartiger Lebewesen. Der Titel passt dazu: "Pet Sounds". Hinter diesen Tiergeräuschen steckt jedoch eines der talentiertesten Ensembles der Popgeschichte, bestehend aus den Beach Boys und einigen der bedeutendsten Sessionmusikern, die damals für Mastermind und Produzent Brian Wilson greifbar waren. Weiters eine immense Fülle von Sounds und klanglichen Experimenten (bis hin zur Einbeziehung von Elementen so genannter "E-Musik"), die Wilson zu einem großen, immer stimmigen Gesamtkunstwerk zusammengefaßt hat. Mit "Pet Sounds" wollte dieser seelisch unstete Meister der Pop-Arrangements die Beatles ebenso übertreffen wie seinen großen, nicht minder exzentrischen Lehrmeister Phil Spector, Erfinder der "Wall Of Sound". Und auch, wenn in den Texten dieser Platte noch die klassischen Themen des Liebens und Leidens des adoleszenten Menschen dominieren, so mischt sich doch in die strahlenden Harmonien eine düstere und tief nachdenkliche Note, die sich ihrer selbst bewußt wird. "Pet Sounds" ist eine "Coming-Of-Age"-Geschichte der Popmusik.

The Beach Boys - Wouldn´t It Be Nice
The Beach Boys - Here Today
The Beach Boys - I Wasn´t Made For These Times


07



Regina Spektor - Begin To Hope

Label: Sire (Warner)
Jahr: 2006
Genre: Anti Folk

Die erste Regina Spektor-Nummer meines Lebens begeisterte mich nicht sonderlich. Ich hörte den Track (es dürfte passenderweise "On the Radio" gewesen sein, wenn ich mich recht entsinne) im damaligen Indie-Radiosender meines Vertrauens und befand ihn für nicht überzeugend. Seine Melodie erinnerte mich zu sehr an einen Mainstream-Radio-Hit, der mich Jahre zuvor aus den Wellen des damaligen Mainstream-Radiosenders meiner Wahl bis in die Alpträume meiner Nächte verfolgt hatte. Gut, ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber ich war damals definitiv empört. Ich konnte nicht verstehen, wie etwas derartig poppiges einen derartigen Widerhall in der vermeintlichen Indie-Gemeinde finden konnte. Mittlerweile habe ich diese naiven Jahre überwunden, ich glaube einerseits nicht mehr an die Geschmackshoheit des Indie-Senders (den ich kaum mehr höre) und andererseits habe ich auch verstanden, das Regina Spektor große Musik macht. Was wie ein Widerspruch klingt, ist vielmehr der Nukleus einer wichtigen Erkenntnis: Man tut gut daran, sich sein musikalisches Koordinatensystem selbst zusammen zu zimmern. Mit Voreingenommenheiten steht man sich im Leben im Allgemeinen und in der Musik im Speziellen doch nur selbst im Weg. Womit wir auch schon wieder bei Regina Illyinichna Spektor wären: Schon Frau Spektors Lebensweg (Moskau-Bronx-Talmudschule-Manhattan School of Music-Popstar) weist auf die Vielschichtigkeit ihrer musikalischen Genese hin. Und, auf "Begin to Hope" gelingt es ihr, aus dieser Vielzahl von Partikel, von Folk, über Pop, Punk, Rock, Hip-Hop, jüdische, russische und amerikanische Musik, Jazz und Klassik eine eigene Kunstmusik zu schaffen. Wobei jede einzelne Nummer wiederum wie ein ganz eigenes Universum dasteht und trotzig auf ihrem Recht besteht, ein Individuum zu sein.

Regina Spektor - Fidelity (11,9 Millionen views..)
Regina Spektor - Samson
Regina Spektor - Hotel Song (live in Tucson)


06





The Hold Steady - Stay Positive

Label: Rough Trade
Jahr: 2008
Genre: Indie Rock

Den Blogs seis gedankt, den Blogs seis geklagt: Einerseits waren nur wenige aufstrebende Indie Rock-Bands in den letzten Jahren auf geschmackssicheren Musikblogs derart stark präsent wie The Hold Steady, was auch mich zu diesem Quintett aus Brooklyn gebracht hat. Andererseits hatte ich ihre Musik dadurch schon reichlich gehört, als ich mir das 2008 erschienene Album "Stay Positive" zulegte. Auch viele Tracks dieser Platte waren mir zu jenem Zeitpunkt schon ein guter Begriff. Das mag vielleicht ein Grund sein, warum "Stay Positive" für mich keinen ganz überwältigenden Effekt mehr entfalten konnte (und es hier "nur" zu Platz 6 reicht). Dabei haben The Hold Steady auf dieser Platte eigentlich wieder so ziemlich alles richtig gemacht. Schon das Fundament ihrer Musik kommt meiner persönlichen Vorliebe natürlich durchaus entgegen: Roots Rock, der eine gewisse Nahebeziehung zum Opus von Bruce Springsteen aufweist (was man bei Hold Steady auch nicht abstreitet). Doch dabei bleiben The Hold Steady nicht stehen (sehr zum Verhängnis, übrigens, von jenen musikalisch eher einseitig veranlagten Springsteen-Fans, die als Opfer von einfallslosen Plattenrezensionen zu enttäuschten Besitzern von Hold Steady-Alben wurden). Die New Yorker lassen ebenso Einflüsse von Hardcore-, Noise- und Post Punk-Musiken der frühen Achtziger erkennen und schlagen gleichzeitig die Brücke zu einem zeitgemäßen amerikanischen Indie Rock-Sound. Wobei sich The Hold Steady aber nicht darauf beschränken, alte Helden in einer frisch ausproduzierten Form nachzuspielen. The Hold Steady sind - schon wegen der außergewöhnlichen Stimme und Performance des großartig Geschichten erzählenden Sängers Craig Finn - unverwechselbar und stehen ganz für sich selbst. The Hold Steady verknüpfen eine große Vergangenheit gekonnt mit der Gegenwart und sie sind, immer noch, vor allem ein ganz großes Versprechen für die Zukunft.

The Hold Steady - Constructive Summer
The Hold Steady - Lord, I´m Discouraged
The Hold Steady - Stay Positive

Fortsetzung folgt..

2 Kommentare:

Hannes hat gesagt…

Sehr schön! "Fidelity"!! Aber welche 5 Jahrhundertalben müssen da noch kommen, die besser sein sollen als "Pet Sounds"? "God Only Knows"! "Here Today"! "Caroline No"! "Wouldn't It Be Nice"! Besser als alles, was die Beatles je gemacht haben, dass er das nicht schnallt der Brian Wilson...
Insgesamt die zweitbeste Band aller Zeiten, und mir fallen auf die Schnelle nur 7 Alben ein, die noch besser sind. Ich bin gespannt auf Deine Top-5.

Ein Winzer hat gesagt…

Ich fürchte fast, meine "Top 5" werden eine mittelschwere Enttäuschung für dich.. ;)

Aber ich sollte natürlich darauf hinweisen, dass diese Jahresliste nur eine sehr subjektive "Momentaufnahme" betreffend den Zeitraum des Jahres 2008 ist.

Die Grundlage für die Ermittlung dieses Rankings sind meine wöchentlichen "Top 5". Wie eine Platte sich da positioniert, hängt sehr stark von der momentanen Stimmungslage und natürlich auch davon ab, was sonst gerade so für Platten gehört werden.

Somit sagt diese Auswertung zB nicht viel darüber aus, zu welchen Scheiben ich in 15 Jahren noch greifen werde.

Und in der Beziehung liegt "Pet Sounds" vermutlich wirklich gut im Rennen!

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