Samstag, 4. Dezember 2010

Rückblog # 4, 2009 im Kino, Teil 3.5/4

05 Michael Haneke: "Das weiße Band - eine deutsche Kindergeschichte" 4

"Das weiße Band" ist Michael Hanekes filmische Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Faschismus. Es ist verdienstvoll, dass er dabei tief gräbt, zurück geht in ein äußerlich biederes norddeutsches Dorf kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Menschen, die diese Ansiedlung bevölkern, kann man durchaus typisch nennen. Da ist der Pastor, der meint, seine Schäfchen und insbesondere die eigenen Kinder mit strenger Härte auf dem Pfad der Tugend halten zu können. Da gibt es den Gutsherrn, der sich überheblich über der restlichen Dorfbevölkerung wähnt. Einem Lehrer begegnen wir, der mit wachsender Sorge die Geschehnisse verfolgt, aber eigentlich nur sein eigenes Glück finden möchte, dazu einen moralisch abgekommenen Arzt. Und natürlich die Kinder, getaucht in unschuldiges (schwarz-)weiß. Doch das Unheil nimmt schon seinen Lauf. Nicht im Sinne einer langsamen Entwicklung mit sich steigender Spannung wie in einem konventionellen Thriller. Gleich zu Beginn geschieht ein Unglück und es folgen weitere, wie Nadelstiche. Die große Katastrophe, auf die der Film hinaus will, liegt noch in der fernen Zukunft, doch die einzelnen, unheilvollen Ereignisse weisen in ihre Richtung. Am Ende ist es das wehrloseste, unschuldigste Mitglied der Gemeinschaft, das die aufgestaute Wut am schlimmsten trifft. Haneke taucht seine Geschichte in eine kalte Atmosphäre, klar und eindringlich. "Das weiße Band" tritt einem entgegen wie ein in Eis gehauenes Monument. Seinen Charakteren gegenüber zeigt sich Haneke gewohnt mitleidlos. In seiner kalten, hoffnungslosen Welt gibt es nicht viel Empathie und es wird auch nicht viel davon eingefordert. Gnadenlos treibt er seine Figuren in die Enge und sieht ungerührt zu, wie sie sich immer tiefer ins Unheil verstricken, bis sie ganz darin versinken. Das entspricht zweifellos der Manier dieses Regisseurs und man würde sich wünschen, dass es ihm einmal gelingen würde, etwas vielschichtiger und damit weniger pessimistisch zu filmen. Von diesem, aus meiner Sicht nicht ganz unbedeutenden, Kritikpunkt abgesehen ist "Das weiße Band" aber über weite Strecken (das Ende wirkt ein wenig ratlos, was aber vielleicht Absicht ist) ein beeindruckender Film, dicht und packend, mit souveränen schauspielerischen Leistungen veredelt.


04 Quentin Tarantino: "Inglorious Basterds" 4

Drehen wir das Zeitrad ein wenig weiter. Die nationalsozialistische Herrschaft lastet mittlerweile schwer über weiten Teilen Europas. In Frankreich führt eine kleine, illustre Truppe amerikanischer (und großteils jüdischer) Kämpfer einen Guerillakrieg gegen die Nazis. Da wird den deutschen Besatzern in entlegenen Waldgebieten aufgelauert, um sie dann mit großer Brutalität hinzumetzeln. Sinn und Zweck dieser Aktionen besteht anscheinend darin, den Nazis Angst einzujagen, insbesondere vor dem so genannten "Bärenjuden" (gespielt von Eli Roth). Über die Sinnhaftigkeit dieses (Ausgangs-)Szenarios braucht nicht nachgedacht zu werden, es handelt sich um einen Tarantino-Film, das Comichafte ist also Teil der Inszenierung. Auch der Umstand, dass hier Brutalität wie Sadismus zuweilen sehr unverhohlen und fast lustvoll zur Schau gestellt werden, folgt einem bekannten Muster des Regisseurs. Und die comicartigen Überzeichnungen und Verzerrungen im Gefüge des Streifens können diesen Makel nicht in vollem Umfang kaschieren, zumal der Plot sicherlich nicht der beste ist, den Tarantino je zustande gebracht hat. Aber dann hat "Inglorious Bastards"eben auch seine ganz großen Stärken, die ihn deutlich über den Durchschnitt hinausheben. Da ist einmal die ungemeine Detailverliebtheit, mit der sich der cineastische Weltbürger Quentin Tarantino der Thematik angenommen hat. Von historischer Genauigkeit kann zwar keine Rede sein (s. oben), aber die Atmosphäre der dargestellten Epoche ist erstaunlich gut eingefangen, was vor allem einer exzellenten Ausstattung und einer teilweise überraschenden, aber treffsicheren Auswahl der Darstellerriege zu verdanken ist. Herausragend, und das ohne jedes Wenn und Aber, ist dabei freilich Christoph Waltz. Die abgefeimte Mischung aus Intellekt, Manieren und purem Sadismus, die er seinem Oberst Hans Landa verleiht, gehört mit zum Besten, was man bisher auf der Kinoleinwand gesehen hat. Interessant, dass ihm ein befreundeter Filmregisseur einmal geraten hat, sein Karriereglück zunächst nicht in den USA zu suchen, weil er ihm das Schicksal ersparen wollte "ein Leben lang in Kriegsfilmen im Hintergrund im Stechschritt vorbeizumarschieren". Dieses Lebenskonzept dürfte aufgegangen sein. Waltz´ Performance ist dermaßen zum Niederknien, dass sie alleine die anti-faschistische Rachefantasie "Inglorious Basterds" zu einem Film macht, den man einmal gesehen haben sollte.


02 (ex aequo) Ron Howard: "Frost/Nixon" 4

Im Fernsehen gibt es weniges, das mühsamer zu verfolgen ist, als Interviews mit Politikern. Sie weichen Fragen aus, winden sich auf mehr oder minder elegante Weise, geben allgemein gehaltene Stehsätze von sich, anstatt sich festzulegen. Aus einer Reihe von Interviews mit einem Politiker einen fesselnden Film zu machen, ist daher mit Sicherheit keine geringe Herausforderung - selbst, wenn der Interviewte Richard Nixon heißt und sich in einem schwachen Moment zu der Aussage hinreißen lässt, dass der amerikanische Präsident sich für nichts rechtfertigen müsse, weil er über dem Gesetz stehe. "Frost/Nixon" ist der Beleg dafür, dass dieses Unterfangen gelingen kann. Das Werk von Ron Howard ("Apollo 13", "A Beautiful Mind") handelt von der Begegnung des britischen Journalisten David Frost mit dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Richard Milhouse Nixon, die im Jahr 1977, also drei Jahr nach dem unrühmlichen Ende der Präsidentschaft Nixon, für einer Interviewserie zusammen kamen. Howard inszeniert diese reale Begebenheit mit einigen fiktiven Freiheiten und als äußerlich nüchternes psychologisches Duell, bei dem der Profi Nixon zu Anfang die Oberhand hat, ehe sich das Glück zu drehen beginnt. Der Film fokussiert, wie schon der Titel deutlich macht, ganz auf die beiden Hauptakteure, die von Michael Sheen (Frost) und Frank Langella (Nixon) portätiert werden. Vor allem der Letztere liefert eine fast beängstigend gute Darstellung der verkörperten historischer Figur ab und fügt der beachtlichen Reihe von herausragenden "Nebendarsteller"-Leistungen im letzten Jahr eine weitere hinzu. Es ist faszinierend zu beobachten, wie dieser Nixon zunächst scheinbar abgeklärt, souverän und auch überheblich, im Stile eines "elder statesman", auftritt, sodann aber sein Welt- und Selbstbild ins Wanken gebracht wird. Am Ende tritt er uns nachdenklich gegenüber und zeigt sportlichen Respekt vor seinem Kontrahenten. Dieser Nixon erscheint durchaus nicht als historisches Ungeheuer, als purer Bösewicht, sondern als menschliches Wesen. Umgekehrt ist Frost keine makellose Heldengestalt, sondern ein Mann am Rande seiner Karriere, der eine ordentliche Portion Glück benötigt, um die gestellte Herausforderung zu bestehen. Regisseur Ron Howard verzichtet zur Gänze auf pathetische Schwarz-Weiß-Malerei, obwohl er zugleich durchaus klar macht, wer hier das moralische Recht auf seiner Seite hat. In diesem feinen Naturalismus liegt die große Qualität dieses sonderbar ruhigen wie intensiv-packenden Filmes.

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