Es kann nicht mehr geleugnet werden, die Übergangszeit ist da. Jene Tage des Jahres, an deren Morgen man auf einmal erstaunt auf die Uhr blickt, weil es noch so finster ist. An denen tagsüber zuweilen die Sonne noch trügerisch hell am Firmament steht, aber einem in dem Augenblick, indem man vor die Tür tritt, plötzlich fröstelt. Herbstzeit, falls man noch an die Theorie von den vier Jahreszeiten glaubt. Eine Zeit, in der man etwas melancholisch wird und nachdenklich werden darf.
Vermutlich der richtige Zeitpunkt, um "Atmen" von Karl Markovics in die Kinos zu bringen und dort anzusehen. Ein Film, der von einer ruhigen Schwere und schwermütigen Nachdenklichkeit erfüllt ist. Sein Hauptprotagonist, der junge Häftling Roman Kogler, tritt uns anfangs kalt, verschlossen, abweisend entgegen. Er sitzt wegen eines Mordes, den er mit 14 im Jugendheim begangen hat, hinter Gittern. Vom Gefängnis aus nimmt er ein Jobangebot an, arbeitet zwecks Resozialisierung bei der Bestattung Wien, wo er Hand anlegt am letzten Weg der Menschen. Durch diese Tätigkeit gelingen ihm kleine Schritte aus der äußeren wie inneren Isolation und er gerät in die Lage, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen, den Wurzeln seiner Ge- und Befangenheit auf der Spur.
Soweit, so solide das Drehbuch. Was "Atmen" zu einem starken Film macht, ist das Atmosphärische: ruhige, andauernde, konzentrierte Bilder, die nicht nur das äußere Geschehen, sondern auch innere Stimmungslagen sichtbar machen. Ein nüchterner, klarer Realismus, von souveränen schauspielerischen Leistung getragen. Das Ganze geht allerdings nicht ohne gewisse Grundelemente her, die man dem österreichischen bzw. Wiener Film nachsagt: das Morbide (schon unvermeidlich angesichts der berufliche Ausrichtung des zentralen Charakters), das Abgründige, das bewusst eingesetzte Hässliche, das lapidar hingeworfene Grauenvolle. Hier kann man eine gewisse Manier ausmachen, die nicht jedem Kinobesucher zusagt. So konnte man nach der Vorstellung schon von manchem das Diktum vom "sehr österreichischen Film, halt" hören.
Aber "Atmen" geht zum Glück die Luft nie ganz aus, der Streifen von Karl Markovics kippt nicht in eine halbgare, halblustige Genreübung. Stattdessen eröffnet er Einblicke in Bereiche, die verdrängt, tabuisiert, an den Rand geschoben werden. Die unerfreuliche Realität des Jugendheimes wird angedeutet, genaue Einblicke gibt es in die Welt der Jugendhaftanstalt und in jene des Bestattungswesens, Begegnungen mit (filmisch) frisch Verstorbenen inklusive. Markovics schaut hier bewusst hin, wo die Gesellschaft gerne einmal weg schaut und macht Realitäten bewusst. Ein nicht geringer Verdienst für einen Kinofilm mit einer nicht unerheblichen Breitenwirkung.
"Atmen" ist ein Film über Übergänge. Der Übergang des Roman Kogler von der inneren Erstarrung in eine aktive Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben und möglicherweise (eine Verhandlung steht am Ende der Geschichte) auch in die physische Freiheit, einen Neubeginn. Der Übergang des Menschen aus dem Leben in die physische Erstarrung des Todes samt der Frage, wie die Lebenden damit umgehen sollen.
"Atmen" ist von der Grundstimmung her ein nachdenklich-schwermütiger, zuweilen auch erschreckender Film. Aber trostlos, das ist er nicht. Denn Übergänge, die gehören zum Leben, wie der Wechsel der Jahreszeiten zu unserem Planeten. Nur, die Rahmenbedingungen dafür, die liegen in unseren Händen.
Meine Bewertung: 3,5 von 5 Sternen.
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