Sonntag, 3. Juni 2007

"Österreich"-Blog # 1

Gestern brachte ein Freund die aktuelle Ausgabe von "Österreich" mit in die Wohnung.

Die Schlagzeile auf der Titelseite lässt aufhorchen: "ELSNER TRIEB MITHÄFTLING FAST IN DEN SELBSTMORD!" Unglaublich, der Elsner. Eine dämonische Gestalt, die da in der Justizvollzugsanstalt Josefstadt einsitzt. So einer könnte auch als Bösewicht in Gotham City reüssieren, ein wahrer Finsterling.

"Österreich" kennt da keine Gnade, gibt den Rächer: "Nichts ist so ehrlich erworben, wie ein schlechter Ruf. Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner (72) beweist es sogar hinter Gittern..."

Wer weiterliest, wird irgendwann einmal erfahren, dass sich der Mithäftling einmal darüber beschwert hat, dass Elsner in arrogant behandle. Den wahren Grund für dessen Depressionen erfährt man nebenbei aber auch: "Die Justiz ging davon aus, dass der Ex-Banker mit dem früheren PR-Profi eine Gesprächsbasis auf Augenhöhe und gleichem Niveau finden würde - was nicht unwichtig ist, wenn man 23 Stunden täglich gemeinsam auf zehn Quadratmetern verbringt. Die Rechnung ging nicht auf. Denn schon als Elsner einzog - und damit auch sein Zellengenosse ins Interesse der Berichterstattung geriet - verfiel Mörder Martin W. in tiefe Depressionen. Der Grund: Obwohl zu 15 Jahren Haft verurteilt, versucht W. (wie fast alle Gewaltverbrecher) seine Tat zu verdrängen. Plötzlich wieder in den Schlagzeilen zu stehen weckte Erinnerungen und die Verzweiflung an sich selbst. Die Folge: Martin W. bekam jeden Tag in rauen Mengen Antidepressiva (Praxagen) verordnet, weil Gefahr bestand, dass er Selbstmord begeht."

Fassen wir zusammen: Ein U-Häftling, für den die Unschuldsvermutung gilt, wird auf 10 Quadratmetern mit einem verurteilten Mörder zusammengepfercht. Er ist nicht gerade bester Laune, ein schwieriger Charakter ist er auch noch, mag sein. Seit geraumer Zeit steht er im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, die Boulevardmedien des Landes verfolgen ihn auf Schritt und Tritt, selbst während einer Reha, die er wegen einer Herzoperation machen muss, sind sie hinter ihm her. Die Tatsache, dass man ihn medizinisch behandelt und nicht einfach krepieren lässt wird von den Medien und auch führenden Politikern des Landes hinterfragt und mit Hohn bedacht. Der U-Häftling ist sauer, sein Mithäftling bekommt das zu spüren. Was der Mithäftling aber noch mehr zu spüren bekommt, ist etwas anderes: Die gnadenlose Gier der Boulevardmedien nach Storys und Schlagzeilen, die über komplexe menschliche Schicksale ohne mit der Wimper zu zucken hinweg marschieren. Er hat Flashbacks von damals, als er selbst im Fadenkreuz der Aufdecker und Schlagzeilenschmiede stand. Das verkraftet er nicht. Aber, Hauptsache, "Österreich" weiss über die Schuldfrage genau Bescheid. Der "arrogante" und "menschenverachtende " Ex-BAWAG-Chef wars: "ELSNER TRIEB MITHÄFTLING FAST IN DEN SELBSTMORD!"

Gut, dass "Österreich" Standards setzt und uns klarmacht, was "Menschenverachtung" bedeutet.

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