Samstag, 31. Oktober 2009

Madrid und Toledo in Buchstaben

Einer schönen Tradition folgend fahre ich jedes Jahr mit zwei Freunden über ein verlängertes Herbst-Wochenende (entweder zum Nationalfeiertag oder zu Allerheiligen) in irgend eine Stadt jenseits der österreichischen Grenzen.

2005 waren wir in Budapest, 2007 in Hamburg und letztes Jahr in Stockholm (2006 fiel aus).

Dieses Jahr haben wir uns erstmals etwas südlicher orientiert und uns in Madrid einquartiert. Neben Madrid haben wir auch Toledo, der alten Hauptstadt Kastiliens, einen Besuch abgestattet.

Wie schon im letzten, so sollen die Reiseerfahrungen auch in diesem Jahr in Form eines (sehr subjektiven) Alphabets zusammengefasst werden..


A wie Albóndigas (vom arabischen al-bunduq "Haselnuss"): Fleischbällchen, die in jedem Lokal, das sich einer echten madrilenischen Küche rühmt, angeboten werden. Sollte man nicht verpassen, wenn man da ist. Besonders feine Exemplare gibt es in der "Cervezeria Alemana" (nicht vom Namen abschrecken lassen!) an der Plaza Santa Ana im Huertas-Viertel (siehe H). An diesen tat sich schon Hemingway gütlich.

B wie Beilagen: Wir bleiben im lukullischen Bereich. Die Madrilenen sind keine großen Beilagenesser. Wenn man zum Beispiel Fleisch bestellt, bekommt man meist Fleisch - und aus. Allerdings wird als Vorspeise neben dem in mediterranen Ländern üblichen Weißbrot (meist alt und hart) oft ein Teller Oliven, Sardellen oder sonstiges serviert.

C wie Castellano: Die einzige Sprache, die man in Kastilien ernsthaft bereit ist, in den Mund zu nehmen..Siehe auch E!

D wie 3,2 Millionen: Einwohnerzahl von Madrid. Dennoch ist das unmittelbare Zentrum gar nicht einmal so riesig und gut zu Fuß zu erforschen.

E wie Englisch: Seit die Angelsachsen 1588 die spanische Armada geshreddert und in der Folge eine feindliche Übernahme des Globus durchgeführt haben, sind mehr als 400 Jahre verstrichen. Die Spanier dürften sich das aber gemerkt haben, denn sie weigern sich bis heute standhaft, das inselgermanische Idiom zwecks Kommunikation mit Reisenden zu verwenden. Und, selbst wenn sie es versuchen, zermantschen sie das Englische dabei dermaßen, dass es einer subtilen Form des Protestes gleichkommt und die Kommunikation auch nicht unbedingt erleichtert. Das hat zur Folge, dass man prinzipiell nie damit rechnen sollte, dass spanische Kellner einem das bringen, was man glaubt, bestellt zu haben!

F wie Franzosen: Nördliches Nachbarvolk der Iberer. Wesentlicher Unterschied: Jüngere Franzosen sprechen mittlerweile hervorragend englisch, wenn auch zuweilen mit erkennbarem Widerwillen. Im Gegensatz dazu teilt einem der Spanier freundlich mit, dass leider keinerlei Kommunikation möglich ist.

G wie Gaspedal: Wer in Madrid die Straßen betritt, sollte sich seiner Sterblichkeit bewusst sein und seinen Frieden mit dem Universum gemacht haben. Die Straßen sind dazu da, um jederzeit von jedem betreten und befahren zu werden - man sollte sich nur immer gut vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer (insbesondere kein motorisierter) zur selben Zeit an der selben Stelle sein möchte. Straßenmarkierungen haben eher "ornamentalen Charakter" (Paul Ingendaay, "Gebrauchsanweisung für Spanien"). Toledo (siehe T) ist im Vergleich dazu wegen seines mittelalterlichen Stadtbildes für Fußgänger ein sicherer Hafen.

H wie Huertas-Viertel: Da die Spanier im Allgemeinen und die Madrilenen im Speziellen grundsätzlich keine Nicht-Familienmitglieder in ihre Wohnungen lassen, treffen sie sich mit ihren Freunden außerhalb. Zum Beispiel im Huertas-Viertel rund um die Plaza Santa Ana. Dort offenbart sich das größte Talent der Spanier: lärmendes, fröhliches Fortgehen. Andere Menschen zu treffen und mit diesen hemmungslos und lautstark zu kommunizieren, scheint den Spaniern keine soziale Pflicht zu sein, der man sich unterwirft, es ist Lebenssinn und -zweck. Dementsprechend gut ausgebildet ist die Lokalinfrastruktur. Allzu früh braucht man sich freilich, dem spanischen Lebensrhythmus entsprechend, nicht aufzumachen.

I wie Indien, Seeweg nach: Wurde bekanntlich von einem Portugiesen gefunden. Dafür führte ein früherer spanischer Versuch zur "Entdeckung" eines kompletten Kontinents. Dessen koloniales Erbe besteht heute vor allem aus zahlreichen spanischsprachigen Menschen von jenseits des Ozean, die in Madrid leben und arbeiten oder hier als Touristen unterwegs sind.

J wie Juan Carlos: König von Spanien. Residiert im wuchtigen Palacio Real, unweit der Plaza de Espana sowie unseres, in einer ruhigen (!) Nebenstraße gelegenen, Appartements.

Dies ist nicht unser Appartement, sondern der Königspalast.

K wie Kellner: Es dauert ein wenig, bis spanische Kellner (nahezu immer männlich) wieder auftauchen, nachdem sie einem zunächst rasch einen Tisch zugewiesen haben. Nach der Bestellung trifft dafür dann das Essen (hoffentlich das richtige, siehe E) mit Lichtgeschwindigkeit am Tisch ein. Auf die Rechnung muss man dann aber unter Umständen wieder lange warten. Man sollte sich allerdings das Wechselgeld genau anschauen, denn manchmal wollen einem die Spanier partout mehr zurück geben, als einem zusteht (vielleicht, weil sie sich schon im Vorhinein dafür genieren, dass ihnen die Touristen viel zu viel Trinkgeld geben). Derartige Großzügigkeit sollte man zurückweisen, was wir auch getan haben.

L wie Landschaft: In Madrid gibt es bemerkenswert viele Parks und Grünflächen. Rund um Madrid und insbesondere Richtung Süden (Toledo, siehe T) erstreckt sich jedoch eine für unsere Begriffe geradezu wüstenartige Gegend, die manchmal schon an die trockenen Staaten des nordamerikanischen Westens erinnert. Das finden die einen durchaus pittoresk (ich zum Beispiel), die anderen aber schlichtwegs öde.

M wie Minderheitensprachen: Die Zeit des Franco-Zentralismus ist nun doch schon lang vorüber und so kann man mittlerweile an Madrider Geldausgabeautomaten sein Bares auch in Galicisch, Katalanisch und Baskisch ordern. Da kann sich Kärnten ein Scheibchen abschneiden.

N wie Nachwuchs: Wo immer in der Madrider U-Bahn ein Kleinkind auftaucht, wenden sich ihm sofort die Köpfe zu, die Gesichter verklären sich und man hört beglückte "ohs" und "ahs". Dass die Spanier Kinder lieben, kann man buchstäblich sehen. Missbilligende Blicke und abfälliges Gemurmel wie in Österreich erlebbar, wenn eine Horde lärmender Kinder das U-Bahn-Abteil in Beschlag nimmt, ist den Madrilenen eher fremd. Das mag natürlich auch daran liegen, dass sie Lärm einfach gewöhnt sind. Andererseits merkt man sofort, dass hier ein anderer Umgang mit dem Nachwuchs herrscht - spanische Eltern kämen offensichtlich nie auf die Idee, ihre Kleinen an der kurzen Leine zu halten, und so laufen diese fröhlich durch die Gegend.

O wie oben: "Madrid ist mit 664 Meter über dem Meeresspiegel die höchst gelegene Hauptstadt Europas", behauptet mein Reiseführer. Da hat er allerdings nicht mit meiner gesunden Skepsis gerechnet. Ich behaupte daher jetzt einfach mal so, dass die höchst gelegene Hauptstadt Europas in Wahrheit Andorra la Vella heißt..

P wie Prado: Habsburger, Bourbonen und andere Aristokraten haben in Madrid eine Unmenge von Kulturgut angehäuft. Um dieses auch nur annähernd zu fassen, bedarf es gleich vier weltberühmter Museen: des Prado, des Museo Reina Sofia, der Thyssen-Bornemisza-Sammlung und des La Caixa Forum. Alle diese Museen befinden sich im Kulturbezirk zwischen Atocha-Bahnhof, Retiro Park und Plaza de Cibeles. Aus Zeitgründen haben wir "nur" den Prado besuchen können. Somit haben wir die Moderne diesmal verpasst, wurden aber durch die bedeutendste Goya- sowie El Greco - Sammlung der Welt und Werke von Bosch ("Garten der Lüste"), Dürer ("Selbstbildnis mit Landschaft"), Rubens ("Urteil des Paris"), Botticelli, Brueghel, Cranach, Rafael, Tizian, Velazquez usf. reichlich zufrieden gestellt. Auch in der Sakristei der Kathedrale von Toledo (siehe T) hängen übrigens diverse El Grecos, Goyas, Tizians und Rubens einfach so in der Gegend rum.

Q wie Quijote, Don: Berühmteste spanische Literaturgestalt, deren berühmteste Tätigkeit der Kampf gegen die Windmühlen war. Böse Zungen behaupten, dies versinnbildliche auf das Treffendeste die existenziellste Erfahrung jedes Spaniers mit seinem Staatswesen.

Don Quijote, unbekannter Chinese, Sancho Pansa.

R wie Real: ....Mallorca. Spielten am Samstag im Vicente Calderon-Stadion von Atletico de Madrid gegen die madrilenischen Hausherren. Letztere brachten das Kunststück zustande, eine 1:0-Führung noch zu verspielen, obwohl die Mallorquiner durch zwei Ausschlüsse doch ganz erheblich geschwächt waren - Endstand 1:1. Danach soll es zu Ausschreitungen wütender Atletico-Anhänger gekommen sein. Wir verbrachten die Partie auf einer Sitzplatz-Tribüne, umgeben von friedlich Sonnenblumenkerne kauenden spanischen Familien - und staunten über die gepflegte Schönheit des spanischen Fußballs.

S wie Spanierinnen: Auch diese sind von überaus gepflegter Schönheit. Allerdings sieht eine so aus als wäre sie die Cousine der jeweils anderen, sodass man sich vermutlich sehr rasch satt gesehen hätte.

T wie Toledo: Toledo war ein Oppidum der keltischen Carpetaner, ein bedeutendes Handelszentrum der Römer, eine westgotische Hauptstadt, Sitz eines maurischen Emirs, Zentrum des sephardischen Judentums sowie der mittelalterlichen Gelehrsamkeit und Philosophie, dann aber auch der spanischen Inquisition (infolgedessen 12.000 Juden ihrer Besitztümer beraubt und aus der Stadt gejagt wurden) und kastilischer Herrschersitz bis zur Wahl des Dorfes Madrid durch Philipp II. 1561. Toledo, auf einem Felsen über dem Fluss Tajo thronend, ist wahrhaft Stein gewordene Geschichte. Die Plaza Zocodover, der wichtigste Platz der Stadt, existiert nun bereits seit gut und gerne 1000 Jahren. Selbstverständlich ist Toledo einen Besuch wert, schon allein wegen der steinalten Straßenzüge und der sehr imposanten Kathedrale (der - nach jener von Burgos - "zweitbedeutendsten" Spaniens , wie mein Reiseführer anmerkt). Auch die in Toledo hergestellte Schokolade kann man sehr empfehlen.

Toledo.

U wie U-Bahn: Heißt hier, wie auch andernorts, "Metro" und ist eine der ältesten Europas. Im Übrigen sehr sauber und weit ausgedehnt - ein wichtiges Verkehrsmittel im nicht immer Fußgänger-freundlichen Madrid, wo die Fortbewegung per Fahrrad nur für ausgesprochen lebensmüde Zeitgenossen in Frage kommt.

V wie Velázquez, Diego: Hochberühmter spanischer Hofmaler des 17. Jahrhunderts. Siehe P.

W wie Wetter: Die Umstellung vom winterlich-kalten Linz auf das schwül-warme Madrid ließ anfangs meinen Kreislauf ganz schön straucheln. Aber dann wars natürlich sehr schön so.

X wie X-Akte: Nachdem wir uns in der "Cervezeria Alemana" an den Albóndigas gelabt und je zwei namenlose Biere (Biere haben in Spanien keine Namen, sie sind einfach nur "cervezas") getrunken hatten (siehe auch A), beschlossen wir, ein uns gänzlich unbekanntes Gericht von der Karte zu bestellen. Einfach deshalb, weil wir keine Ahnung hatten, was es war. Der Kellner brachte uns DAS da:




Wir haben längst vergessen, wie es hieß und waren auch bis heute nicht in der Lage, es zweifelsfrei zu identifizieren. Das einzige, was man sagen kann, ist, dass es nach Meereslebewesen schmeckte. Wir wussten auch nicht wie wir es essen sollten. Hinunterschlürfen? Dafür erschien der Teller bedenklich flach. Mit den Fingern? Dafür erschien das Gericht irgendwie zu glitschig. Mit den Zahnstochern aufspießen? Letzteres legte uns auf Nachfrage der Kellner nahe, aber wir wissen nicht, ob er sich da einen Spaß erlaubt hat. Schließlich brachte er dann doch Messer und Gabel.

Y wie y: Spanisches Wort für "und", welches hiermit artiger Weise eingeflochten wird, um einen eleganten Übergang zum letzten Buchstaben zu ermöglichen..

Z wie Zentrum: Im selbigen Spaniens liegt Madrid - nicht nur politisch, bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich, sondern auch in geographischer Hinsicht. Hauptsächlich deshalb ist Madrid heute was es ist und gibt gegenüber Barcelona, Cordoba, Granada, Saragossa, Sevilla, Toledo und wie sie alle heißen den politisch-ökonomischen Ton an.

Die Plaza Mayor von Madrid.

2 Kommentare:

Hannes hat gesagt…

Warst Du denn schon in Barcelona, oder hast Du tatsächlich den Erzrivalen vorgezogen?
Ich teile übrigens Deine Begeisterung für die unendliche Wüste.

Ein Winzer hat gesagt…

Ja, ich war schon in Barcelona.

Und natürlich bin ich auch im Camp Nou schon herumgestanden - habe allerdings dort leider noch kein Spiel erlebt..

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