Irgendwann einmal ist man so erwachsen, dass man sich frei fühlt, Dinge wieder zu tun, die einen als Kind begeistert haben.
Fußballer sammeln und einkleben, zum Beispiel.
Wenn man das nach langer Zeit (war es die WM ´94 oder die Euro ´96 als ich das letzte Mal Pickerlpackerl aufriss?) wieder tut, fällt einem natürlich auf, was sich verändert hat und was nicht.
Das wäre einmal das äußere Erscheinungbildes des Objektes der Sammelleidenschaft. Die Klebebildchen für die Fußballweltmeisterschaft werden immer noch durch die Panini Gruppe lizensiert (ein Konzern mit Sitz in Modena, der auch führende Comicverlage beinhaltet, Sammelkarten herausgibt und Fußballstatistiken verkauft). Der kleine Ritter mit der langen Lanze, der ein bisschen an die Ritter in den "Hägar"-Comics erinnert, schmückt immer noch die Packungen und Sammelhefte.
Die Grundstruktur eines Panini-Sammelheftes hat sich nicht wesentlich verändert. Es gibt immer noch die Stadien, die zusammen geklebt werden müssen, die Embleme der Verbände glänzen aus dem Heft heraus, es gibt Mannschaftsfotos und die gewissen bösen Überraschungen, weil die Hefte soweit im Voraus produziert werden müssen, dass die Kader nicht in allen Belangen zutreffen. So blicken etwa Ballack, Adler, Cambiasso, Zanetti und Benzema optimistisch aus den Heften und freuen sich auf die Fußball-Weltmeisterschaft. Auch die mehrsprachigen Länderbezeichnungen sind noch da, die mir als Achtjähriger einen starken Eindruck von der Vielfältigkeit der Welt vermittelt haben.
Nicht mehr dabei sind die Trainer. Das ist schade und zeugt von mangelndem Respekt.
Meine Herangehensweise an das Sammeln der Pickerl hat sich zweifellos verändert. Jetzt möchte ich mein Heft auch wirklich voll bekommen. Damals als Halbwüchsiger war das zwar auch irgendwie mein Ziel, ich war aber nicht bereit, dafür bis zum Äußersten zu gehen. Und das wäre gewesen, fehlende Bilder einfach nachzubestellen. Oder gar, Bilder zu tauschen. Allzu oft habe ich von meinen Schulkameraden erstaunte Blicke geerntet, wenn ich ihnen mit vollem Ernst erklärt habe, dass ich keine Bilder tauschen werde, sondern vielmehr die doppelten Aufkleber aufbehalten will. Die dienten mir nämlich als Basismaterial für die Durchführung meiner eigenen Weltmeisterschaften.
Diesmal bin ich gewillt, in den Tauschhandel einzusteigen. Das heißt, wer Bilder anzubieten hat, möge sich melden! Ja, und für die letzten Bilder werde ich wohl auch einen Brief an die Firma Panini schicken.
Aber nicht nur in strategischer Hinsicht stelle ich eine veränderte Situation fest. Auch in emotionalen Belangen wird die Kindheitserfahrung nicht mehr reproduziert. Damals war jedes Packerl, jedes Klebebild eine durch und durch sinnliche Erfahrung. Der Geruch, die Haptik, die Farben, alles schien ein zutiefst intensives Erlebnis zu sein. Dieses Gefühl von etwas Besonderem übertrug sich in der Folge zweifellos auch auf den Gegenstand des Sammelns: den Fußballsport. Hinzu kam, dass die Sticker förmlich vom Himmel fielen. Sie wurden mir von meinen Eltern nach Gutdünken geschenkt, ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie mir von meinem spärlichen Taschengeld selbst zu kaufen.
Nunmehr verfügt man theoretisch über die Mittel, sich Berge von Bildchen zu beschaffen. Und auch die Sinnlichkeit der Erlebens ist nicht mehr diejenige, die einem in Erinnerung ist. Aber dafür tritt ein ganz neuer Aspekt hinzu: Entspannung. Das Einkleben der Bilder ist eine geradezu meditative Handlung, die einen aus der eiligen Rennerei des Alltags herausholt.
Aus dem berauschenden Erweckungserlebnis wurde somit ein Frieden stiftendes Mantra.
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