Sonntag, 16. Mai 2010

Respekt

Der US-amerikanische Justizminister Eric Holder hat sich bei seiner Anhörung vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses am 13.5.2010 eine auf den ersten Blick etwas skurril anmutenden Auseinandersetzung mit dem republikanischen Ausschussmitglied Lamar Smith geliefert.

Holder weigerte sich nämlich, den Begriff "radikaler Islam" für jene Anschauungen und Kräfte zu benutzen, die Personen wie den gescheiterten Times Square-Attentäter zu ihrem kriminellen Tun verleitet haben. Es sprach stattdessen lieber davon, dass "Anschauungen, die mit den Lehren des Islam nicht übereinstimmen und eine radikale Version des Islam vertreten" dahinter stecken könnten. Er wies auch darauf hin, dass ein Bündel von Motiven hinter derartigen Taten steckt und religiöse Motive nur ein Aspekt davon sind.

Nun lässt sich über einen Begriff wie "radikaler Islam" sicherlich trefflich streiten. Auch ich habe den Begriff sicherlich immer wieder verwendet, auch wenn mir der Ausdruck "militanter Islamismus" stets treffender erschienen ist. Aber Holders beharrliche Weigerung, den Ausdruck in den Mund zu nehmen, hat mich nachdenklich gestimmt. Sicher, der Begriff "radikaler Islam" setzt den Begriff "Islam" voraus und bringt somit zum Ausruck, dass es sich hier um Ansichten handelt, die grundsätzlich mit den Lehren des Islam übereinstimmen, aber eben auf eine radikale Weise vorgetragten und verbreitet werden. Genau da kann eine Kritik dieser Begrifflichkeit ansetzen, denn die Mittel und Wege, mit denen eine Religion verbreitet wird, sind wesentlicher Bestandteil derselbigen. Daher können es moderate Muslime, die mit Gewalt oder religiösem Zwang nichts am Hut haben, als Herabsetzung ihrer Religion empfinden, wenn die Untaten von Al-Qaeda und Konsorten als islamisch bezeichnet werden.

Umgekehrt ist auffällig, dass Untaten, die Christen in der Vergangenheit wie in der Gegenwart (auch) aus religiösen Motiven verübt haben bzw. verüben, nie als "radikal-christlich" bezeichnet werden. Kein relevantes Medium käme zum Beispiel auf die Idee, die wahnsinnigen Schlächter der "Lord´s Resistance Army" in Uganda als radikale Christen zu bezeichnen. Hier setzen wir also interessanter Weise ein Idealvorstellung des Christentums als friedfertige Religion (die es über viele Jahrhunderte in seiner Praxis nicht war) voraus.

Andererseits ist unstrittig, dass es sich bei den Terroristen, um die es in dieser Anhörung geht, um Menschen handelt, die sich selbst als gläubige Muslime empfinden und ihre Anschauungen zweifellos aus muslimischen Traditionen ableiten. Man kann den Islam also auch nicht ganz aus der Verantwortung entlassen. Der Begriff "radikaler Islam" stellt einen entsprechenden Bezug her, ist leicht zu verstehen und wird auch verstanden. Die verschlungenen Umschreibungen, die Eric Holder stattdessen wählt, belegen das Dilemma, das entstehen kann, wenn man derartige Begriffe hinterfragt.

Zum Glück sind derartige semantisch-philosophische Grüblereien für die Bewertung seiner Vorgehensweise aber gar nicht ausschlaggebend. Denn Holder ist als Justizminister der USA nicht dazu berufen, in der Öffentlichkeit religions- oder sprachwissenschaftliche Untersuchungen auszuführen. Politik ist vor allem auch Psychologie und Eric Holder zeigt hier mit seinem Auftreten, dass er nicht gewillt ist, einem Schwarz-Weiß-Schema folgend die islamische Welt vor den Kopf zu stoßen. Er zeigt, dass er und sein Präsident entschlossen sind, zu differenzieren und rationale Entscheidungen zu treffen, auch wenn zur gleichen Zeit in den Vereinigten Staaten dschihadistische Anschläge ausgeführt werden. Wenn man auch sagen muss, dass der Vortrag dieser Haltung vielleicht souveräner erfolgen könnte - dies ist ein wohltuender Unterschied zur vorherigen Administration mit ihrem Kreuzzugs-Gehabe. Denn Obama und Holder ist bewußt : der Graben zwischen der modern-säkularen und der islamischen Welt wird sich auf globaler Ebene nicht durch pauschale Schuldzuweisungen oder Islam-Verbote überwinden lassen, sondern nur durch einen Dialog, der sowohl kritisch als auch respektvoll ist.

3 Kommentare:

Steffi F. hat gesagt…

Hallo Martin! Vor einigen Wochen(ca. 1 Monat) haben Gerald und ich auf der ORF-homepage einen langen Artikel über die Lord's Resistance Armee gelesen und zumindest in diesem Artikel kam sehr wohl heraus, dass die ziemlich radikal christlich sind! War echt schockierend zu lesen.
Schöne Grüße, Steffi

Ein Winzer hat gesagt…

Es würde mich aber sehr wundern, wenn ORF.at die LRA tatsächlich als "radikal-christlich" bezeichnet hätte. Das wäre zumindest eher ungewöhnlich.

Der Begriff "radikal-islamisch" wird hingegen in den Medien sehr häufig benutzt.

Was ich damit sagen will: Begriffe wie "islamisch" oder "christlich" sind nicht so eindeutig wie sie für uns im täglichen Sprachgebrauch scheinen.

Ich kann jeden Christen gut verstehen, der die LRA nicht als christlich ansehen möchte, weil ihr Verhalten so gar nicht zur Botschaft des Neuen Testaments passt.

Umgekehrt muss ich das aber Muslimen, die den Islam anders verstehen als Bin Laden auch zubilligen.

Einen Konsens, was in den jeweiligen heiligen Texten in der Summe wirklich drinsteht, werde ich sowieso nicht zustande bekommen, weil diese - sagen wirs mal so - ziemlich auslegungsbedürftig sind.

Andererseits brauche ich Begriffe wie "christlich" und "islamisch", um eine ungefähre kulturelle Zuordnung überhaupt treffen zu können.

Das ist das Dilemma.

Ich finde es jedenfalls gut, wenn Politiker, die im interkulturellen Dialog viel Verantwortung tragen, sich dieser Probleme überhaupt bewusst sind. Bei Obama (seine persönliche Biographie hilft da vermutlich) und Holder dürfte das der Fall sein.

Wie gehts euch beiden, alles gut bei euch?

Hannes hat gesagt…

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