Dienstag, 13. März 2012

Drift

Man wird das Gefühl nicht los, dass man inmitten einer gehörigen Umwälzung steckt, deren historische Dimensionen man aber - man steckt ja mittendrin - nur schwerlich abschätzen kann. Auf der einen Seite haben wir den alten bürokratisch-politischen Komplex, der angesichts von sich schon seit längerem auflösenden politischen und weltanschaulichen Loyalitäten, von (teils un-, teils selbstverschuldeter) Globalisierung und der neuen politischen Sphäre im Netz unter einem Schwindel erregenden Gefühl von Kontrollverlust leidet. Auf der anderen Seite eine breite Bevölkerung, die sich zunehmend von der politischen Klasse entfremdet sieht, dabei selbst unter dem Eindruck eines Ohnmachtsgefühls angesichts der globalen Komplexität steht und sich allzu oft in die Suche nach Sündenböcken und pauschales Bashing der Verantwortungsträger flüchtet, anstatt die Knochenarbeit des politischen Arbeitens selbst in die Hand zu nehmen.

Wie reagiert nun der Recht setzende Apparat auf diese sich bedrohlich auf tuende Kluft? Mit Realitätsverweigerung, hat man leider den Eindruck. Um die Kontrolle zu behalten, werden da Gesetzesbestimmungen ersonnen, die - zumindest in der Summe - tief in jahrzehntelang eingeübte Grundrechtssphären eingreifen, die zu gängeln versuchen, die sich in zwielichtige Gefilde begeben, in denen der Unterschied zwischen Rechtsstaatlichkeit und willkürlich anmutender staatlicher "Notwehr" gegen Kritisches bzw. Feindseliges zu verschwimmen droht. Und, das Unerhörte ist dabei vor allem die Heimlichkeit, mit der es versucht wird. Versteckt in Paragraphen, in der Hoffnung, diese mögen nicht gelesen werden. Punktiert auf Verhandlungen, die in abgeschotteten Konferenzräumen irgendwo auf der Welt oder in den geschützten Politikerwerkstätten Brüssels geführt werden. Abgesprochen allenfalls nur mit jenen, an deren realer Machtposition man nicht vorbei zu kommen meint, wie den großen Konzernen. Dass die Zeiten für derartiges Vorgehen eigentlich vorbei sind, jetzt, da Millionen Menschen die meisten Dokumente doch früher oder später im Netz lesen können - sie wollen es nicht, können es noch nicht wahrhaben.

Dabei lassen sich die Probleme der Zeit nur gemeinsam lösen. Eine Frontstellung zivile Bevölkerung gegen Politik und Bürokratie nutzt keinem. Professionalität ohne Konsens ist ebenso sinnlos wie Mehrheitsentscheidungen ohne professionelles Zuarbeiten. Hier geht es mithin um nicht mehr und nicht weniger als unsere Vorstellung von einer funktionierenden Demokratie - auch wenn sie möglicherweise einiges an Nachjustieren brauchen wird, um unter den neuen Bedingungen (weiter) bestehen zu können.


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