Sonntag, 11. November 2007

Krankenstandsvorteile


Showdown am Strand von Middelkerke (Flandern, Belgien) - Lucky Luke vs. Joe Dalton

Einer der Vorteile eines am alten Familiensitz verbrachten etwas längeren Krankenstandes ist die Möglichkeit, in den Keller der eigenen Kindheit hinabzusteigen und Altes, Verborgenes zu heben.

Nein, ich habe mich keiner psychotherapeutischen Selbstbehandlung unterzogen. Ich habe vielmehr damit begonnen, meine sehr umfangreiche Comicsammlung wieder in Augenschein zu nehmen. Das Ziel lautete dabei ursprünglich, die Abenteuer des guten, alten "Asterix" wieder zu entdecken, des gewitzten kleinen Galliers mit der machtvollen Feldflasche. Aber es kam anders.

Die Asterix-Hefte waren im Nachteil. Erstens waren sie, so musste ich nicht zum ersten Mal feststellen, gezeichnet - im wahrsten Sinne des Wortes - von den kreativen Ausbrüchen meiner Kindheit. Ich hatte mich damals mit großer Begeisterung über die Alben hergemacht und in diese mit Bleistift oder - schlimmer noch - mit Kugelschreiber so manches hineingekritzelt, vornehmlich Kraftlinien und -felder, mit denen ich das turbulente Geschehen rund um Gallier und Römer nachzuvollziehen trachtete. Dieses infantile Kunstschaffen hatte mir in späteren Zeiten schon desöfteren den Genuß dieser Werke verleidet und irritierte mich auch jetzt. Zweitens gingen sie in den einschlägigen Fächern des Kellers in einer Flut anderer Hefte geradezu unter, die solche Verunzierungen nicht aufwiesen: den Abenteuern des einsamen, zugleich edelmütigen Cowboys Lucky Luke, des Mannes, der schneller schießt als sein Schatten (und trotzdem immer ins Schwarze trifft)!

Mein Konsum der LL-Bände setzte zeitlich nach dem der Asterix-Hefte ein, was auch das Fehlen der genannten Zeichnungen erklärt. Der Begeisterung des sich im Familienverbund geborgen fühlenden kleinen Buben für den kleinen Gallier Asterix, der mithilfe seines Zaubertrankes und seiner Freunde aus dem gallischen Dorf vermeintlich größere und stärkere Gegner mühelos in ihre Schranken weist, war die Faszination für den das Land nachdenklich und (von der Begleitung seines getreuen Pferdes abgesehen) einsam durchstreifenden Individualisten Lucky Luke gewichen. Diese Figur entsprach mir nun mehr, dem eigensinnigen, grüblerischen und oft einsamen Heranwachsenden, der ich war. Natürlich gab es auch einen banaleren Grund für den Wandel: die Asterix-Bände waren schlicht "ausgegangen" und der nunmehr alleinverantwortliche Albert Uderzo brachte nichts Nennenswertes mehr zustande. Die LL-Hefe boten da hingegen ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir, denn ihr Zeichner, der Vater des Lucky Luke, Morris, hatte bereits ein beträchtliches Oeuvre vorgelegt und machte zu jenem Zeitpunkt auch keine Anstalten, seine Geschäftigkeit einzustellen (sein Zeichenstift ruhte erst 2002, als er selbst in die Ewigen Jagdgründe abberufen wurde).

Die Abenteuer des Mr. Luke haben offenkundig nie jenen Status erreicht, wie andere berühmte Comicserien. Sie wurden, meines Wissens, nie Gegenstand ausgiebigere Betrachtungen durch das Feuilleton, filmische Umsetzungen blieben eher auf einem bescheidenen Niveau und eine allzu blühende Sekundärliteratur hat sich auch nicht aufgetan (wie dies etwa zu den Werken von Carl Barks der Fall war).

Ein Grund dafür mag in der Hauptfigur selbst liegen. Lucky Luke ist ein tadelloser Geselle, manch einer mag ihn als etwas zu glatt, zu sauber empfinden, seine relativ gesehen unangenehmsten Eigenschaften liegen in einer gewissen Einsilbigkeit, die manchmal ins leicht Unhöfliche kippt und in seiner völligen Ablehnung irgendwelcher Bindungen, die über die Dauer eines Abenteuers hinausreichen.In seinen Fähigkeiten ähnelt er den amerikanischen Superhelden, denn er verfügt über übernatürlich zu nennende Schuss-Künste, aber es ermangelt ihm die zweite Identiät, die ihn doch wieder zu vermenschlichen im Stande ist. Wie gesagt, manchen ist diese Heldenfigur zu sauber. Selbst das Rauchen hat er schließlich aufgegeben.

Mich hat das nicht gestört, Lucky Luke war mir eine willkommene Identifikationsfigur. Ich schätzte seine einwandfreien moralischen Eigenschaften, sein Eintreten für die Schwachen in den Weiten des Westens . Ich mochte auch die originellen Plots, die Morris gemeinsam mit seinen Szenaristen entwarf (die meisten mit René Goscinny, dem Vater von Asterix) , die satirische, aber gewissenhafte Beschreibung der Ära der amerikanischen Pioniere und Kolonisten. Ich schätzte insbesondere die running gags, wie etwa die herrlich schwarzhumorigen Ortsschilder (ja, ich gebe es zu, Ortsschilder haben mich schon immer fasziniert) à la "Fremder, hier suchten viele Gold und fanden nur Blei!" (Golden Glow, Band 25) oder "Letzte Gross-Stadt vor der Wüste - Fremder, wir sind nicht schnell, aber dafür sind es unsere Kugeln!" (Pocopoco Pueblo, Band 60) sowie die immer wieder auftretenden archetypischen Figuren: die Barkeeper, die Desperados, insbesondere natürlich die großartigen Daltons, die Saloontänzerinnen, die Richter, die oft überforderten Sheriffs und - natürlich - die stets geschäftstüchtigen und wohlhabenden Totengräber. Sie alle tragen dazu bei, dass man sich in dieser rauen Welt des Westens bald irgendwie zuhause fühlt.

Ich hoffe, dass ich einmal die Zeit finde, auf diesen Seiten einige Bände aufzulisten, die es verdient haben, als Klassiker der Comicliteratur angesehen zu werden. Bei einem derart großen Output wie jenem, welches Morris über Jahrzehnte (die "Lucky-Luke"-Saga begann bereits 1946) zu Wege gebracht hat, ist natürlich nicht jedes Heft ein Meisterwerk. Aber die Qualität war immer da, durch all die Jahrzehnte.

Derweil noch ein Fundstück aus dem Netz: Der Lucky Luke - Song "I´m a Poor, Lonesome Cowboy" - auf isländisch..gelungen!

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