Das Jahr 2007 war ein Jahr, in dem endlich (gut?) wurde, was lange währte. Ein Jahr, in dem ein gewisser Ernst die Klinke zum Leben herunterdrückte. Ein Jahr, in dem aus der Rückkehr zurückgekehrt wurde. Ein Jahr, das viel versprach und das dann doch viele Fragen offenliess. Ein Jahr, das die Stagnation von 2006 zwar wieder in Energie verwandelte, Energie freilich, die mehrheitlich Potential blieb und nicht kinetisch wurde. Wem das jetzt nicht klar genug war, der sei getröstet: es wird gleich konkreter!
Mit den Jahresrankings kommt System und Wertung in den Nebel der verlaufenen Zeit.
Meine am liebsten gewonnenen Alben des Jahres 2007 - Ränge 8 + 7
- 8
Social Distortion - White Light, White Heat, White Trash
Label: Epic/Sony BMG
Jahr: 1996
Genre: Punk Rock
Die Genrebezeichnung "Punk Rock" wird dem hier Gebotene eigentlich nur bedingt gerecht. Mike Ness, Frontmann, Gitarrist, Sänger, sowie Herz und Hirn der Band "Social Distortion" vereinigt in der Interpretation seiner Texte und Noten die Wut des Punk mit der coolen Gefährlichkeit des Rockabilly, der verzweifelten Verlorenheit des Grunge, der geradlinigen Härte von Metal und Hard Rock und der tiefgeprüften Seele eines Country-Storytellers. Mit "White Light, White Heat, White Trash" ist ihm zusammen mit der damaligen (jetzt nicht mehr bestehenden) Besetzung seiner Truppe wohl sein Meisterstück gelungen, hier bündeln sich auf dem Boden des Punk in überzeugender Manier die bestimmenden und die vitalen Kräfte des Alternative Rock der 90er Jahre, von Cowpunk bis Grunge, und reichen fruchtbringend in die Vergangenheit zurück, zu Rock´n´Roll, Rockabilly, Countrymusik, Blues. Am Ende dieser Straßen, die dieser Punkrocker aus Orange County, Kalifornien, abgewandert ist, steht es dann: dieses große Rockalbum, vielleicht einer der heimlichen Höhepunkte seiner Dekade.
Social Distortion - I Was Wrong (Cut 4 von "White Light, White Heat, White Trash", Link führt zu YouTube)
"White Light, White Heat, White Trash" auf amazon
socialdistortion.com
- 7
Randy Newman - Sail Away
Label: Reprise/Rhino
Jahr: 1972
Genre: Pop
Er eröffnet mit einer bitterbösen Parodie auf den "American Dream", jenes wolkige Gebilde, das so wunderbar verschleiert, wieviele unter die Räder der Maschinerie geraten. "Sail Away", der Titeltrack, handelt von einem Sklavenhändler, der in Afrika zukünftigen Sklaven Amerika als das gelobte Land ihrer Träume anpreist:
In America you´ll get food to eat
Won´t have to run to the jungle
And scuff up your feet
You´ll just sing about Jesus and
drink wine all day
It´s great to be an American
Und in diesem zynischen Zungenschlag fährt Randy Newman fort, knöpft sich der Reihe nach die anderen großen Themen der amerikanischen Seele vor: Gott ("He Gives Us All His Love" und "God´s Song", in dem sich Gott höchstpersönlich über die Menschen als eine Art skurriles Unterhaltungsprogramm mokiert, eine Witzfigur der Schöpfung, die trotz der ihr zugefügten Übel in der Verehrung des Allerhöchsten fortfährt), Erlösung ("Old Man"), das Streben nach Ruhm und Reichtum und seine Konsequenzen ("Lonely At The Top", "Burn On" über die Umweltkatastrophen am Cuyahoga River), Sex und Heuchelei ("You Can Leave Your Hat On", jedem in der missinterpretierenden Fassung von Joe Cocker aus dem Soundtrack zu "9 1/2 Wochen" bekannt), sowie Macht und nationale Größe ("Political Science"). Das löst beim Hörer amüsiertes Schmunzeln aus und setzt Nachdenken in Gang.
Musikalisch ist das Ganze, wie es bei einem versierten Songwriter vom Format eines Randy Newman (der später für seine Filmmusiken Oscar, Grammy und Emmy gewann) nicht anders zu erwarten ist, ziemlich vielschichtig geraten. Nachdem er bei seinen ersten drei - nicht sonderlich erfolgreichen - Soloalben jeweils eine bestimmte Herangehensweise ausprobiert hatte, zunächst mit Orchester, dann mit Band spielte, sich schließlich alleine ans Klavier setzte, packte er diese drei Konzepte in "Sail Away" schließlich in eines zusammen, wobei er selbstredend aus dem gesamten Repertoire der amerikanischen Populärmusik, von Jazz, Blues und Gospel bis zum Musical und den Unterhaltungsmusiken der 20er und 30er Jahre, wie auch aus klassischem Liedgut seine Inspiration bezog. Das was der Musik von "Sail Away" dabei dieses gewisse Etwas, diesen ganz besonderen Charme verleiht, das ist dieses leicht altmodische Wesen, dieser Vorkriegstouch, der immer wieder zu spüren ist und der den beißenden, stets aktuellen Spott der Texte wunderbar konterkariert und damit nur noch stärker hervortreten lässt.
"Sail Away" ist vielleicht keine Platte, die einen beim ersten Anhören aus den Socken kippt. Aber es eine Platte, bei der man auf Anhieb spürt, dass ihr etwas überaus Vertrautes innewohnt, wie einem guten alten Bekannten, und dass man sie immer wieder hören wird wollen - und sie nie wirklich unzeitgemäß werden kann. Den amerikanischen Plattenkäufern dürfte es da in gewisser Weise ähnlich ergangen sein wie mir. 1972 kam "Sail Away" über Platz 163 in den Billboard Charts nicht hinaus, aber das Album wurde zu einem Longseller, der auch heute noch in absolut jedem Plattengeschäft zu finden ist.
Randy Newman - Sail Away (Cut 1, Liveversion ohne Streicher)
Randy Newman - Political Science (Cut 7)
Randy Newman - God´s Song (Cut 12, leicht editierte Livefassung)
"Sail Away" (letztes Reissue mit Bonustracks) auf amazon
randynewman.com
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