Barack Obama befindet sich auf der Siegerstraße. Bevor es nun dienstags in die vermutlich endgültig entscheidenden Vorwahlen in Ohio und Texas geht, hat er eine Serie von 11 gewonnenen primary elections vorzuweisen. Seine Sympathiewerte befinden sich im Höhenflug, keinem/r der im Rennen verbleibenden KandidatInnen fliegen zur Zeit derart die Herzen zu. Laut einer in den "New York Times" veröffentlichten Umfrage haben 45% der wahlberechtigten Amerikaner eine gute Meinung von Obama, bei seiner innerparteilichen Widersacherin Hillary Clinton sind es lediglich 35%, der republikanische frontrunner John McCain erreicht derzeit 36%. Politiker, ja superdelegates, die bisher Clinton offen unterstützt haben, hängen nun ihr Fähnlein in den neuen Wind und wechseln in das Lager ihres Herausforderers. Auch immer mehr Prominente sammlen sich hinter Obama, wie das mittlerweile mehr als 5 Millionen mal aufgerufene YouTube-Musikvideo "Yes We Can" beweist. Als Faktor der Wählerbeeinflussung mag dies zwar eher vernachlässigbar sein, wie die von Bruce Springsteen im Vorfeld der letzen Präsidentschaftswahlen initiierte "Rock for Change"-Tour eindrucksvoll bewiesen hat ("preaching to the converted" nennt man das im US-Jargon), Ausdruck einer Stimmung und einer Dynamik ist es aber auf jeden Fall. "Yes We Can" ist die musikalische Bearbeitung jener Rede, die Barack Obama nach der Vorwahlniederlage in New Hampshire (als Hillary Clinton mit einem Weinanfall noch einmal WählerInnen mobilisieren konnte) hielt und die unter seinen Anhängern Kultstatus erlangte. Überhaupt ist es Obamas rhetorische Brillianz und sein Charisma als Redner, die die Grundlage für seine Erfolge darstellen.
In seinen gefeierten, in wohleingeführter amerikanischer Tradition im Stile von Erweckungspredigten gehaltenen Reden wiederholt Obama zwei Begriffe mantraartig immer wieder: change und unity. Er inszeniert sich selbst als eine Art Retter der Nation, der nach Jahren der Dunkelheit den dringend benötigten Wandel bringen wird und insbesondere eines bewirken wird: die tief gespaltene amerikanische Nation zu einen, das wie in einer Kontinentaldrift auseinandertreibende Amerika wieder zusammenzuführen, sodass alle friedlich vereint an einem Tisch sitzen: der lateinamerikanische Wanderarbeiter neben dem Investmentbanker, der Ku-Klux-Klan-Bruder neben dem Ghetto-Bruder aus der Bronx, der hellfire-and-damnation-Prediger vom Land neben dem WoW-spielende Computer-Nerd aus der City. Diese großartig aufgezogenen Selbstinszenierungen verschaffen Obama auch die Aufmerksamkeit vieler Medien, die ihn schätzen und hätscheln, weil er den gewissen excitement - Effekt mitbringt und die Auflage und die Quoten antreibt.
Man vergleicht Obama folglich schon mit John F. Kennedy und Martin Luther King jr., den beiden großen nationalen Erweckungspredigern der jüngeren Vergangenheit, ein Ausdruck größter Begeisterung und Bewunderung. Für manche scheinen diesem Barack Hussein Obama tatsächlich geradezu messianische Züge anzuhaften.
Hillary Clinton sieht das naturgemäß anders. Aus der schmeichelhaften Position der klaren Favoritin für die demokratische Nominierung, ja der ersten Anwärterin auf den Einzug ins Weiße Haus, hat sie dieser Senator aus dem Bundesstaat Illinois geworfen, nun droht ihr gar der Super-GAU, das Ende aller präsidentschaftlichen Hoffnungen und Träume. Man sieht es ihr an, in ihren öffentlichen Auftritten. Clinton wirkt angespannt, frustriert, grantig. Sieger sehen ganz anders aus. In ihrer Not schlägt sie wütend auf den immer souverän und höflich bleibenden Obama ein und ihr Kernargument lautet dabei: Du, Obama, spuckst große Töne, aber du hast im Grunde keine Ahnung!
Leider hat sie damit nicht ganz unrecht. In der jugendlichen Frische Obamas, die er so gekonnt für seine Zwecke einsetzt, liegt auch seine entscheidende Schwäche. Während etwa Hillary Clinton über lange Jahre bis zur Selbstverleugnung im Politdschungel Washingtons ihre Frau gestanden und in ihrer Zeit im Weißen Haus wie im Kongress die dortige soziopolitische Geographie intensiv studiert hat, sitzt Obama gerade einmal 4 Jahre im Senat. Es scheint kaum vorstellbar, dass er in dieser Zeit bereits ausreichend Seilschaften gebildet und Kenntnisse gesammelt hat, um als Präsident erstens nicht von Einflüsterern abhängig zu sein und zweitens alle seine Vorstellungen auch durchsetzen zu können. Denn eines ist klar: Die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten mag das mächtigste Amt der Welt sein, alleine gegen den Kongress, die pressure groups und die Medien kann auch ein US-Präsident nicht regieren. Schon gar nicht einer, der doch eigentlich gar nicht im Sinne einer "imperialen Präsidentschaft" agieren möchte! Obamas im Wahlkampf immer wieder gepredigte Vision vom nationalen Massenknuddeln allein taugt als Fundament einer starken Präsidentschaft sicherlich nicht. Gleichzeitig ist der Senator Obama aber eben auch nicht der völlig unbelastete "Außenseiter", als der er sich in geschickter Umkehrung seines größten Mankos gerne darstellt.
Sollte Barack Obama das Ticket zu den general elections lösen, wovon derzeit fast auszugehen ist, so wird er es in diesen mit John McCain zu tun bekommen, einem alten Politfuchs und Vietnam-Kriegshelden mit langjähriger Washington-Erfahrung. Dieser Wahlkampf wird von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, als die Vorwahlauseinandersetzung mit Hillary Clinton, die von der Obamaschen Emo-Welle geradezu Tsunami-mäßig überrumpelt und hinweggespült wurde und nur allzu bald die Nerven wegwarf. McCain und die Republikaner werden gewappnet sein und sie werden vor nichts zurückschrecken. In der grimmigen Entschlossenheit, einen (zur Hälfte) afrikanischstämmigen ("afro-amerikanisch" kann man bei Obama eigentlich nicht sagen) "left-liberal" aus dem Norden zu verhindern, werden sie die ganze Maschinerie ihrer wirtschaftlichen und medialen Macht in die Waagschale werfen. Ihre Hassprediger in Funk und Fernseher werden den demokratischen Kandidaten mit Wonne ins Visier nehmen. Da wird wird man dann immer wieder davon reden, dass Barack Obama aus einem säkulär-atheistischen Elternhaus stammt und keine christlich geprägte Erziehung genossen hat. Dass sein Vater ein zum Atheismus gewendeter Moslem war. Dass Obama seine ersten Schuljahre in einem islamischen Land verbacht hat (in Indonesien). Dass sein zweiter (islamischer) Vorname "Hussein" lautet und es deswegen kein Wunder ist, dass er sich derart gegen den Irak-Krieg ausgesprochen hat. Und so weiter. Insgesamt werden die Reps bestrebt sein, das Bild eines politisch völlig unerfahrenen Linksradikalen von fragwürdiger Herkunft zu zeichnen. Der stets um den Anschein der Integrität und der Anständigkeit bemühte McCain wird sich da freilich eher zurückhalten, die Drecksarbeit werden andere für ihn erledigen.
Die Geschichte spricht nicht gerade für einen Wahlsieg Obamas bei den general elections. Seit Kennedy hat kein Nordstaaten-Demokrat mehr eine amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen können, zuviele Stimmen gingen da stets in den reaktionären Sümpfen des Südens und des Mittelwestens verschütt. McCain ist nicht ungefährlich, weil er kein Hardcore-Republikaner ist, sondern ein Pragmatiker mit Hang zum Populismus, der durchaus in der politischen Mitte Stimmen sammeln kann. Gleichzeit spielt auch er - wie Obama - auf der Klaviatur der secular religion, des Amerikanismus. Auf eine andere Weise. McCain beschwört ohne Unterlass die herausragende Großartigkeit der amerikanischen Nation und ihre göttlich-historische Sendung, der Welt ihre Werte zu bringen. Was uns angesichts der Machenschaften der letzten Administration kalte Angstschauer den Rücken hinunterjagt, aber bei vielen Amerikanern immer noch auf fruchtbaren Boden fallen mag. Zudem spricht auch die Entwicklung in der Landschaft der third-party candidates momentan wieder eher für den republikanischen Kandidaten: Michael Bloomberg wird nicht antreten, Ralph Nader und Cynthia McKinney schon.
Die Geschichte lehrt aber auch, dass dieselbige stets im Fluss ist und sich plötzlich historische Fenster öffnen können, durch die jemand, der die Gunst der Stunde zu nutzen weiss, gehen kann. Wer weiss, vielleicht ist Barack Obama eine solche Persönlichkeit. Fest steht aber auch, dass die Siegerstrasse auf der er derzeit wandelt noch lange nicht der Weg ins Weiße Haus oder gar zu einer erfolgreichen Präsidentschaft ist.
Donnerstag, 28. Februar 2008
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