Montag, 28. März 2011

Rückblog 2010 #3: 2010 im Kino, 3-1

03 Scott Cooper: "Crazy Heart" 4
USA 2010

Die Country-Musik, heißt es, sei der Blues des weißen Mannes. Das ist sicherlich ganz zutreffend, denn erstens ist Country tatsächlich jene Musikrichtung, die am stärksten von den europäischstämmigen Teilen der US-Bevölkerung konsumiert wird. Zweitens ist sie stark von der Musik der African Americans beeinflusst, sei es jetzt in rhythmischer Hinsicht oder auch in Bezug auf die Instrumentierung (Banjo und Steel Guitar leiten sich von afrikanischen Ursprüngen her). Schließlich ist auch die inhaltliche Ebene des Country dem Blues durchaus verwandt, geht es doch nur allzu oft um die Widrigkeiten des Lebens, um das Hadern mit dem Schicksal, das Scheitern von Beziehungen und die eigene Sündhaftigkeit (man höre nur Hank Williams, den Säulenheiligen der Countrymusik). In "Crazy Heart", dem Regiedebüt des aus Virginia stammenden Scott Cooper, begegnen wir einem Exponenten dieser Musik. Bad Blake ist ein abgehalfterter, gesundheitlich angeschlagener Altstar, der durch die Provinz tingelt und sich mit überbordendem Alkoholkonsum und One-Night-Stands mit den verbliebenen Groupies bei Laune hält. Jeff Bridges - der höchstpersönlich singt - ist die Idealbesetzung für diesen Part. Wenige Darsteller sind dermaßen befähigt, Tragik mit Selbstironie und Komik (die dieser Figur auch innewohnen) zu vereinen, ohne, dass es irgendwann aufgesetzt wirkt. Es kommt, wie es kommen muss: Die lasterhaften Pfade führen in die Krise. Zugleich tritt eine Frau (Maggie Gyllenhaal) in Bad Blakes Leben, was Hoffnung gibt, doch auch diese Beziehung wird kompliziert (klassische Motive der Countrymusik). Schließlich steht Bad Blake vor der Entscheidung, entweder seinen zerstörerischen Stolz aufrecht zu erhalten oder durch ehrliche Selbstachtung Läuterung zu praktizieren. "Crazy Heart" ist ein sehr amerikanischer Film, aber in einer guten Weise. Dieser filmgewordene Country-Song ist für Freunde qualitativer Ausprägungen dieser Musikrichtung fast Pflicht, aber auch sonst jedem ans Herz zu legen.


02 John Requa, Glenn Ficarra: "I Love You, Philipp Morris" 4
USA 2009

Wenn "Men Who Stare At Goats" für mich die negative Überraschung des abgelaufenen Kinojahres war, dann war "I Love You, Philipp Morris" die positive. Auch hier ist Ausgangspunkt eine wahre Begebenheit, namentlich die Geschichte des wegen gigantischer Hochstapeleien und serienweiser Gefängnisausbrüche berühmten Steven Jay Russell. "I Love You Philipp Morris" handelt aber nun nicht nur von den gleichermaßen kriminellen wie oftmals genialen Eskapaden von Russell, sondern erzählt auch seine vom kriminellen Lebensstil überschattete Liebesgeschichte mit einem gewissen Philipp Morris, den er bei einem seiner Gefängnisaufenthalte kennen gelernt hat. Die Biographie von Russell ist schon in realiter dermaßen unglaublich und spektakulär (das kann man zB hier nachlesen), dass ein Hollywood-Drehbuchautor eigentlich nicht mehr viel hinzufügen muss. Hier trifft viel eher die Aussage zu, dass man die Geschichte niemals glauben würde, wenn sie nicht wirklich passiert wäre. Glücklicherweise haben die Macher des Filmes aber weder den Fehler begangen, die Story einfach nur routiniert abzuspulen, noch den noch schlimmeren, sie zwanghaft unnötig aufzupeppen. Dies gelingt, indem die Finten des Hauptcharakters zwar ausgiebig dargestellt werden, der Film aber gleichzeitig dramaturgisch stark auf die sich entwickelnde Beziehung zu seinem Freund ausgerichtet wird. Jim Carrey (der hier wieder einmal komisch sein darf, ohne in üblen Grimassen-Klamauk abzudriften) und Ewan McGregor pushen sich gegenseitig zu sehenswerter Schauspielerei. Zudem ist in diesem Streifen auch jede der unzähligen kleinen Nebenrollen gut besetzt und liebevoll gezeichnet, sodaß ein lebhaftes Gesellschaftsporträt entsteht. "I Love You, Philipp Morris" ist nicht nur eine gelungene, niemals langweilig werdende Tragikomödie, sondern auch eine recht beeindruckende Liebesgeschichte.


01 Spike Jonze: "Where the Wild Things Are" 4
USA 2009

An das Buch kann ich mich nur mehr sehr verschwommen erinnern, wie aus einem fernen Traum. Ich weiß, dass ich es als Kind gekannt habe und, dass es mir sehr unheimlich erschienen ist, gleichzeitig aber faszinierend war. Ich hatte daher gegenüber Spike Jonzes Verfilmung keinerlei Erwartungserhaltung, außer die Hoffnung, dass die eindrückliche Atmosphäre von Maurice Sendaks Kinderbuch wieder gegeben ist. Das ist dem Regisseur von "Being John Malkovich" und "Adaptation" wunderbar gelungen. Ob diese filmische Umsetzung für Kinder, das Publikum, an das sich Maurice Sendak wenden wollte, geeignet ist, darüber kann man diskutieren. Allerdings ist daran zu erinnern, dass auch das Kinderbuch ursprünglich auf viel Widerstand gestoßen ist und sich viele Bibliotheken wegen angeblicher Jugendgefährdung geweigert haben, es aufzulegen. Seinen Erfolg verdankte es den Kindern sélbst, bei denen es derart gut ankam, dass die Erwachsenen irgendwann nicht mehr umhin kamen, es anzuerkennen. Viele mussten erstmals feststellen, dass man Kinder ruhig auch ernst nehmen und ihnen etwas zumuten kann. Fakt ist, dass Jonzes Interpretation des Stoffes recht düster ausgefallen ist und sich stark der psychologischen Interpretationen bedient, die die "Wilden Kerle" gefunden haben. Wir erleben die Reise des Protagonisten Max nicht als eine Reise aus seiner Welt - auch nicht in eine Welt der Fantasie - sondern vielmehr in seine Welt. Er begegnet bei und in den "Wilden Kerlen" den verschiedenen Bestandteilen seiner selbst und muss es schaffen, sie zu einem halbwegs stabilen Ich zu integrieren, um mit den Herausforderungen der Außenwelt klar zu kommen. Es ist ein Prozess der Reifung, auch des Erwachens von sozialem Bewusstsein. Abseits von solchen Interpretationsversuchen ist "Where the Wild Things Are" vor allem ein handwerklich perfekt gemachter Film mit einprägsamen Bildern, einer guten Prise Humor und einem äußerst stimmigen Soundtrack von Karen O & Carter Burwell. Mit Sicherheit schadet es Kindern auch nicht, das Werk anzuschauen. Ob es ihnen gefällt, müssen sie dann schon selbst entscheiden dürfen.



Und die Winzars 2010 gehen an..

Bester Film: Spike Jonze - "Where the Wild Things Are"
Beste Regie: Spike Jonze - "Where the Wild Things Are"
Bestes Drehbuch: John Requa, Glenn Ficarra, Steve McVicker - "I Love You, Philipp Morris"
Beste Filmmusik: Carter Burwell, Karen O. - "Where the Wild Things Are"
Beste Hauptdarstellerin: Mia Wasikowska - "Alice in Wonderland"
Bester Hauptdarsteller: Jeff Bridges - "Crazy Heart"
Beste Nebendarstellerin: Maggie Gyllenhaal - "Crazy Heart"
Bester Nebendarsteller: Ewan McGregor - "I Love You, Phlipp Morris"

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