Pünktlich wie die Uhr kommt zweimal im Jahr in allen Medien die Debatte über die Zeitumstellung.
Und so wie die Medien heutzutage nunmal funktionieren, wird die Debatte vor allm von irgendwelchen Aufregern dominiert: Die Zeitumstellung sei gesundheitsschädlich, Mensch und Tier kämpfen wochenlang mit dem Biorhythmus, Nutzen hat sie sowieso keinen, eigentlich ist sie nur lästig und die bösen, bösen Mächtigen hören nicht auf ihr Volk, weil sie die Zeitumstellung nicht stante pede abschaffen.
Die gesundheitlichen Auswirkungen sind natürlich frei erfunden. Wer am Sonntag länger schläft, mal ne Stunde später zu Abend isst oder in ein Land reist, das auch nur in der benachbarten Zeitzone liegt, bringt seinen Biorhythmus mehr durcheinander. Kein Mensch nimmt gesundheitlichen Schaden, nur weil zweimal im Jahr die Uhr um eine Stunde verstellt wird.
Sicher gibt es trotzdem Menschen, die darunter furchtbar „leiden“, aber das ist hausgemacht. Wenn man in allen Gratiszeitungen, Frühstücksfernsehsendungen und Radioblablas hört, wie unfassbar unausgeruht man noch wochenlang nach der Umstellung ist, dann wird das auch so sein.
Wenn man nach der Zeitumstellung morgens nach müden Gesichtern in der Straßenbahn sucht, fallen einem natürlich viele auf, aber ganz ehrlich: Die finde ich auch jeden anderen Tag im Jahr.
Von ganz wenigen Menschen abgesehen, die wirklich an sieben Tagen die Woche einen minutiös durchgeplanten Zeitplan haben, von dem sie so gut wie nie abweichen (ich denke da vor allen an Landwirte und Zwangsneurotiker), würde niemand groß die Zeitumstellung bemerken, wenn sie heimlich passieren würde.
Ich aber mag die Zeitumstellungen, und das hat viele Gründe.
Zweimal im Jahr haben wir so die Gelegenheit, einen Augenblick darüber nachzudenken, wie sich die Erde dreht, was die Sonne gerade so macht und wie das alles auf so wunderbare Weise zusammenspielt. Zweimal im Jahr überlege ich mir (auch weil ichs mir partout nicht merken kann), in welche Richtung die Erde sich dreht, wie die Jahreszeiten zustande kommen und wieso die Tage länger oder kürzer werden. Ich weiß nie, ob man nun im Frühjahr oder im Herbst die Uhr eine Stunde vorstellt, aber das macht nichts, hier bin ich meiner Legasthenie dankbar, dass ich ein wenig darüber nachdenken muss, und für diese Minuten des Nachdenkens bin ich an irgendeinem Punkt unseres Sonnensystems, wo ich der Erde dabei zusehen kann, wie sie sich um sich selber und um die Sonne dreht, wie die Neigung ihre Achse mit den Jahreszeiten zusammenhängt, und was eigentlich ein Jahr ist.
Für diesen halbjährlichen kleinen Ausflug in unser All bin ich der Zeitumstellung und ihren Erfindern sehr dankbar.
Ja, sicher könnte ich dieses Gedankenexperiment jederzeit und ohne Zeitumstellung machen, aber das wäre nur halb so lustig.
Dann mag ich die Zeitumstellung außerdem, weil sie so schön klar legt, wie der Mensch mit der Erde und der Natur umgeht, und welchen Stellenwert wir haben. Wir sind die einzigen Lebewesen, die es geschafft haben, sich nicht (nur) der Umwelt anzupassen, sondern vor allen die Umwelt an sich. Und das ist gut so. Wir ergründen jeden Tag die Welt, wir finden neue Naturgesetze und mit jeden Tag verstehen wir besser, wie die Erde, wie wir selber, wie die Natur und unser Universum funktioniert. Und trotzdem haben wir keinen (oder meinetwegen einen vernachlässigbar kleinen) Einfluss aufs Universum. Wir können auf unserer kleinen Erde (noch) nichts machen, was das Universum oder auch nur unser Sonnensystem nur im Mindesten beeindruckt. Selbst die Erde selber, die wir ja aus unserer Sicht und der unserer Mitbewohner wirklich schon ziemlich deutlich gestaltet haben, nimmt eigentlich kaum Notiz von uns, wenn man geologische Zeiträume betrachtet.
Aber auch, wenn wir uns dieser Tatsache bewusst sind, dass wir die Erde, die Jahreszeiten, und Länge eines Tages so hinnehmen müssen, wie sie sind, versuchen wir trotzdem, dieses System zu verändern. Und weil es eben absolut unmöglich ist, die Sonne eine Stunde früher aufgehen zu lassen, stellen wir einfach die Uhr um. So! Ha! Gewonnen! Wir haben das Universum besiegt!
Und zweimal im Jahr das Universum besiegen, das hat schon was, oder?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, hat meine Mama immer gesagt, und so weit ich das beobachten kann, trifft das zu. Es ist bequem, jeden Tag das selbe zu machen, täglich eines der fünf gewohnten Abendessen zuzubereiten, es gibt Sicherheit, wenn sich ein gewisses Mindestmaß an Fixpunkten tagtäglich wiederholt. Versteht mich nicht falsch, ich möchte diese gewissen Regelmäßigkeiten nicht missen, jeden Tag komplett neu erfinden zu müssen, stelle ich mir furchtbar anstrengend vor.
Aber jeder wird mir zustimmen, wenn ich mal noch einen Allgemeinplatz bediene und meine, dass Abwechslung die Würze des Alltags ist. Immer nur das Selbe zu machen, macht dumm und träge.
Wenn man nicht ab und zu mal was Neues, was Anderes erlebt, dann wird man vermutlich relativ bald zu dem Mensch, zu dem man als Jugendlicher nie werden wollte.
Vom Alltag abweichen, das macht munter! Das ist das, was die Welt spannend und interessant macht, das regt Hirn und Körper an.. selbst wenn es nur banale Kleinigkeiten sind. Einmal ne anderen Weg zur Arbeit nehmen, ein neues Kochrezept probieren, ein anderes Lokal zum Fortgehen suchen.. das sind alles nette Kleinigkeiten, die aber ohne die Regelmäßigkeit des Alltags nur halb so schön wären, da das Besondere dann fehlen würde.
Die Zeitumstellung macht genau das... 363 Tage im Jahr geht die Uhr immer gleich.. aber an zwei Tagen eine Stunde anders. Das ist nicht viel, das merkt man nicht, aber ich sehe das als willkommene Abwechslung und genieße das.
Und wer weiß, vielleicht komme ich gerade dadurch, dass ich mich zweimal im Jahr erinnern muss, wie ich die Uhr am Videorecorder und am Radiowecker umstellen muss, so gut mit neuen elektronischen Geräten zurecht? Training ist ja immer gut.
So, last but not least liebe ich die Debatten drüber. Mit Leuten, die gerade ein so tolles Wochenende in London verbracht haben darüber zu diskutieren, dass die eine Stunde Umstellung im Frühjahr und Herbst sie wochenlang müde macht, das ist irgendwie witzig. Mit Leuten, die regelmäßig nach dem Fortgehen dann um Eins in der Früh beim Würstelstand ne Pause machen, über ihren heiligen Biorythmus, der ja so ganz schrecklich furchtbar aus dem Gleichgewicht gebracht wird, zu sprechen, das amüsiert. Da weiß ich dann, dass wir die Zeitumstellung brauchen, damit Leute, die kaum über ihre eigene Nasenspitze hinaus denken und ihre Bildung aus der Boulevardpresse haben, abgelenkt sind und so weniger Zeit haben, sich in Dinge einmischen, die wirklich von Belang sind.
3 Kommentare:
Ich könnte jetzt kritisieren, dass du deinen Biorhythmus zwar nicht an die Tageszeit, aber scheinbar an die Zeitumstellung angepasst hast. Braucht man wirklich den Anlass der Zeitumstellung, um sich Gedanken um das Universum zu machen? In Zeiten der Globalisierung reicht dafür doch eigentlich ein Blick auf die Weltzeit-Uhr, oder?
Darf man auch ohne Biorhythmus-Störungen von der Zeitumstellung genervt sein?
Durch die Präzession der Erdachse kehren sich die Jahreszeitenverhältnisse sowieso um. Ein Präzessionszyklus umfasst ca. 25700 Jahre. Das heißt: (1) in knapp 13000 Jahren wird im Sommer Winter sein und im Winter Sommer, und (2) in spätestens ein paar Jahrtausenden werden entsprechende Zeitumstellungen im letzten März- und im letzten Oktoberwochenende argumentativ nicht mehr haltbar sein. Weitsichtige Ansätze zur Lösung dieses grundlegenden Problems sind nötig!
Die langfristig beste Lösung wäre sicher, die Erdachse senkrecht auf die Erdumlaufbahn zu stellen und auf diese Weise das Herumeiern unseres Heimatplaneten zu beenden. Dafür müsste man zuerst mit einer breit angelegten Image-Kampagne die Einigkeit der Erdbewohner herstellen und dann die noch zu überwindenden technischen Kleinigkeiten lösen. Ewiger Frühling für alle!
Sarah hat es sogar geschafft einen Lanzelot einzubauen :)
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