Sonntag, 12. Januar 2020

Rückblog 2019: Meine bestgehörten Alben des Jahres 2019, Platz 2

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Sonny Rollins - What´s New?
1962 (RCA)/1994 (BMG France)

All That Jazz? Ja, 2018-2019 war die Zeit, in der ich Jazzmusik endgültig "entdeckt" und mehr Jazz gehört habe, als jemals zuvor (siehe auch schon hier). Wobei, ein kleines gallisches, pardon iberoamerikanisches, Jazz-Dorf gab es eigentlich schon vorher: den Latin Jazz.

Das dafür verantwortliche Album kam aus der recht umfangreichen Jazzplatten-Sammlung meines Vaters. Es hieß "Afro-Cuban Moods" und war ein Gemeinschaftswerk des Trompeters Dizzie Gillespie mit dem Kubaner Machito, einem der Grundsteinleger dieses Genres. Diese Musikform, die jazziges Instrumentenspiel und Phrasen mit lateinamerikanischen (hier: kubanischen) Sounds, Melodien und in die Beine gehenden Rhythmen paarte, zog mich gleich in den Bann.

Als der Tenorsaxofonist Sonny Rollins im Jahr 1962 sein Latin-Jazz-Werk "What´s New?" in New York einspielte, lagen die Anfänge dieses - weit zu verstehenden - Genres mit Machito schon gut zwanzig Jahre zurück. Diese Art des Genre-Mixing war also nicht mehr neu. Allerdings war die Bossa Nova- die Synthese aus brasilianischem Samba  und Jazz - gerade dabei, die Welt zu erobern. Das hat diese Platte geprägt.

"What´s New?" atmet folglich die helle, cool-klare, dem Leben zugewandt scheinende Tonalität der brasilianischen Musik. Und auch ein Gitarrist darf hier, Bossa-typisch, in Gestalt von Jim Hall (der übrigens hier ein sehr lesenswertes Interview gegeben hat) nicht fehlen.
Dabei sind diese Aufnahmen, die Rollins nach einer zweijährigen Kunstpause mit frischer Kraft anging, abwechslungsreich und experimentierfreudig. Nach dem schmeichelweichen Bossa-moodigen "If I Ever Would Leave You", bei dem Rollins eine Melodie aus einem Broadway-Musical ("Camelot") verarbeitet, finden wir etwa im freieren, die Songform ganz beiseite lassenden "Jungoso" die ebenfalls mitwirkende afrokubanische Conga-Legende Candido in vollem Einsatz und einen expressiveren Stil, zu dem nur mehr Ausdruckstänzer ihre Bewegungen finden würden. Und "Bluesongo" liefert, was der Titel verspricht: spätnächtlichen, bluesigen Jazz mit versonnenen Congas und einem herumspazierenden Bass. In "The Night Has A Thousand Eyes" wiederum setzt sich Rollins mit dem Motiv eines film noir aus dem Jahr 1948 auseinander, bei dem es um düstere (hellseherische) Fähigkeiten geht.

Es ist also nicht alles Tanz und Samba und Karneval, was hier abgeht. Freilich gibt es mit dem bei den Sessions entstandenen (original nicht enthaltenen) Track "Don´t Stop The Carnival" einen lupenreinen Kaneval-von-Rio-Samba-Jazz. Und ganz zum Schluss lässt sich Rollins´ Combo sogar zu einem knapp (aber gerade noch) diesseits der Kitschkante segelnden Calypso-Jazz hinreißen ("Brownskin Girls"). Aber: in ersterem Track flehen mitsingende Frauenstimmen fast inständig, die Festivität doch bitte nicht zu beenden. Und in letzterem verhandeln die Sänger die Eifersuchts-Neurosen der abfahrenden Fischer/Matrosen angesichts ihrer lebenslustigen Frauen.

Ein Balanceakt also zwischen mittel- und südamerikanischer Leichtfüßigkeit und schwerer Introspektion. Ein oft etwas übersehenes, aber hochspannendes Album. Nicht nur für Leute mit einer Schwäche für Latin Jazz.



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