Ich finde es immer wieder faszinierend, wie es einzelne Meldungen durch das Dickicht der internationalen Newsdschungels schaffen, um dann am anderen Ende der Welt, prominent positioniert, wieder aufzutauchen. Das betrifft auch Meldungen, die dem Themenbereich "Wissenschaft und Forschung" zuzuordnen sind.
Heute zB schlagzeilte die Wissenschaftsredaktion des Online-ORF "Mediziner: Beten könnte bei Heilung helfen". Klingt spannend. Wurde hier tatsächlich eine Antwort auf die hoch umstrittene Frage gefunden, ob die Anrufung einer höheren Macht einen Einfluß auf unser irdisches Dasein haben kann?
Bei genauerer Lektüre stellt man fest: Es geht in der fraglichen Studie nicht ums Beten an sich, sondern um pfingstkirchliche Heilpraktiken, bei denen die Kranken, Menschen mit Seh- und Hörproblemen, nicht nur mit Gebeten bedacht, sondern auch berührt und umarmt werden. Das Sample der untersuchten Personen beträgt beeindruckende 24 Personen. Es gibt keine Kontrollgruppe. Die Heilerfolge werden dann mittels Sehtest und Audiometer gemessen - also unter Mitwirkung der Probanden. Es werden nur kurzfristige Effekte ermittelt und keine Langzeitstudien durchgeführt. Das Versuchssetting ist ein Dorfkrankenhaus in Mosambik.
Kurzum: So etwas als "Wissenschaft" zu bezeichen, ist eigentlich eine Frechheit.
Die Forscher wurden im Übrigen von der "John Templeton Foundation" bezahlt, einer von evangelikalen Christen geleitete US-amerikanischen Institution, die es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, mit den Methoden der wissenschaftlichen Forschung zu beweisen, dass Wissenschaft und Glaube kein Widerspruch sind. Eigentlich ein merkwürdiges Vorhaben, denn ich glaube mich zu erinnern, dass in der Bibel steht, dass Gott es gar nicht schätzt, mutwillig auf die Probe gestellt zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was hier aber nun weiter interessieren soll: Wie schafft es eigentlich eine "Studie" von solch fragwürdiger Qualität zur Spitzenheadline der Wissenschaftsredaktion eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu werden? Die Antwort ist recht einfach: Das Thema polarisiert, regt auf und provoziert - und wird daher eifrig angeklickt. Zugegeben: Ich habe den Artikel ja auch gelesen. Das basse Erstaunen über das Dargebotene kam erst danach.
Das Beispiel zeigt, wie Journalismus heutzutage gemacht wird und zwar zunehmend auch in Bereichen, die sich selbst noch für qualitätsvoll erachten, und das stimmt doch sehr nachdenklich. Demokratie an sich ist zweifellos eine feine Sache. Aber auch im politischen Bereich praktizieren wir doch eine professionalisierte Form der Demokratie, in dem die Details der zwischenmenschlichen Regelwerke nicht von der Mehrheit nach Lust und Laune direkt diktiert, sondern von Politikern, Beamten und nicht zuletzt Experten in mühsamer Abwägungsarbeit erarbeitet werden (dass nicht immer alle mit dem Ergebnis zufrieden sind, steht auf einem anderen Blatt).
Wenn aber nun Redakteure ihre Aufgabe vernachlässigen, ihren Intellekt einzusetzen, um als Korrektiv und Filter für die Meldungsflut zu wirken und nurmehr nach der höchsten Zahl der Klicks schielen, dann steht die Sonne der journalistischen Kultur eben tief und Zwerge können große Schatten werfen.
Donnerstag, 5. August 2010
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5 Kommentare:
Ist es dann nur ein Zufall, dass ich diese Flyer vor wenigen Tagen in der UBahn gefunden habe
http://twitpic.com/2afvt9
http://twitpic.com/2afvtt
klingt mir fast zu verwandt…
Hi!
eine Kleinigkeit fiel mir auf:
"interssieren"
Ansonsten:
super Artikel zu einem wichtigen Thema!
MfG
PZ Myers hat in seinem Pharyngula Blog ebenfalls zum Thema geschrieben:
http://scienceblogs.com/pharyngula/2010/08/templeton_prayer_study_meets_e.php
@fatmike182: Die Vineyard-Bewegung ist evangelikal-charismatisch geprägt, die Verwandtschaft ist also durchaus nicht weit hergeholt.
@stern88: Danke!
Ein interessanter Kommentar ist übrigens auch am 2.8.2010 bei "Nachfassen" gelandet.
Ich möchte noch anmerken, dass es mir nicht darum ging, die zuständige ORF-Redakteurin persönlich zu kritisieren. Ich weiß, dass die Arbeitsbedingungen im Journalismus schwierig sein können und die journalistische Entscheidungsfindung durchaus unfrei ist. Meine Kritik galt daher eher dem Medium ORF bzw. gewissen Tendenzen im Journalismus im Allgemeinen.
Die Kommentarfunktion zu dem betreffenden science.ORF-Artikel wurde mittlerweile offenbar deaktiviert, ohne dass die verantwortliche Redakteurin dazu Stellung genommen hätte - eine etwas befremdliche Reaktion, sich aus der Affäre zu ziehen.
( habe mir erlaubt, Ihr Resümee am Ende Ihres Eintrags an anderer Stelle zu zitieren: http://noemix.twoday.net/stories/6443878/#6457707 )
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