Projektor an für die Ränge 10-6 des Kinojahres ´08!
10 Paul Haggis: "In The Valley Of Elah" 3.5
Paul Haggis ist insoferne eines der bedeutendsten Multitalente von Hollywood, als er einerseits als Regisseur bereits groß abgeräumt hat (ein völlig berechtigter Oscar für "Crash" im Jahr 2006), andererseits aber auch einer der gefragtesten Drehbuchautoren der großen Filmwelt ist. Die Vorlagen für "Crash" (wofür es ebenfalls einen Oscar gab), "Million Dollar Baby" und "Letters From Iwo Jima" stammen ebenso aus seiner Feder wie die beiden jüngsten Streifen der Bond-Reihe (mit Daniel Craig). Woraus ersichtlich wird, dass der Drehbuchautor Haggis durchaus seinen sehr wesentlichen Anteil am qualitativen Gelingen von Filmprojekten hat. Denn Clint Eastwood ist in Wahrheit mit "Gran Torino" ohne den Kanadier skriptmäßig ziemlich baden gegangen und die Bond-Filme wurden andererseits durch Haggis - wie auch die Kritiker unisono einräumen - ordentlich reanimiert. Das Problem mit "In the Valley of Elah" ist, dass hier der Drehbuchautor Haggis nicht ganz auf der Höhe seiner Kunst agiert. Die Story - eine bittere Auseinandersetzung mit dem Bush-Amerika, die an der Suche eines Vaters nach den Hintergründen des gewaltsamen Todes seines aus dem Irak zurück gekehrten Sohnes anknüpft - endet eigentlich schon in dem Augenblick, in dem sie so richtig anzufangen scheint und das Ende ist leider an Vorhersehbarkeit nicht zu überbieten. Den Film rettet allerdings der Regisseur Haggis, der feine Arbeit geleistet und vor allem seine wichtigsten Akteure zu beachtlichen Leistungen angeleitet hat. Die Performance von Susan Sarandon und Tommy Lee Jones als in ihrer Beziehung eisig erstarrtes Ehepaar, das nun mit dem Hereinbrechen einer Tragödie konfrontiert wird, ist sensationell. Auch sonst lässt "In the Valley of Elah" in Punkto Atmosphäre wenig an Wünschen offen. Summa summarum ein trotz unübersehbarer Schwächen im Skript überdurchschnittlicher Film.
09 Jason Reitman: "Juno" 3.5
Spricht man von kanadischstämmigen Regisseuren, darf derzeit natürlich der Verweis auf Jason Reitman nicht fehlen. Der Sohn der 80er Jahre-Mainstream-Legende Ivan Reitman ("Ghostbusters", "Zwillinge", "Staatsanwälte küßt man nicht", "Kindergarten-Cop") wird schon seit einigen Jahren als eines der größten Nachwuchstalente des Hollywood-Kinos gehandelt. Ähnlich wie bei einer gewissen Sophia Coppola wird da die familiäre Vorbegünstigung eine durchaus fördernde Rolle spielen. Der Unterschied zwischend den beiden Nachwuchsfilmern besteht allerdings zunächst darin, dass Frau Coppola einen wirklich großartigen Debütfilm abgeliefert hat ("The Virgin Suicides"), während Jason Reitman seine Karriere mit der sehr mittelmäßigen Polit-Witzelei "Thank You For Smoking" gestartet hat. Nunmehr scheinen sich die Vorzeichen aber umzukehren. Während Coppola Film für Film mehr abzusacken scheint (und, ja, der Trend begann bereits mit dem hoffnungslos überschätzten "Lost in Translation"), hat Reitman mit "Juno" den großen Wurf gelandet, vier Oscar-Nominierungen inklusive. Dies auch durchaus nicht ganz zu Unrecht. Denn "Juno", die Geschichte um eine 16-jährige, die ein Kind erwartet, zeichnet sich durch ein gutes Tempo, feine schauspielerische Leistungen und sympathische Grundstimmungen aus, kommt kompakt und kurzweilig daher. Schwächen offenbaren sich vor allem in den oftmals etwas gewollt-witzigen Dialogen. Trotzdem ist dieses Werk ein durchaus authentisch wirkender und zugleich humorvoller Blick auf eine Teenagerrealität in Minnesota. Dass der Streifen aber einen derartigen Hype kreiert hat, ist mit seiner guten Qualität schlicht nicht mehr zu erklären. Da dürfte eine Showbusiness-typische Gemengelage aus Hollywood-Nepotismus und der Begeisterung im Medien-Boulevard für die (schließlich auch Oscar-prämierte) Drehbuchautorin Diablo Cody, eine ehemalige Striptease-Tänzerin, eine gewichtigere Rolle gespielt haben. Wäre "Juno" jedoch, so viel ist auch klar, die Arbeit eines europäischen Nachwuchsregisseurs, so hätte es wohl bestenfalls zu einer freundlich zur Kenntnis genommenen Oscar-Nominierung in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" gereicht, wobei Ruzowitzkys Zielgruppen-affine "Fälscher" zweifellos trotzdem die Statuette abgeräumt hätten.
08 John Dahl: "You Kill Me" 3.5
Wenn es eine eigene Wertung für den pfiffigsten Film des Jahres gäbe, wäre "You Kill Me" von John Dahl vermutlich obenauf. Schon die Exposition ist gewitzt wie schräg zugleich: Frank Falenczyk, seines Zeichens der hauseigene Auftragsmörder eines polnischen Mafiaclans aus Buffalo, New York, hat ein Alkoholproblem, weswegen er bei seiner Arbeit nicht mehr ganz so konzentriert zu Werke geht und immer mehr zum Sicherheitsrisiko für den Clan wird. Sein Boss beschließt daraufhin kurzerhand, ihn auf die andere Seite der Vereinigten Staaten, nach San Francisco, zu verfrachten, damit er dort ungestört eine Therapie bei den Anonymen Alkoholikern machen kann. Nicht unbedingt zur Freude von Frank Falenczyk. Zu allem Überfluss wird ihm vor Ort auch noch ein nerviger Immobilienmakler vor die Nase gesetzt, der als Aufpasser der Familie fungieren soll, und er soll einem ganz normalen Brotberuf nachgehen - in einem Bestattungsunternehmen. Natürlich kann man diese viel versprechende Grundidee nun auch massiv in den Sand setzen (man stelle sich - nur ganz kurz, bis der Schmerz unerträglich wird - einen derartigen Film mit Adam Sandler oder Jim Carrey vor). Doch glücklicherweise wird der Profikiller in diesem Fall von Ben Kingsley dargestellt. Dem gelingt es, diesem eiskalten Mörder ein menschliches Antlitz zu verleihen, das berührend und urkomisch zugleich ist. Und das, ohne dass die grundsätzliche Schlechtigkeit seines Tuns in irgend einer Weise durch Ästhetisierung oder Zynismen verschleiert wird. So schafft Kingsley eine Gratwanderung, die diese Komödie zu einer beachtlichen Reife und einem hohen Maß an Humanismus führt. Einen Anteil daran, dass dies gelingt, hat auch Téa Leoni als liebendes moralisches Gegengewicht des Killers. Sonst stehen die restlichen Figuren und Handlungsstränge freilich schon ziemlich im Schatten der Zentralfigur. Aus diesem Grund mag "I Kill You" vielleicht nicht als ganz großes Gesamtkunstwerk durchgehen, die Auszeichnung als pfiffigster Film des Jahres hat er sich aber redlich verdient.
07 Joel Coen, Ethan Coen: "Burn After Reading" 3.5
Coen-typisches im Jahre 2008, die Zweite: "Burn After Reading" handelt von den folgenschweren Verwicklungen, die sich daraus ergeben, dass ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter (John Malkovich) den Beschluss fasst, seine Memoiren zu schreiben, bedauerlicher Weise aber seine ersten Entwürfe in einem Fitnessstudio liegen lässt, wo Sie einer geldgierigen Mitarbeiterin (Frances McDormand) in die Hände fallen.
"Burn After Reading" ist das Kind einer leichtfüßigeren Muse als "No Country For Old Men", entwirft aber genauso die für die Regisseure typische Szenerie: eine Welt von selbstsüchtigen, getriebenen Glücksrittern, die sich im Streben nach Erfüllung ihrer Begierden wie die Gestalten einer griechischen Tragödie in einander verheddern. Am Ende gibt es natürlich für die meisten Akteure keine Erlösung, aber dafür auf dem Weg dorthin jede Menge Momente von funkelnd-bösem Humor. Typisch Coen-Brüder eben. Neben Malkovich und McDormand spielen sich auch noch George Clooney als neurotischer Polizeimarshall und Brad Pitt als geistig eindimensionaler Fitnesscenter-Proll die schwarze Komödiantenseele vom Leibe. Im Gegensatz zu "No Country For Old Men" hält dieser Film auch das Niveau, mit dem er zu Beginn loslegt, auch wenn vielleicht die Fallhöhe nicht ganz vergleichbar ist. Einziges gröberes Manko: der recht temporeiche Film rauscht mit seinen 96 Minuten doch ein bisschen gar im Eilzugstempo am Betrachter vorbei und zum Schluss wirkt er dann ein wenig..nunja..abgehackt (im wahrsten Sinn des Wortes). Man hätte dieses böse Theater ruhig noch ein wenig weitertreiben können. Die Qualität dazu hätte es auf alle Fälle.
06 Hitoshi Matsumoto: "Dai Nipponjin" 4
Die Ausgangslage war nicht ganz einfach: Das Top-Kino zu Wien war randvoll, es herrschte tropische Schwüle und dann kam dieser Film, der es dem Zuschauer auch nicht so ganz leicht macht: "Dai Nipponjin", zu deutsch "Der große Japaner". Der Titelheld heißt im Übrigen nicht deshalb so, weil er besonders große Taten vollbringt, sondern weil er sich mittels Superhelden-generierender Technik in einen Riesen verwandeln kann. Sein von seinen Vorfahren ererbter Brotberuf besteht darin, großteils ziemlich tollpatschige Monster unschädlich zu machen, die Nippons Städte in schöner Regelmäßigkeit heimsuchen. So als ob das noch nicht genug wäre, muss er sich auch noch mit dem Scheitern seines Familienlebens, einer stressigen Managerin, einem zunehmenden Fernseh-Quotendruck sowie einer rasant sinkenden Popularitätskurve auseinander setzen. Der "große Japaner" ist ein höflich-korrekter und pflichtbewußter Mensch, aber er ist auch einsam, verletztlich und ängstlich gegenüber allem Fremden, insbesondere den Amerikanern. Selbstzweifel kratzen an der heldenhaften Fassade. Zu allem Überfluß taucht dann auch noch ein Gegner auf, dem er nicht gewachsen ist. Der Japaner, den der Regisseur, der Komiker Hitoshi Matsumoto höchstpersönlich darstellt, ist eine zutiefst tragikomische Figur. In seinem pflicht- und traditionsbewußten Handeln verrennt er sich emotional, reibt sich auf, scheitert am Neuen. Es fällt nicht allzu schwer, in ihm nicht nur eine einfache Parodie auf den Typus des Superhelden zu sehen, sondern eine kritische Personifikation des heutigen Japan. Matsumoto gelingt das Kunststück, in oft hölzern-trashig und naiv wirkenden Bildern mehr zu verpacken als bloße Blödelei. Eine visuelle Herausforderung ist er freilich schon, dieser Film. Von Hochglanz-Superheldenverfilmungen à la "Spiderman" ist er in etwas so weit entfernt wie Japan vom Horn von Afrika. Es rüttelt, es wackelt, die Hochhäuser sind eindeutig aus Pappe und die Animationen der Monster sind von einer derartigen Qualität, dass die Belegschaft von Pixar vermutlich kollektiv der alten japanischen Sitte des Ehrenselbstmordes frönen würde, würde man sie zu lange mit diesen Bildern konfrontieren. Das mag eine Hommage an die Monster-C-Movies vergangener Jahrzehnte sein, dem gestreichelten euroamerikanischen Filmauge bereitet es aber - ebenso wie die sonderbar anmutende Dramturgie - phasenweise doch gewisse Anstrengung. Eine Anstrengung freilich, die den, der sich wirklich darauf einlässt, belohnt. Und zwar mit Erinnerungen an einen durchwegs außergewöhnlichen Film, die fest haften bleiben. Und mit einem Lächeln aus einer anderen Kinowelt (und damit ist nicht primär Japan gemeint), dass einem hernach im Gesicht hängt, ohne dass man ganz versteht, warum.
http://www.youtube.com/watch?v=JTAoxSspBJE
Nächstes Mal im Rückblog: Die erste Reihe der Kinofilme des Jahres 2008 und die Verleihung der Winzars.
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3 Kommentare:
Juno 4
...genauso wie Gran Torino und Thank You For Smoking
"Juno" hatte auch mal vier Sterne. Manchmal muss man dann halt am Ende des Jahres ein wenig nachjustieren.. ;)
Generell muss ich einräumen, dass meine Bewertungen derzeit strenger werden. "Gran Torino" war das nächste Opfer der neuen Rigidität. Früher wäre der Streifen sicherlich besser ausgestiegen. Ich bin halt irgendwo kritischer geworden, mit der Zeit ist man immer mehr auf der Suche nach neuen Impulsen und unvorhersehbaren Wendungen. Und die bietet "Gran Torino" nun mal nicht. Man nehme nur mal das Ende..aber ich will ja hier keinen Spoiler produzieren..
tja, vermutlich bin ich da noch leichter zu begeistern, das stimmt. Gran Torino und Juno sind aber auch bei mir am unteren Ende von 4.
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