Freitag, 26. Juni 2009

Fokus Menschenrechte: Mohammed El Gharani

Stell dir vor, du bist 14 Jahre alt und befindest dich in Pakistan. Wir schreiben das Jahr 2001. Du hast Medina, Saudi-Arabien, wo du geboren wurdest, hinter dir gelassen, weil deine Familie Einwanderer aus dem Tschad sind und du als zentralafrikanischer Ausländer in der Wüstenmonarchie mit ihrem starren gesellschaftlichen System keine Perspektiven siehst. Du hast 500 Riyal für einen falschen Reisepass bezahlt, um das Land verlassen zu können. Deine ganze Kindheit hindurch hast du in Medina Gebetsmatten verkauft und mit deinem ersparten Geld willst du dir jetzt in Pakistan ein neues Leben aufbauen.

In der Millionenmetropole Karatschi wirst du in einem Hotel von zwei Männern angeredet, die mitbekommen haben, dass du arabisch sprichst. Du erzählst ihnen, dass du hierher gekommen bist, weil du Englisch und Informatik studieren möchtest. Sie sagen, dass sie dir helfen wollen. Einer der beiden Männer - es sind Landsleute aus Saudi-Arabien - bietet an, für dich eine passende Schule ausfindig zu machen und dich dort anzumelden.

Nach einiger Zeit erfährst du von ihm, dass derzeit bedauerlicher Weise nirgendwo Schulplätze frei sind. Bis das der Fall ist, kannst du aber gerne in der religiösen Vereinigung mithelfen, der die beiden Männer angehören.

Schön langsam wirst du etwas nervös, weil deine Aufenthaltsgenehmigung für Pakistan mit 6 Monaten befristet ist. Da kommt es dir gerade recht, dass deine saudischen Freunde dich auf ihren Reisen durch das Land und ins benachbarte Ausland mitnehmen. Sie zeigen dir Kandahar jenseits der afghanischen Grenze. In der Nähe von Kandahar darfst du mit einer AK 47 in der Gegend herumballern. Du bist 14 und das macht dir großen Spaß. Zum Abschluss schenkt man dir sogar noch eine Casio Uhr. Du bist noch nie im Leben Menschen begegnet, die derart freundlich zu dir gewesen sind.

Wieder in Pakistan, beschließt du, dass du unter keinen Umständen jemals wieder nach Saudi-Arabien zurück gehen möchtest. Du wirfst daher deinen Reisepass mit der Sechs-Monats-Beschränkung weg und gehst zur Polizei, um ihn als vermisst zu melden (du wirst fortan immer behaupten, dass er dir gestohlen wurde). Aber die Polizei lässt dich nicht wieder gehen.

Die pakistanische Polizei hat dich an die Amerikaner verkauft. Es ist kurz nach 9/11 und die USA haben den Pakistani € 5.000 für deinen Skalp gezahlt. Die Amerikaner habe dich weit weggebracht - nach Guantanamo Bay auf Kuba.

Dort teilt man dir mit, dass dein Name auf Listen steht, auf denen Personen drauf sind, die Terroristen sind und dass zwei saudische Terroristen deine Telefonnummer haben. Diese Tatsachen, sowie der Umstand, dass du eine Casio Uhr trägst, beweisen, dass du selbst auch ein Terrorist bist. Eine konkrete Verwicklung in terroristische Aktionen wirft man dir allerdings nicht vor. Dafür wissen die Amerikaner aber, dass du bereits 1999 Mitglied einer Al-Qaida-Zelle in London warst. Das erstaunt dich doch einigermaßen, denn 1999 warst du 12 Jahre alt und hast in Medina Gebetsmatten verkauft.

In der folgenden Zeit wirst du noch oft "befragt". Dabei denkt man sich, wie du später zu berichten weißt, immer wieder neue, originelle Verhörmethoden aus. Die amerikanischen Beamten hindern dich daran zu schlafen, drücken ihre Zigaretten auf deiner Haut aus, überschütten dich mit eiskaltem Wasser, hängen dich stundenlang mit den Armen an der Decke auf, fuchteln mit einer Schere vor deinem nackten Körper herum und drohen, dich damit zu kastrieren. Später wird dein Rechtsanwalt auch publik machen, dass man mit ähnlichem Nachdruck versucht hat, dich davon zu überzeugen, auszusagen, dein Rechtsanwalt habe andere Gefangene dazu überredet, Selbstmord zu begehen (der Lagerkommandant hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, die Selbstmorde stellten eine Form von "asymmetrischer Kriegsführung" dar - also von Terrorismus).

Diese Zeit in Guantanamo dauert sieben Jahre. Am 14.1.2009, du bist mittlerweile 21 Jahre alt, stellt der für den Gerichtsbezirk District of Columbia zuständige Bezirksrichter Richard Leon fest, dass es für deine Festhaltung in Guantanamo keine ausreichenden Beweise gibt. Er ordnet deine Entlassung an. Du bist sieben Jahre, die größte Zeit als Minderjähriger, unter menschenunwürdigen Umständen in einem Gefangenenlager für ein Verbrechen eingesessen, das man dir nie nachweisen konnte. Diejenigen, die dich in dieser Zeit misshandelt und gefoltert haben, haben freilich nur ihre Pflicht getan.

Am 11.6.2009 verfrachtet man dich in einen Militärflieger mit Kurs auf N´Djamena, der Hauptstadt des Tschad.

Dort sitzt du mittlerweile in Administrativverwahrung. Die tschadischen Behörden sprechen von einer Formalität.


Quellen: Amnesty International, der Eintrag auf der englischsprachigen Wikipedia mit zahlreichen weiterführenden Quellenverweisen und das Guantanamo Docket der New York Times.

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